LSG Berlin-Brandenburg: Neues zur Mischpreisproblematik

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Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat in einem Urteil vom 28.06.2017 eine seit Einführung des AMNOG praktizierte Praxis der Mischpreisfindung für neue Arzneimittel in Frage gestellt.

Die Fachgesellschaft der Onkologen ist alarmiert: „Das Verfahren der Mischpreisbildung muss rechtssicher und transparent sein.“ So fasst die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) ein Problem in Worte, das in der gesundheitspolitischen Wirklichkeit noch nicht ausreichend wahrgenommen wird.

Denn das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat in einem Urteil vom 28.06.2017 eine seit Einführung des AMNOG praktizierte Praxis der Preisfindung für neue Arzneimittel in Frage gestellt. Der Gang zum BSG ist unvermeidlich. Denn es geht um ein grundsätzliches Problem.

Die Mischpreisproblematik: Was ist Sache?

Das AMNOG, – zuvorderst ein deutsches Instrument zur Preisfindung für neue Arzneimittel, – hat zusätzlich gefordert, dass die pharmazeutischen Unternehmer in ihren Dossiers zu Patientengruppen Angaben machen sollen, „für die ein bedeutsamer Zusatznutzen besteht“. Das Parlament hat aber nicht vorhergesehen, das diese Anforderung im Gesetz zu Ergebnissen führt, die die anschließende einheitliche Preisbildung erschwert.

Denn in diesen getrennt nach ihrem Nutzen bewerteten Patienten-Subgruppen kommt es bei zugelassenen Wirkstoffen mit einer Gesamtindikation häufig zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Das kann von „beträchtlich“ in einer Subgruppe bis „ohne“ in einer anderen Patientengruppe divergieren, obwohl alle Patienten unter dem gleichen Krankheitsbild leiden und das Recht haben, in der richtigen Indikation das zugelassene Arzneimittel verordnet zu bekommen, sofern es keine gleichwertige wirtschaftlichere Alternative gibt.

Die angewandte Subgruppenphilosophie hat aber dazu geführt, dass in den Preisverhandlungen des Herstellers mit dem Spitzenverband der Krankenkassen ein Preiskompromiss gefunden werden muss. Wären alle Patientengruppen ohne Zusatznutzen, gäbe es  nur einen Preis, der nicht höher als der Preis der zweckmäßigen Vergleichstherapie (zVT) sein darf. Hätten alle Subgruppen einen Zusatznutzen, ist es Verhandlungssache, welchen Abschlag der Unternehmer auf den frei festgelegten Listenpreis nach Zulassung des ersten Jahres zu akzeptieren hat. Zumal er diesen „Rabatt“ rechtzeitig einkalkuliert hat. (Seit AMNOG-Beginn pendelt die Reduktion um 25% auf den Listenpreis).

Liegt aber ein „buntes Bewertungsergebnis“ vor, muss man sich auf einen Mischpreis einigen, der irgendwo zwischen Premium- und zVT-Preis liegt – mit Hilfe der Schiedsstelle. Das Schiedsverfahren ist bei Tarifverhandlungen und im Kassenarztrecht übrigens kein Novum ist.

Querschüsse vom SpiBu

Dem GKV-Spitzenverband liegt es jedoch schon lange im Magen, dass die Kassen für Arzneimittel zahlen müssen, die im AMNOG-Prozess keinen Zusatznutzen belegt haben. Es gab zurückliegend ein Nutzenorientiertes-Entgelt-Konzept (NOE-Konzept), später wurden Überlegungen zum Verordnungsausschluss angestellt und neu: ein Konzept zur Subgruppencodierung als Zusatzjob für Ärzte, damit man leichter die Spreu vom Weizen trennen kann.

Da passen die Überlegungen des LSG Berlin-Brandenburg blendend hinzu. Man hält dort die Mischpreisbildung für rechtswidrig. Was ein medizinischer Laie nur so interpretieren kann: Der Gesetzgeber hat im SGB V bezüglich der AMNOG-Systematik etwas vergessen, was rechtlich schnellstens klargestellt werden muss. Denn ohne Mischpreis geht es nicht.

Onkologie: „Zusatznutzen nicht belegt“ in 70 von 147 Subgruppen

Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie e.V. (DGHO) hat nun den Onkologiemarkt seit AMNOG analysiert. Und das Ergebnis ist bemerkenswert: „Die Anzahl der Verfahren, in denen Subgruppen festgelegt wurden, lag zwischen 2012 und 2015 bei 40 – 46 %. Im Jahr 2016 stieg sie deutlich auf 59 % an“ (Gesundheitspolitische Schriftenreihe der DGHO Band 10, S. 12). Und „das häufigste Ergebnis der frühen Nutzenbewertung war: Zusatznutzen nicht belegt“. „Diese Festlegung wurde in 70 von 147 Subgruppenanalysen getroffen (47,6 %).“

Verkürzt dargestellt bedeutet diese Gemengelage: Kein Zusatznutzen: Mischpreis unzulässig, wenn er über der zVT liegt. Verordnung unwirtschaftlich, da ohne Zusatznutzen einem GKV-Versicherten nicht zumutbar.

Versorgungsrealität: zVT häufig unverträglich

In der Verordnungsrealität der Versorgung besteht jedoch diese einfache Welt nicht. Denn häufig wird die alternativ zu bevorzugende zVT nicht vertragen oder sie wirkt nicht. Sehr häufig entspricht sie in der Onkologie nicht dem wissenschaftlichen Therapiestandard und der GBA-Subgruppensystematik. Und zumeist fehlt der Beleg für einen Zusatznutzen in einer Subgruppe nur deswegen, weil in den Zulassungsstudien in der entsprechenden Subgruppe, die erst nach der Zulassung vom G-BA festgelegt wurde, keine Studie durchgeführt worden waren.

So richtig es ist, das bei fehlender Studie ein Beleg fehlt, so falsch ist es zu behaupten, der Wirkstoff hat deswegen keinen Nutzen. Er kann gut oder grottenschlecht sein. Ohne Studie weiß man es halt nicht.

Sonderfall Paediatrie

In der größten deutschen seit Jahrzehnten mit Arzneimitteln behandelten Subgruppe fehlt die Zulassung und der Nutzenbeleg. Das sind die Kinder. Gut 70 % aller Wirkstoffverordnungen im Kindesalter haben keinen Nutzenbeleg. Dennoch kennt man keine Belege, dass Kinder unterversorgt, vergiftet oder fehlversorgt würden. Wir werden diese Beleglage auch nicht bekommen, weil Arzneimittelstudien bei Kindern (Stichwort „Versuchskaninchen“) nur sehr begrenzt bei ihren Eltern Zustimmung finden. (Außer in armen Gegenden der Welt, wo Zustimmung leicht erkauft werden kann).

Das Monitum an dieser Stelle erfolgt deswegen, weil die NOE- und Mischpreisdiskussion dringend mit mehr Augenmaß und Vernunft geführt werden sollte.

Individuelle Patientenprobleme

Ärzte müssen täglich individuelle Patientenprobleme lösen und brauchen dazu zugelassene Arzneimittel. Deren Wirkung und Nutzen wird in Zulassungsstudien abgebildet, die an Patientenpopulationen gewonnen werden, die in der täglichen Praxis nur ausnahmsweise vorzufinden sind. Wenn man die Ärzte jedoch wirtschaftlich bedrängt, defensiv zu handeln unter Hinweis auf das letztendlich unfertige und zeitlich begrenzt richtige Ergebnis des AMNOG-Prozesses, dann verhindert man bewusst und absichtlich die Übertragung des medizinischen Fortschritts auf Patienten. Diese vor allem setzen in der sich dynamisch wandelnden Onkologietherapie ihre letzte Hoffnung.

Gesetzliche Klarstellung zwingend

Jenseits von Dramatisierung der Situation und Alarmismus braucht es dringend eine gesetzliche Klarstellung der Zulassung einer Mischpreisbildung, die vertraglich zwischen Hersteller und Spitzenverband zu vereinbaren ist. Und eine Beauftragung der Schiedsstellen, den Verhandlungsfrieden der streitenden Parteien angemessen herstellen zu können.

Kommt es zu keiner gesetzlichen Klarstellung der Ermöglichung mit einer Mischpreisbildung bei einem „bunten“ Ergebnis der frühen Nutzenbewertung, müssen die Ärzte in jedem Fall  einer Verordnung eines Wirkstoffes aus einer negativ bewerteten Subgruppe mit der Möglichkeit eines Prüfantrags oder gar eines Regresses rechnen. Das ist vor allem in der Onkologie im Patienteninteresse unzumutbar, weil neue Therapieoptionen vor allem deswegen erwogen werden, weil der Therapiestandard (zVT) versagt hat oder nicht vertragen wurde.

Pragmatisch wird bekanntlich eine ähnliche Vorgehensweise in der Kinderheilkunde seit Jahrzehnten akzeptiert. Das sei allen Enthusiasten für eine „Nutzenorientierte Entgeld (NOE) Konzeption“ ins Gedächtnis gerufen. Zugelassene Medikamente ohne belegten Zusatznutzen in einzelnen Subgruppen sind dennoch nötig, um Probleme zu lösen, bei denen die zVT versagt.

Zusammenfassung: Es besteht dringender Handlungsbedarf

Es besteht dringender gesetzlicher Handlungsbedarf zu einer Klarstellung in der Mischpreisproblematik, weil insbesondere in der Onkologie bei der Hälfte aller Neuzulassungen die Subgruppenbewertungen des G-BA zu einem „bunten“ Ergebnis führen. Die Patienten jedoch benötigen bei Versagen des Therapiestandards weitere Optionen mit zugelassenen Wirkstoffen, auch wenn diese in der einen oder anderen Subgruppe (zum Zeitpunkt der Zulassung) einen Zusatznutzen nicht, (bzw. noch nicht) belegen können.

Beitragsbild: © istock.com/Dutko

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