„Amazon ist ein Healthcare-Provider im Experimentiermodus“

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© dzianominator / Adobe Stock
Google und Apple tummeln sich bereits erfolgreich auf dem Healthcare-Markt und auch Amazon probiert sich mächtig aus. Christian Rebholz, Partner in Simon-Kuchers Büro München, beurteilt die neuesten Entwicklungen.

Amazon drängt in den Gesundheitsmarkt. Zuletzt machte das Unternehmen mit einer eigenen App seine Mitarbeiter in Seattle von sich Reden. Was „Amazon Care“ bietet? Virtuelle und persönliche Gesundheitsberatung sowie Telemedizin. Es gibt eine Chat-Funktion, Video-Nachsorgeuntersuchungen sowie die Möglichkeit, Medikamente zu ordern. Und mit der App nimmt das Unternehmen offenbar nicht nur Mitarbeiter in den Blick, sondern testet auf dem US-Markt Potenziale für die Zukunft. Christian Rebholz, Consumer Healthcare-Experte und Partner bei Simon-Kucher in München, erklärt, wie sich Amazon positioniert: „Amazon ist ein Healthcare-Provider im Experimentiermodus.“

"Amazon Care" - eine App für die Mitarbeiter in Seattle. © Screenshot
Mit der App „Amazon Care“ wendet sich das Unternehmen an seine Mitarbeiter in Seattle. © Screenshot

In der Tat sind Amazons Projekte im Healthcare-Segment vielfältig: Inzwischen gehören medizinische Produkte zum Portfolio. Kürzlich launchte das Unternehmen die Handelsmarke „Amazon Basic Care“, unter der der Konzern OTC-Produkte verkauft. „Die Private Label-Marke funktioniert für Amazon letztendlich genauso wie für Supermärkte und andere Unternehmen. Für die Kunden gibt es ein Produkt mit einem in der Regel guten Preis-Leistungsverhältnis. Eine gute Möglichkeit, sich neue Käufergruppen zu erschließen und Alternativen zu gängigen Markenprodukten zu bieten“, erklärt Christian Rebholz. Außerdem stärke Amazon seine Verhandlungsposition gegenüber Herstellern von Markenprodukten.

Amazon sammelt immer mehr Daten und Healthcare-Erfahrungen

„Viel wichtiger ist aber wohl, dass Amazon mehr Kontrolle über das Healthcare-Angebot bekommt und testen kann, was die Kunden wollen und annehmen“, sagt Christian Rebholz. Das Ziel des Unternehmens sei es, so viele Anfragen wie möglich vereinen und Erfahrungen sammeln. „Amazon hat keinen Druck, sondern versucht Abläufe und Zusammenhänge im Detail zu verstehen.“ Ein weiteres wichtiges Instrument, um möglichst nah an Patienten zu kommen, sei die Sprachsteuerung. „Perspektivisch wird immer mehr über Sprachsteuerung funktionieren. Damit den Kunden dann nicht eine unendliche Liste von Produkten vorgelesen werden muss, wird das Angebot überschaubarer.“ Konkret heißt das: Sucht der Kunde ein Schmerzmittel oder Vitaminpräparat, erhält er künftig ein bis zwei personalisierte Vorschläge für Markenprodukte sowie z.B. die passende Amazon-Private-Label-Alternative. Das reduziere die Komplexität des Einkaufsverhaltens und steuere sie gezielt.

Plattform-Prinzip greift auch beim Health Navigator

Christian Rebholz, Consumer Healthcare-Experte.
Christian Rebholz, Consumer Healthcare-Experte und Partner bei Simon-Kucher in München. © privat

Doch geht es Amazon nur darum, Produkte zu verkaufen und Gebühren über den Market Place einzunehmen? „Nein, das zeigt zum Beispiel auch der Zukauf von Health Navigator“, erklärt Christian Rebholz. „Dabei geht es eher um ein Healthcare-Service-Portfolio und den Plattformgedanken.“ Der große Mehrwert: die Technologie, die Health Navigator entwickelt hat. Nutzer können hier z.B. per Spracheingabe ihr Befinden oder ihre Krankheitssymptome eingeben. Daraus lassen sich künftig weitere medizinische Schritte ableiten. Der Kunde kann also den Tipp bekommen, Vitamine einzunehmen oder schnellstmöglich einen Arzt oder eine Notaufnahme aufzusuchen. Anhand von Text- oder Spracheingabe soll das System künftig erkennen, wie dramatisch die Situation des Ratsuchenden ist.

Kunden sollen Amazon in Gesundheitsfragen vertrauen

„Über eine solche Plattform könnte man aber auch sämtliche telemedizinischen Services anbieten“, mutmaßt Christian Rebholz und erkennt eine Stoßrichtung: „Amazon testet hier, wie verschiedene Service-Anbieter miteinander verbunden werden können.“ Doch viel wichtiger sei in Zukunft: „Amazon will so viel Vertrauen bei den Kunden aufbauen, dass sie künftig in Gesundheitsfragen immer zuerst hier Rat suchen.“ Etwas, was im Produktbereich schon sehr gut gelungen sei. Wer mit der Anschaffung von Technik, Büchern oder anderen Dingen liebäugle, checke erst einmal die Amazon-Angebote.

Nichts bringt mehr Kundennähe als Gesundheit

„Gesundheit ist ein riesiges Thema für diverse Tech-Unternehmen“, erklärt Christian Rebholz. Wer nah an den Kunden wolle, beschreite diesen Weg über das Themenfeld Gesundheit. Apple habe sich den Zugang zu Patientendaten beispielsweise über Wearables – also die Apple Watch verschafft. „Amazon versucht es eben eher über seine Kernkompetenz einer Plattform.“ So kümmert sich der Onlinehändler intensiv darum, dass die eigene Plattform stärker von Unternehmen genutzt wird, um Produkte zu verkaufen. Dass sich hier beispielsweise vermehrt Apotheken tummeln, hat gleich mehrere Vorteile: Amazon kassiert für Einkäufe Provision. Gleichzeitig lernt der Online-Riese so, welche Produkte von wem und wie oft gekauft werden. Exemplarisch für eine weitere Strategie steht der Kauf von Pill Pack, einem Unternehmen, das Services für chronisch kranke Patienten anbietet. So bekommt Amazon in den Vereinigten Staaten von Amerika bereits Zugang zu sehr vielen komplexen Vorgängen des dortigen Gesundheitssystems. Noch mehr Einblick soll der Aufbau von eigenen Amazon-Kliniken für Mitarbeiter bringen.

Amazon will Vorreiterrolle übernehmen

Amazon ist auf Effizienz getrimmt und bekannt dafür, die Analyse und Verknüpfung von Daten sowie manuelle Abläufe bis ins Letzte zu optimieren. Davon profitiert das Unternehmen bei seinen verschiedenen Initiativen in den USA. „Amazon gewinnt mehr Macht und Kontrolle im Gesundheitsmarkt, gleichzeitig gibt es vielleicht den angenehmen Nebeneffekt, die Kosten im sehr undurchsichtigen amerikanischen Gesundheitssystem zu reduzieren“, so Christian Rebholz.

Pharmaunternehmen müssen mehrgleisig fahren

Kegelt das Engagement von Amazon etablierte Hersteller aus dem Markt? „Das ist unwahrscheinlich. Eher gibt es Konsolidierungseffekte, von denen starke Marken profitieren, aber auch die Chance für innovative Healthcare Start-ups vom vereinfachten Marktzugang zu profitieren“, erklärt Christian Rebholz. Amazon habe generell kein Interesse daran, Hersteller vom Markt zu verdrängen, aber das Thema Daten-Hoheit wird noch brisanter werden. „Amazon wird künftig auch immer mehr über die Patienten- und Customer Journey wissen“, sagt Rebholz. Unternehmen, die diese Informationen haben möchten, müssen also stärker mit dem US-Unternehmen kooperieren. Im Zweifel müssen Hersteller dann versuchen, sich bei Amazon besser zu positionieren oder an Maßnahmen arbeiten, um als Marke immer stärker gefragt zu sein und direkt an den Patienten zu kommen. Multikanal-Marketing, konsequentes Brand Management und clevere Produktpositionierung sei daher für Consumer Healthcare Unternehmen ganz entscheidend.


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