Charité – erste Stabsstelle für Digitale Transformation

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Das Potenzial der Digitalisierung ist im Kliniksektor noch lange nicht ausgeschöpft. Um das im Haus zu ändern, hat die Charité – Universitätsmedizin Berlin die Stabsstelle „Digitale Transformation“ eingerichtet.

Dr. Peter Gocke übernimmt als Chief Digital Officer (CDO) die Leitung der Stabsstelle „Digitale Transformation“. Er soll für eine verbesserte Kommunikation zwischen der IT-Herstellung und den Nutzern – also dem Klinikpersonal – sorgen. Health Relations sprach mit Dr. Gocke über die Herausforderungen als CDO und über die Notwendigkeit einer digitalen Transformation im Kliniksektor.

Health Relations: Herr Dr. Gocke, die Charité hat als erstes Universitätsklinikum in Deutschland eine Stabstelle für Digitale Transformation eingerichtet. Was macht ein Chief Digital Officer (CDO)?

Dr. Gocke: Wenn Sie die Definition eines „CDO“ googeln, finden Sie viele verschiedene Antworten. Mir persönlich gefällt dabei insbesondere für das Gesundheitswesen das generalistische Modell am besten: In diesem Ansatz betrachtet der CDO die digitale Transformation seines Unternehmens aus der Vogelperspektive und kümmert sich sowohl um Fragen der Strategie und neue Geschäftsmodelle als auch um Konkretes wie digitales Marketing oder die Arbeitsabläufe der Mitarbeiter. Er braucht ein gutes Verständnis für Change Management und den starken Rückhalt durch den CEO. Oftmals wird auch von einem „Missing Link“ zwischen Unternehmensführung und IT/Fachabteilungen gesprochen – oder von einer „Mischung aus Brückenbauer und Brandstifter“.

Auf dem CDO-Summit in NYC sprechen CDOs über ihr Berufsverständnis. 

Health Relations: Es gibt bereits viele Apps im Gesundheitsbereich, mit denen Unternehmen Patienten ansprechen. Sie sind nun der erste CDO an einem deutschen Universitätsklinikum. Haben Kliniken und insbesondere Universitätskliniken ein Defizit, was digitale Transformationsprozesse angeht?

In der Gesundheitsbranche sind wir – insbesondere im Vergleich mit anderen Branchen – mit dem Thema Digitalisierung noch nicht so weit gediehen, wie wir uns das wünschen.

Dr. Gocke: In der Gesundheitsbranche sind wir insgesamt im Vergleich mit anderen Branchen mit dem Thema Digitalisierung noch nicht so weit gediehen, wie wir uns das wünschen. Wie andere Akteure auch sieht die Charité in der konsequenten digitalen Transformation erhebliche Chancen für eine bessere Medizin und möchte auch hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Dies hat nach reiflicher Überlegung zu dem Entschluss geführt, einen CDO zu berufen – ein Schritt, den auch andere Branchen gegangen sind, um das Thema voranzubringen.

Health Relations: Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hat als erstes Klinikum Europas flächendeckend eine elektronische Patientenakte eingeführt, die einen papierlosen Klinikalltag möglich macht. Ist Ähnliches auch an der Charité geplant?

©University Medical Clinic Hamburg Eppendorf
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf © University Medical Clinic Hamburg Eppendorf

Dr. Gocke: Die elektronische Patientenakte war im UKE und ist in der Charité kein Selbstzweck, sondern eher Ergebnis einer konsequent betriebenen digitalen Transformation. Daher werden wir auch in der Charité eine komplett elektronische Patientenakte sehen – aber darüber hinaus auch noch weitere Systeme wie zentrale Plattformen für wissenschaftliche Daten, Portale für Patienten und Zuweiser, aber auch Austausch-Plattformen mit weiteren Dienstleistern im Gesundheitswesen.

Health Relations: Generell gesprochen, welche Digitalisierungsstrategie wird im deutschen Kliniksektor derzeit verfolgt?

Bislang wurde in Krankenhäusern häufig zuerst die IT gekauft und gehofft, dass nach Einführung der neuen IT die Prozesse im Krankenhaus von selber besser laufen würden. Das war ein Trugschluss.

Dr. Gocke: Bislang wurde in Krankenhäusern häufig zuerst die IT gekauft und gehofft, dass nach Einführung der neuen IT die Prozesse im Krankenhaus von selber besser laufen würden. Das war ein Trugschluss. Zunächst einmal muss der Prozess definiert werden, um etwas digital transformieren zu können. Die IT folgt immer dem Prozess! Das hier notwendige Umdenken hat aber bereits begonnen. Aus verschiedenen Gesprächen weiß ich, dass auch andere Kliniken sich ähnlich wie die Charité überlegen, sich hier neu aufzustellen – vermutlich werden wir also weitere CDOs in deutschen Kliniken sehen.

Health Relations: Die Akzeptanz gegenüber E-Health ist groß bei der Bevölkerung. Wie bindet man diese Offenheit als CDO eines Klinikums in eine Digitalisierungsstrategie ein?

Dr. Gocke: Auch eine Institution wie die Charité bemüht sich, sowohl Patienten Online-Services wie Terminbuchungen und Informationszugriff zu ermöglichen als auch die digitale Kommunikation mit den einweisenden und weiterbehandelnden Ärzten auszubauen. Dabei ist ein so großes Klinikum natürlich nicht so schnell wie ein kleines Start Up: Die Charité ist neulich vom Berliner Senat mit den Worten „Ein Tanker versucht, umzusteuern“ beschrieben worden – und hier liegt auch eine Ursache dafür, dass die Charité bisher nicht so schnell vorangekommen ist, wie sie sich das selbst gewünscht hat. Jede Neuerung, die vorgenommen wird, betrifft vier Standorte mit mehr als 17.000 Mitarbeitern, die fast 850.000 Patientenbehandlungen pro Jahr durchführen. Jede Veränderung erfordert hier Augenmaß und ist nicht zuletzt auch mit entsprechenden Kosten verbunden.

Gutes Beispiel für eine erfolgreiche digitale Transformation: Über das System LifeTime Hub der Firma connected Health werden medizinische Daten vom Smartphone des Patienten in das IT-System des Arztes oder des Krankenhauses übertragen. 

Health Relations: Junge Ärzte haben ein selbstverständliches Technologieverständnis, ältere Ärzte tun sich hier oft schwer. Gibt es spezielle Schulungsprogramme für die erfahrenere Ärzteschaft an der Charité?

Dr. Gocke: Die klassischen Schulungsprogramme orientieren sich an der Charité wie in anderen Häusern auch eher an den Funktionalitäten, die jeweils zu schulen sind. Selbstverständlich wird so gut es geht Rücksicht auf den Ausbildungsstand und die Technologie-Affinität der Nutzer genommen – aber von „speziellen“ Schulungsprogrammen würde ich hier nicht reden. Andererseits hat dieses Thema ein Potenzial, manche Strukturen im oftmals als sehr hierarchisch beschriebenen Gesundheitswesen zu ändern, denn hier können durchaus auch einmal Ältere von Jüngeren lernen – ein Austausch, der sehr erwünscht ist. 

Health Relations: Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Welche digitalen Maßnahmen muss ein Klinikum im Jahr 2020 umgesetzt haben, um als Arbeitgeber und als Heilanstalt wettbewerbsfähig zu bleiben?

Dr. Gocke: Ich glaube, dass dies eine Fülle von größeren und kleineren Maßnahmen und Projekten sind, die im Endergebnis dazu führen, dass ich als Mitarbeiter in meiner Arbeit so unterstützt werde, dass ich die IT nicht mehr als zwangsläufiges Übel betrachte. Das hat nicht nur technologische Aspekte, sondern auch viel mit Change Management zu tun: In einem digitalen Unternehmen ist auch die Kommunikationsstruktur eine andere. Insofern war es ein erster Schritt für die Charité, sich darüber klar zu werden, dass die angestrebte digitale Transformation kein IT-Projekt ist, sondern vielmehr ein Charité-Projekt.

©Gocke
Dr. Peter Gocke; ©privat

Dr. Peter Gocke ist Mediziner und arbeitete als Radiologe elf Jahre an der Uniklinik Essen. Bereits in dieser Zeit trieb er die Digitalisierung der Radiologie der Universitätsklinik voran. 2004 wechselte er als CIO an die Uniklinik Hamburg-Eppendorf (UKE); hier war Gocke eine der treibenden Kräfte für den digitalen Umbau des UKE zum papierlosen Krankenhaus. Seit April 2017 ist er als Chief Digital Officer (CDO) Leiter der neu geschaffenen Stabsabteilung „Digitale Transformation“ der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Titelbild: © everythingpossible/fotolia.com

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