2. eHealth Innovation Days: Deutschland nur im 2. Gang

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Deutschland kommt in Sachen eHealth nur im Schneckentempo voran.

Austausch auf internationaler Ebene: Anfang September fand die zweite eHealth-Konferenz statt – allerdings ohne deutsche Ärzte oder -organisationen. Fachmann Prof. Dr. Roland Trill beklagt das Hinterherhinken einer ganzen Branche.

Am 7. und 8. September fanden in Flensburg die „eHealth Innovation Days“ statt. Die Konferenz wird unter anderem vom Institute for eHealth and Management im Gesundheitswesen organisiert und will Akteuren und Stakeholdern eine Plattform zum gegenseitigen Austausch bieten – und versteht sich darüber hinaus als Impulsgeber für innovative Projekte und Ideen.

Roland Trill ist Fachmann für Krankenhaus-Management und eHealth
Prof. Dr. rer. oec. Roland Trill, Dipl.-Kaufmann und Diplom-Handelslehrer mit den Fachgebieten Krankenhaus-Management und eHealth

In diesem Jahr hatte die Konferenz zum Ziel, Akteure aus der Ostseeregion zusammenzuführen und eine Vernetzung zu ermöglichen. Besonders im Fokus standen die Länder Dänemark, Finnland und Schweden. „Abgedeckt wurden alle Technologiefelder, wobei Services für den Patienten überwogen. Deutlich wurde ein großer Bedarf an Aus-, Fort- und Weiterbildungen in eHealth-Technologien und -Services für Professionals, aber auch für Bürger und Patienten. Bei den Bürgern sollte die Verbesserung der Health- und eHealth Literacy im Mittelpunkt stehen“, sagt Prof. Dr. Roland Trill vom Institute eHealth and Management.

Geförderte eHealth-Projekte wurden vorgestellt

Daher wurde zum Beispiel das Projekt „Prometheus“ (Project for a Medically Educated, Transformed, Healthy, and United Society) des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein vorgestellt. Dabei geht es darum, Patienten durch die Entwicklung von Apps zur Erleichterung des Patientenalltags zu stärken. Ein weiteres Projekt, das präsentiert wurde, stellt ebenfalls den Patienten in den Mittelpunkt: Das interregionale Projekt der Hochschule Flensburg mit dem Titel „BaltCityPrevention“ soll helfen, lebenstilbedingte Erkrankungen zu verhindern. In der Session „How to teach eHealth“ wurden dazu Ausbildungsprogramme aus Turku, Uppsala, Tallinn und Flensburg vorgestellt.

Bezeichnend war es, dass deutsche Ärzte beziehungsweise Ärzteorganisationen der Veranstaltung fernblieben.

Der internationale Austausch ist ein wichtiges Mittel, um von den Erfahrungen anderer Ländern zu profitieren. Was kann Deutschland von den Ländern rund um die Ostsee lernen? „Der vermutete Rückstand von wenigstens fünf Jahren hat sich bewahrheitet„, sagt Trill und gibt zu bedenken, dass Länder wie Estland, Dänemark, Finnland und Schweden Services (hier ist in erster Linie an die elektronische Patientenakte zu denken) bereits flächendeckend implementiert haben, die bei uns noch nicht einmal projektiert seien. „Aus Dänemark wurde ein COPD-Projekt mit über 1000 Patienten vorgestellt, das umfassend evaluiert ist. Es zeigt beachtliche Erfolge auf den Feldern Qualität und Wirtschaftlichkeit“, so Trill. „Hier stellt sich zum wiederholten Male die Frage, warum solche Projekte nicht als Blaupause für Deutschland genutzt werden. Bezeichnend war es, dass deutsche Ärzte beziehungsweise Ärzteorganisationen der Veranstaltung fernblieben. Der Fortschritt der genannten Länder beruht auch auf einer über Jahre fortgeschriebenen und dann konsequent umgesetzten eHealth-Strategie.“

eHealth-Innovationen im europäischen Ausland

„Wir sind die Schüler und nicht die Lehrer in Sachen eHealth!“Nach interessanten technischen Innovationen gefragt, berichtet der Experte von Integratoren unterschiedlicher technischer Systeme. Auffällig sei auch, dass das Gesundheits- und das Sozialsystem andernorts zunehmend als eine Einheit verstanden wird. Das führe beispielsweise in Finnland zu neuen Servicesystemen und veränderter Arbeitsteilung. „Besonders spannend ist ein Projekt in einem dänischen Krankenhaus, in dem jede Arzt-Patientenkonsultation akustisch mitgeschnitten und anschließend dem Patienten mitgegeben wird – natürlich wird der Stream in der Elektronischen Patientenakte gespeichert. Hintergrund ist die Beobachtung, dass die Patienten bis zu 80 Prozent der vermittelten Informationen nach dem Gespräch, etwa nach der Entlassung, vergessen haben„, erklärt Trill. Der Vorteil für den Patienten: Bei dieser Lösung kann er sich das Gespräch jederzeit wieder ganz oder teilweise anhören. Der Professor sieht darin durchaus auch Potenzial für den deutschen Markt: „Zwar wurde von ersten Widerständen seitens der Ärzte berichtet, doch scheint sich dieses Vorgehen durchzusetzen. Es wäre spannend, dieses neue System in Deutschland vorzustellen. Gut wäre es, nicht gleich in eine Abwehrhaltung zu verfallen, sondern das Gespräch mit den Kollegen in Dänemark zu suchen, denn – das kann nicht oft genug wiederholt werden – wir sind die Schüler und nicht die Lehrer in Sachen eHealth!“

Verlagerung der Versorgung in die Wohnung der Patienten

eHealth für Zuhause: Das dänische Projekt patient@homeUnabhängig von eHealth beobachtet Trill besonders bei den Krankenhäusern eine zunehmende Zentralisierung der Gesundheitsanbieter. Dies gehe mit einer deutlichen Verlagerung der Versorgung aus dem Krankenhaus oder der Praxis in die Wohnung der Patienten einher. „Ein Projekt in Dänemark mit dem Titel ‚patient@home‚ trägt diesen Trend im Titel. Durch weitergehendes Telemonitoring, dem Messen immer weiterer Werte in der Wohnung des Patienten, werden Kontakte mit den Gesundheitsdienstleistern ihren Charakter gänzlich verändern.“ Unter der Überschrift „lab@home“ können schon heute viele Blutwerte mit miniaturisierten Laboren zu Hause bestimmt werden. Das betrifft auch die Untersuchung von Urin. Der Kontakt mit Ärzten wird digital unterstützt. Für Trill stellen langfristige Szenarien bereits die grundsätzliche Existenz von Krankenhäusern in Frage. „Von dieser Entwicklung ausgehend sollte man sich fragen, wie die Gesundheitsversorgung 2030 aussehen könnte, um Fehlsteuerungen zu vermeiden.“

Die Rolle des Patienten wird sich mit eHealth ändern

Der Experte ist sicher, dass sich die Rolle des Patienten deutlich ändern wird. Und erwähnt in diesem Kontext den Begriff des „Digital Orphans“. Darunter versteht man Menschen, die den Weg in ein zunehmend digital unterstütztes Gesundheitswesen nicht mitgehen wollen oder können. „Ein Experte aus Finnland schätzt hierzu eine Größenordnung von 10 Prozent der Bevölkerung.“ Das wären ca. neun Millionen Menschen in Deutschland. Trill warnt davor, diese Menschen in der Gesundheitsversorgung außer Acht zu lassen: „Auch wenn Deutschland den Weg spät beschritten hat und noch im 2. Gang fährt, muss darüber nachgedacht werden, wie die Versorgung für diese Gruppe organisiert werden soll. Es könnte sich eine zweite Version einer Zweiklassenmedizin entwickeln.“

Die Konferenz zeigt, dass es für deutsche Akteure immer wichtiger wird, sich auch auf europäischer Ebene auszutauschen. An dieser Stelle wünscht sich der Professor mehr deutsche Bereitschaft, von anderen zu lernen. „Man sollte nicht nur in die Länder im Ostseeraum schauen, man sollte gemeinsame Projekte initiieren, Experten aus diesen Ländern zu Worte kommen lassen. Ein Ansatz könnte die Deklaration Estlands sein, die im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft vorgestellt wird. Sie fasst die Chancen und bestehenden Barrieren europaweit gut zusammen und endet mit Lösungsvorschlägen. Den deutschen Gesundheitspolitikern auf allen Ebenen kann nur ans Herz gelegt werden, diese Deklaration intensiv zu lesen und daraus Rückschlüsse zu ziehen.“

Bild von Prof. Trill: © Axel Kirchhof
Logo: © University of Southern Denmark
Beitragsbild: © iStock.com/DavidLeshem

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