„Unsere Aufgaben sind sehr divers“, erzählt Dr. Fabian Heinemann aus seinem Arbeitsalltag. Er leitet das IT Data Science Chapter bei Boehringer Ingelheim. „Wir bauen KI- und Data-Science-Applikationen von A bis Z für das gesamte Unternehmen und unterstützen damit verschiedenste Aufgabengebiete. Das fängt bei der Forschung und Entwicklung an, geht über Sales, Finance und Regulatorisches und erstreckt sich auch in den Bereich Operations, wenn es etwa um die Optimierung großer Prozessapparate geht.“ Zu Heinemanns Aufgaben gehört es, den oder die richtige Data Scientist auf das jeweilige Projekt zu setzen. Teils ist er auch selbst in Projekte involviert.
Data Scientists: vielfältige Einsatzbereiche, heterogene Wirkung
Im Bereich Molecular Machine Learning etwa erleichtern Tools der künstlichen Intelligenz heute die Auswahl von Molekülen als Wirkstoffkandidaten. LLM-Applikationen (Large Language Models) helfen Fragen in natürlicher Sprache an komplexe Dokumente zu stellen, Zusammenfassungen aus mehreren Dokumenten zu erstellen oder ähnliche Texte zu clustern. Das ermöglicht zum Beispiel, die vielen Anfragen von Ärzt:innen und Healthcare-Professionals weltweit effizient zu beantworten. Andere Bereiche der künstlichen Intelligenz mit viel Potenzial sind die Bildverarbeitung zur Analyse von Daten aus Forschung und Entwicklung und die Analyse sogenannter Real World Evidence (RWE) Daten zur Gewinnung von medizinischen Erkenntnissen aus großen Datenmengen.
Was sind die Vorteile für das Pharmaunternehmen? „Der Business Impact solcher Applikationen ist sehr heterogen“, so Heinemann weiter. „Im idealen und leichtesten Fall trägt eine unserer Applikationen dazu bei, Geld und Zeit zu sparen, sodass unsere Kolleg:innen sich auf andere Themen konzentrieren können. Oft geht es aber auch um softere Faktoren: einen Prozess besser zu machen oder ein Unterstützungs-System aufzusetzen.“
„Stand heute gibt es alle möglichen Zugänge in den Beruf. Allen gemein ist, dass die Leute meist technisch sehr stark sind.“
Ausbildung: Wie wird man Data Scientist?
Alleine im IT Data Science Chapter von Boehringer Ingelheim arbeiten 23 Data Scientists, weitere sind in lokalen Domänen tätig. So vielfältig wie das Berufsbild ist auch der Weg dorthin: Noch gibt es nicht den einen, klassischen Ausbildungsweg zum Data Scientist. Als junges Berufsfeld ist die Data Science noch immer im Entstehen. Heinemann beispielsweise hat 2008 als Physiker promoviert, danach war er für einige Jahre als PostDoc unter anderem am Max-Planck-Institut für Biochemie tätig. 2013 wechselte er in die Pharmabranche, seit 2017 ist er bei Boehringer Ingelheim. Dort war er erst im Bereich Bildanalyse von frühen Forschungsdaten tätig, gründete und leitete später ein biomedizinisches KI-Labor. Seit 2023 arbeitet er in seiner jetzigen Rolle. „Stand heute gibt es alle möglichen Zugänge in den Beruf: Die Leute steigen quer ein aus Feldern wie der Elektrotechnik, Wirtschaftsinformatik, Computer Science, Physik oder Mathematik. Ihnen allen gemein ist, dass sie meist technisch sehr stark sind“, erzählt er.
Breites Know-how gefragt
Doch um als Data Scientist in der Pharmawelt tätig zu sein, braucht es Heinemanns Ansicht nach noch mehr: „Wir brauchen Breite. Data Scientists in einem Pharmakonzern müssen nicht nur fit in Data Science sein, sondern brauchen auch ‚Subject Matter Expertise‘ in der Domäne, in der sie arbeiten, sei es Forschung, Finance oder Operations – oder das Potenzial dazu, den jeweiligen Fachbereich ausreichend zu durchdringen.“ Doch nicht nur Data Scientists müssen die Sprache ihres jeweiligen Fachbereichs sprechen, sondern auch umgekehrt. Bei Boehringer Ingelheim gibt es deshalb eine eigene Data Science Academy, in der Mitarbeitende in ihrer Data-Science-Kompetenz gestärkt werden sollen. „Wichtig für die Zusammenarbeit ist, dass eine Kommunikationsfähigkeit auf beiden Seiten da ist“, so Heinemann weiter.
Professionalisierung von Berufsbild und Ausbildung
Seit einigen Jahren stellt er eine Professionalisierung des Berufsbildes und auch der Ausbildungswege fest. Eine Entwicklung, die sich seiner Einschätzung nach noch verstärken dürfte. So geht der Head of IT Data Science Chapter davon aus, dass es auf mittlere Sicht weniger Quereinsteiger:innen geben dürfte und dafür mehr speziell ausgebildete Data Scientists. „Ich kann mir auch vorstellen, dass es eine Aufsplittung in gewisse Bereiche wie LLMs und MLOps geben wird, die sich dann zu eigenen Berufsfeldern entwickeln. Eine solche Spezialisierung findet bisher vor allem on the job statt.“
Die Treiber für diese Entwicklung sind vielfältig: Zum einen wird es immer teurer und schwieriger, neue Medikamente auf den Markt zu bringen. Um hier gegenzusteuern, müssen Pharmaunternehmen Prozesse optimieren und effizienter gestalten. Gleichzeitig nimmt die Digitalisierung der Branche immer weiter zu, die Verfügbarkeit von Daten verbessert sich mehr und mehr. „Und nicht zuletzt entwickeln sich Methoden etwa des Machine Learnings rasant weiter, insbesondere im Bereich Deep Learning, wofür es wiederum sehr viele Daten braucht. Damit lassen sich plötzlich Probleme lösen, die bisher schlicht unlösbar waren. Und damit ist auch der nötige Business-Impact gegeben“, so Heinemann abschließend. Die Pharmawelt hat das Potenzial der Data Science für sich erkannt.
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