Pflege 4.0: Pflegeroboter können Personal entlasten. Mehr als eine Vision?

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© RIKEN

Der akute Personalmangel in Pflegeinstitutionen braucht Lösungen. Bieten Roboter eine Option, Personal tatsächlich zu entlasten? Was könnte die Zukunft bringen und was ist bereits im Pflegealltag angekommen?

Die stationäre Pflegebranche ist vom demografischen Wandel besonders betroffen, sowohl in der Altenpflege als auch im Krankenhaus: Während die Anzahl der Pflegebedürftigen zunimmt, entscheiden sich immer weniger Berufsanfänger für den Pflegeberuf, gleichzeitig scheiden ältere Pflegekräfte aufgrund der hohen körperlichen und psychischen Belastung frühzeitig aus dem Beruf aus.

Die häufig belastenden Arbeitsbedingungen führen dazu, dass Pflegekräfte überdurchschnittlich oft krank sind. Das ergab eine Analyse der Arbeitsunfähigkeitsmeldungen durch das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO). Demnach fallen in der stationären Altenpflege 6,3 Prozent der Mitarbeiter jeden Tag durch Krankheit aus, während der Krankenstand im bundesweiten Durchschnitt aller Branchen bei nur 4,8 Prozent liegt. Zudem dominieren in der Pflegebranche Langzeiterkrankungen, das heißt: Beschäftigte können häufig mehr als vier Wochen lang nicht arbeiten.

In der Zukunft leere Flure? Pflegepersonal ist überdurchschnittlich oft krank und der Nachwuchs fehlt.

Hinzu kommt, dass die Bevölkerung in Deutschland einem raschen Alterungsprozess unterliegt. Die Zahl der alten Menschen und ihr Bevölkerungsanteil nehmen zu. Da Menschen mit steigendem Alter vermehrt pflegebedürftig sind, wächst auch die Anzahl der pflegebedürftigen Personen. Zwischen 1999 und 2013 ist sie von zwei auf 2,7 Millionen gestiegen. Unter der Annahme, dass die alters- und geschlechtsspezifischen Pflegequoten unverändert bleiben und sich die Bevölkerung entsprechend der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung entwickelt, würde die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2060 auf 4,7 Millionen steigen (Quelle).

Die Anzahl der Pflegebedürftigen wird also künftig dramatisch steigen, wohingegen immer weniger Berufsanfänger in die – wirtschaftlich gesehen krisensichere – Pflege gehen.

Vorreiter Japan

Da keine andere Industrienation so schnell wie Japan überaltet, wurde hier schon frühzeitig die Chance identifiziert, die die Robotertechnik für die Entlastung der Pflegekräfte sein kann.

Bereits im August 2009 verkündete Riken – Japans größter Forschungsverbund – in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Tokai Rubber Industries einen Roboter entwickelt zu haben, der Personal und Patienten in der Pflege unterstützen könne.

Seit 2015 existiert „Robear“. Dieser kann mit einem Tablet gesteuert werden und hebt Patienten beispielsweise vom Bett in einen Rollstuhl. Dabei soll der Bär-ähnlich gestaltete Roboter dank feinerem Übersetzungsverhältnis und besseren Sensoren schneller und genauer arbeiten als seine Vorgänger RIBA und RIBA-II, die 2009 und 2011 präsentiert wurden. Laut Riken seien solche Roboter speziell zum Transport von Bett in Rollstuhl gut geeignet und könnten so helfen, Rückenschmerzen beim Pflegepersonal zu entlasten.

Leichter, wendiger und gefühlvoller – das sind die wichtigsten Neuerungen bei der dritten Generation des Krankenpflege-Roboters, der dem Pflegepersonal die Arbeit erleichtern soll. © RIKEN

 

Ein Ansatz: teilautonome Pflegewagen

Im Mai diesen Jahres stellte die Ingenieurin und Informatikerin Dr. Birgit Graf vom Fraunhofer IPA bei der 7. internationalen Fachmesse für Automation und Mechatronik Automatica in München den in Kooperation mit dem Ludwigsburger Unternehmen MLR entwickelten Serviceroboter Casero 4 vor. Der teilautonome Pflegewagen soll das Personal stationärer Pflegeeinrichtungen unterstützen, indem er etwa Pflegeutensilien automatisch bereitstellt.

Der intelligente Pflegewagen fährt autonom zum Einsatzort (Bild: Fraunhofer IPA)
Der intelligente Pflegewagen fährt autonom zum Einsatzort. (Bild: Fraunhofer IPA)

Auf Anforderung fährt Casero 4 zum Einsatzort oder folgt dem Pflegepersonal während der Arbeit. Die Steuerung erfolgt über ein Smartphone oder den integrierten Touchscreen – dieser dient auch der zeitnahen Dokumentation des Materialverbrauchs.

Als Serviceassistent kann er Patienten oder Heimbewohnern auf Anforderung – beispielsweise über stationäre Multimediaterminals – auch Snacks, Getränke, Zeitschriften und anderes in Aufenthaltsräume oder direkt ans Bett liefern. Wie Graf sagte, werde Casero 4 im Laufe des Jahres noch in zwei Pflegeheimen sowie der dortigen Uniklinik im Arbeitsalltag getestet, um 2017 die Marktreife zu erlangen.

 

 


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Fraunhofer erforscht Multifunktionspersonenlifter

Die Wissenschaftler vom Fraunhofer IPA forschen auch an einen teilautonomen Multifunktionspersonenlifter. Im Rahmen des Elevon-Projekts wurde ein erster Prototyp aufgebaut. Ob beim Anheben zum Wechseln der Bettwäsche, beim Umsetzen auf einen Rollstuhl oder beim Baden: In der Pflege werden heute Menschen, die sich nicht oder nur teilweise bewegen können, auf unterschiedliche Weise gestützt, gehoben, positioniert oder transportiert. Bisher werden dafür unterschiedliche Liftersysteme wie beispielsweise Hänge-, Gurt- oder Badelifter eingesetzt.

Solche Geräte eignen sich allerdings nur für die jeweilige Anforderung und sind nicht immer am Einsatzort verfügbar, so dass sie oft erst aus einem anderen Raum geholt werden müssten. Aus Zeitmangel würden Personen deshalb oft manuell bewegt, was wiederum zu einer erhöhten physischen Belastung der Pflegekräfte führt. Daher soll der Elevon-Multifunktionslifter Aufgaben vereinen, die heute noch mehrere Einzel-Liftersysteme übernehmen.

Die Pflegekräfte können den Lifter zudem elektronisch anfordern und er kann auch selbstständig dorthin navigieren, wo er gebraucht wird. Anhand von Sensoren erkennt Elevon die Person automatisch, kann sein Aufnahmesystem entsprechend positionieren und somit die Bedienung extrem erleichtern.

 

Interaktiver Service-Roboter für Haushalt, Pflegeheim und Krankenhaus

Ebenfalls am Fraunhofer IPA entwickelt wurde die Serviceroboter-Plattform Care-o-bot. Als interaktiver Butler ist die dritte Produktserie bereits in der Lage gewesen, einfache Assistenzfunktionen im häuslichen Umfeld sowie im Kontext der stationären Pflege in Heimen zu übernehmen. Zum Beispiel kann der Care-o-bot 3 auf Anforderung selbstständig an einem Wasserspender einen Becher holen, diesen platzieren, Wasser zapfen und den befüllten Becher dann zu einem gewünschten Ort transportieren.

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Der neue Care-O-bot stelle einen deutlichen Entwicklungsschritt gegenüber dem dritten Care-O-bot dar: Letzterer war noch ein Prototyp – auch wenn davon mehrere gebaut wurden. Der neue hingegen sei durchaus Kleinserien-tauglich.

 

Technik vs. Zuwendung

Neben all den technischen Innovationen bleibt die Frage inwieweit der Aspekt Zuwendung bei der Pflege bleibt. Doch auch diesen könnten Roboter vermitteln, glauben Ingenieure. Schon seit über 20 Jahren wird Paro vermarktet. Hierbei handelt es sich um einen robbenförmigen Roboter, der mit verschiedenen Berührungssensoren ausgestattet ist und so z.B. auf Streicheln reagiert. Paro-Schöpfer Takanori Shibata vom japanischen National Institute of Advanced Industrial Science and Technology hat den Roboter sozial programmiert und mit entsprechender Sensortechnik ausgestattet. Die Sensoren messen Berührungen, Licht, Akustik, Temperatur und Position des Roboters und versorgen zwei Computer im Inneren mit Infos.

In Japan wird der emotionale Roboter „Paro“ bislang vorwiegend zur Unterhaltung und weniger zur Therapie eingesetzt. Foto: Matthias Kind
In Japan wird der emotionale Roboter „Paro“ bislang vorwiegend zur Unterhaltung und weniger zur Therapie eingesetzt. Foto: Matthias Kind

Es ist eine besondere Form der Pflege, bei der Paro Verwendung findet. Zum Beispiel im Einsatz mit demenzkranken Patienten, die mit menschlicher Ansprache nicht mehr ansprechbar waren, die sich mit der Stoffrobbe wieder öffnen oder autistischen Kinder, die wieder ansprechbar werden.

Wirklich weit verbreitet hat sich Paro aber noch nicht – so wie überhaupt Pflegeroboter in Deutschland noch kaum zum Einsatz kommen. Experten sehen Paro als Vorreiter künftiger Assistenzroboter, die mehr Lebensqualität und Selbstständigkeit für Menschen mit Erkrankungen, Behinderungen und bei altersbedingten Einschränkungen versprechen.

 

 

 

 

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