60 Jahre nach Karius & Baktus: Zahnprophylaxe für Kinder

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Aufklärungsbücher zu Zahnprophylaxe bei Kindern gibt es viele – pädagogisch wertvoll sind aber die wenigsten, sagt die Landesarbeitsgemeinschaft Jugendzahnpflege in Hessen. Ein Aufruf an die Dental- und Pharmaindustrie.

Die ersten Geschichten von den “Zahntrollen” Karius und Baktus wurden 1941 in Norwegen veröffentlicht. Kurze Zeit konnte man ihren Geschichten als Hörspiel im Radio lauschen. 1949 erschien dann das vom Autor selbst illustrierte Zahnprophylaxe-Buch, in dem es nur um den schwarzhaarigen Karius und den rothaarigen Baktus geht.

Den gleichnamigen Puppenfilm aus dem Jahr 1954, in dem Hans Clarin in der deutschsprachigen Version den Baktus sprach, dürften wohl die meisten als Kind gesehen haben, und sei es im Rahmen des Schulunterrichts. Das Buch erschien bereits 1949, wird bis heute aufgelegt und war in Deutschland bis in die 1990er Jahre das einzige Kinderbuch zum Thema „Zahnpflege“.

Zahnprophylaxe: Karolinchen KariesAuch heute, 60 Jahre später, ist der Karius-und-Baktus-Mythos in Nachfolgegeschichten lebendig. Und dies, obwohl der kindliche Leser den ironischen Unterton nicht verstehen und somit auch keine nötige Distanz zu dem zerstörerischen Wirken der Bakterienhelden entwickeln kann, so die Landesarbeitsgemeinschaft Jugendzahnpflege in Hessen (LAGH): Die daraus resultierende Identifikation mit den Antihelden ließe die Leserschaft die Perspektive der Schaden zufügenden Hauptfiguren kritiklos übernehmen. Durch sie erführen die Kinder, dass Süßigkeiten „Kraftfutter“ wären, dass „Surfen in klebrigen Kaugummiblasen überhaupt das Beste“ wäre, dass das Badezimmer „schreeeecklich“ wäre und sich die Zahnhygiene in der Zahnarztpraxis „eklig!!!“ anfühlen würde – wie im Buch, das auf Platz 2 der „Nicht empfehlenswerten Kinderbücher“ der LAGH ist: „Karolinchen Karies – Die Story!“ Die ganze Liste der No-Gos gibt es hier als Pdf.

Nicht selten fühlt sich Cordula Buschmann, Pädagogin und Referentin für die LAGH, wie Sisyphos persönlich. Seit über 25 Jahren betreibt die LAGH Aufklärung für die zahnmedizinische Gruppenprophylaxe in Hessen, gibt Materialien heraus und schult pädagogisches Personal, um dem „gesetzlichen Anspruch auf Maßnahmen der Zahngesundheitsförderung“ (§ 21 SGB V) nachzukommen.

Zwar sei der Medienmarkt rund um den Zahn für Kinder inzwischen sehr umfassend, aber das meiste sei weder pädagogisch zielführend noch inhaltlich korrekt. Besonders ungünstig bewertet die Pädagogin Kindergeschichten, in denen Kleinkinder „zum Teil noch in Windelhöschen“ ganz allein und selbständig für die Sauberkeit ihrer Zähne sorgen sollen, obwohl nach heutigem Kenntnisstand Kinder erst dann handmotorisch dazu in der Lage sind, wenn sie schreiben können. Dementsprechend sei die Botschaft „Kinder putzen Zähne sauber“ schlichtweg falsch, und Eltern sollten im Kinderbuch grundsätzlich diese Rolle vorbildlich übernehmen.

Kritisch sieht die LAGH auch die Darstellung des Themas Zucker und Zähne in den Kindermedien. Die Geschichten folgten stets demselben Muster: Das Kind isst süß, bekommt Zahnschmerzen oder ein Loch im Zahn, muss zum Zahnarzt, der Zahn wird gebohrt und gefüllt – und das Kind darf nach der Zahnreparatur nicht mehr naschen. Naschen werde somit verteufelt, was zu schlechtem Gewissen führe. Genussvolles Naschen sei jedoch möglich. Das hessische Konzept „5 Sterne für gesunde Zähne“ enthalte zum Beispiel ausreichend Ausgleichszeiten ohne Zuckerkonsum, eine Kugel Eis oder eine Kinderhand voll Süßem am Nachmittag schade weder den Zähnen noch dem Körper.

Auch Regeln wie „nach jedem Essen und immer sofort nach dem Konsum von Süßem Zähne putzen“ sei nach dem heutigen zahnmedizinischen Kenntnisstand ebenfalls fachlich überholt; ein Zähneputzen morgens nach dem Frühstück und das abendliche Sauberputzen der Zähne nach dem Abendessen seien zahnmedizinischer Goldstandard.

„Wir wünschen uns Kindermedien, die endlich den aktuellen zahnmedizinischen Wissensstand berücksichtigen, und das heißt: Bücher, in denen die Eltern im Kindermund die Zähne sauber putzen, den Süßgenuss am Nachmittag in kindgemäßer Menge und Häufigkeit zulassen und die das heilsame Medium Speichel endlich für Kinder thematisch aufbereiten“, fasst Cordula Buschmann zusammen. Die ganze Kriterien-Liste der LAGH für gelungene Darstellungen der Zahnprophylaxe bei Kindern gibt es hier.

Zahnprophylaxe: Irma hat so große FüßeGut umgesetzt hat das nach den Maßstäben der LAGH zum Beispiel der S. Fischer Verlag mit „Irma hat so große Füße“ – das Buch rangiert auf Platz 1 der Liste „empfehlenswerter Bücher“ für 2016. „Die Botschaft, die Kindern hier vermittelt wird, lautet: Zähneputzen vermag Wunderbares zu bewirken! Die Geschichte hat Irma zur Zahnputzhexe werden lassen und damit zur Leitfigur der hessischen Gruppenprophylaxe: Irma verzaubert Schul- und Kindergartenkinder mit ihrer fantasievollen Geschichte und motiviert zur Zahnpflege.

Der Aufruf an die Dental- und Pharmaindustrie lautet also: Vermitteln Sie den Kindern ein aktuelles, positives und fachlich korrektes Bild von der Zahnprophylaxe. Zähneputzen oder der Gang zum Zahnarzt sollen Spaß machen. Unterstützen Sie den Zahnarzt mit passendem, kindgerechtem Aufklärungsmaterial! Dann darf man sogar Süßigkeiten essen.


Titelbild: Screenshot aus „Karius & Baktus“, © Caprino Studios

„Karolinchen Karies“: © Papierfresserchens MTM-Verlag
„Irma hat so große Füße“: © S. Fischer Verlag GmbH Frankfurt
2 Kommentare
  1. Schade, dass die deutsche Fassung des Films von Karius & Baktus nicht auf DVD erhältlich ist. Auch auf Youtube findet man nur Ausschnitte. Insbesondere wenn man Hans Clarin als Baktus hört, dann erkennt man schon damals eindeutig den Pumuckl darin, obwohl der Puppenfilm aus dem Jahr 1954 stammt und die ersten Geschichten des Kleinen Kobolds erst 8 Jahre später aufgenommen werden. Auch optisch sieht Baktus Pumuckl frappierend ähnlich.
    Das perfide an „Karius & Baktus“ ist, dass die Geschichte zwar zum Zähneputzen animieren soll, Kindern die beiden Kerlchen aber auch trotz ihrer boshaften Art und ihrem zerstörerischen Tun irgendwie leid tun…

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