DiGA zanadio hilft Adipositas-Erkrankten

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Das aidhere-Gründerteam Dr. Tobias Lorenz, Dr. Nora Mehl und Henrik Emmert (v.l.) © aidhere
zanadio ist eine Gesundheitsapp, die sich an Adipositas-Patienten richtet. Seit November 2020 ist sie in das DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte aufgenommen. Henrik Emmert, Mitgründer und Geschäftsführer aidhere GmbH, berichtet über das Zulassungsverfahren.

Health Relations: Wie funktioniert Ihre App?

Henrik Emmert: zanadio ermöglicht eine multimodale, ursächliche Therapie, die App-basiert – also digital – umgesetzt wird. Sie orientiert sich an den ärztlichen Leitlinien zur Adipositas-Behandlung und umfasst entsprechend die drei Bereiche Ernährung, Bewegung und Verhalten. Im Rahmen des Programms wird den Patient:innen zunächst das erforderliche Wissen über die Bereiche vermittelt, sie erlernen z.B. eine genauere Selbstbeobachtung. Dann werden sie durch monatliche wechselnde, thematische Schwerpunkte persönlich dabei begleitet, ihre gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen nach und nach zu ändern. So kann eine nachhaltige und gesunde Gewichtsreduktion erreicht werden.

Health Relations: Noch gibt es nur wenige DiGAs in dem Verzeichnis. Gibt Ihnen die Tatsache, als eine der ersten zugelassen zu sein, einen gewissen Marktvorsprung?

Henrik Emmert: Auch fast ein halbes Jahr nach Zulassung der ersten DiGA ist der Versorgungsbereich noch immer sehr neu, damit geht ein hoher Informationsbedarf unter Ärzten und Ärztinnen und Patienten und Patientinnen einher. Die umgebenden Strukturen müssen sich erst entwickeln. Von einem Vorsprung würde ich daher nicht sprechen. Noch sind viele Fragen offen, so gibt es erst seit wenigen Wochen eine eigene GOÄ für die Verordnung von DiGA – mit weiteren Unklarheiten, da die überfälligen Anpassungen des Bundesmantelvertrages für DiGA mit vorläufiger Zulassung noch nicht umgesetzt sind.

Gewiss genossen die allerersten DiGA zu Beginn noch ein klein wenig mehr Aufmerksamkeit. Gleichzeitig geht damit ein höherer Aufwand einher, weil Hersteller und andere Akteure und Akteurinnen den Bereich erst einmal gestalten und über die Versorgungsform aufklären müssen.

Health  Relations: Was waren auf dem Weg der Produktentwicklung bis zur Zulassung die größten Herausforderungen?

Henrik Emmert: Der gesamte Zeitraum der Entwicklung von der ersten Idee bis zur Marktreife hat etwa zwei Jahre gedauert. Ein Produkt für einen bisher nicht existenten Markt zu entwickeln war natürlich eine Herausforderung. Die Anforderungen an DiGA wurden zwar mit der DiGA-Verordnung spezifiziert, der gesamte Zulassungsprozess jedoch war für alle Beteiligten neu. Hier mussten wir teils sehr flexibel auf Anforderungen reagieren.

Adipositas wird Teil des Disease-Management-Programms

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat bekannt gegeben, in die Detailarbeit zum strukturierten Behandlungsprogramm (DMP) Adipositas einzusteigen. Er hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) beauftragt, die medizinischen Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung von Adipositas zu recherchieren und zu bewerten. Die Ergebnisse des unabhängigen Instituts werden vom G-BA benötigt, um wissenschaftlich fundierte Anforderungen an das geplante DMP festzulegen. In dem Behandlungsprogramm sollen verschiedene therapeutische Ansätze für eine bestmögliche Versorgung kombiniert werden: Ziel ist es, die Patientinnen und Patienten mit einer Adipositas leitliniengerecht zu behandeln und sie im Umgang mit der Erkrankung zu unterstützen. Die detaillierten Anforderungen an das DMP Adipositas wird der G-BA bis zum 31. Juli 2023 beschließen.

© aidhere

Henrik Emmert, Mitgründer und Geschäftsführer aidhere GmbH, begrüßt diese Entwicklung: „Mit dem Beschluss für die Entwicklung eines DMP Adipositas ist der erste Schritt getan. Viel bedeutsamer ist jetzt die konzeptuelle und schließlich die praktische Umsetzung des neuen Versorgungsprogramms. Es ist ein sektorenübergreifendes Konzept zu entwickeln, das klassische und digitale Ansätze einbezieht und einen systematischen Weg für eine nachhaltige Behandlung aufzeigt. Viel zu lange wurde die fachkundige und effiziente Adipositas-Versorgung im Gesundheitswesen allzu stiefmütterlich behandelt. Es ist nun höchste Zeit, dass die Selbstverwaltung mit dem DMP den Willen zeigt, diesen Menschen künftig eine bessere Versorgung zu ermöglichen.“

Health Relations: Was muss noch passieren, damit sie dauerhaft aufgenommen wird?

Henrik Emmert: Wir haben die vorläufige Zulassung erhalten, da wir anhand einer systematischen Datenanalyse und einer Pilotstudie schlüssig darlegen konnten, dass die Nutzung von zanadio einen positiven Versorgungseffekt zeigen kann. Die Ergebnisse aus der Pilotstudie waren bereits sehr positiv, darauf bauen wir aktuell mit einer RCT-Studie auf: Diese umfasst läuft noch bis Ende 2021 und bisher übertreffen die Ergebnisse unsere Annahmen. Mit dieser Studie wollen wir dann den erforderlichen Nachweis für die dauerhafte Aufnahme erbringen.

Health Relations: Wie wird die DiGA seit Zulassung von den Ärztinnen und Ärzten angenommen? Wie ist die erste Resonanz?

Henrik Emmert: Wir sehen häufig, dass DiGA als neuer Versorgungsbereich noch nicht ausreichend bekannt sind. Das ist an einer gewissen Skepsis gegenüber digitalen Therapien und DiGA im Speziellen erkennbar. Es sind noch immer viele Fragen offen. Deshalb arbeiten wir gezielt an Informationsprogrammen, beispielsweise zusammen mit dem Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung (SVDGV).

Mit unserer Anwendung stoßen wir bei Ärztinnen und Ärzten aber auch auf großes Interesse und eine positive Einstellung, weil wir mit zanadio eine ursächliche Therapie für Adipositas-Patient:innen bieten. Bisher konnten viele Ärztinnen und Ärzten ihren Patienten und Patientinnen mit Adipositas lediglich Diäten oder Gruppenprogramme empfehlen, hatten aber keine Möglichkeit, eine individuelle Behandlung als Kassenleistung zu verordnen. Mit zanadio ist dies möglich.

Health Relations: Wie transportieren Sie den Nutzen des Programms an die Behandler? Wie erreichen Sie sie?

Henrik Emmert: Wir möchten, dass Ärztinnen und Ärzten dort Informationen über uns finden, wo sie sich gerade bewegen – deshalb setzen wir auf verschiedene Formate: Wir versenden beispielsweise Informationsmaterial an die Praxen, bieten CME-zertifizierte Online-Webinare an oder sind auf Fachveranstaltungen vertreten.

Health Relations: Welche Bedenken haben Ärztinnen und Ärzte noch bei der Verordnung einer DiGA?

Henrik Emmert: Da DiGA für viele noch sehr neu sind, ist auch der Prozess häufig noch fremd: Eine häufige Befürchtung, die wir hören ist, dass sie in der Praxis mit den (technischen) Fragen der Patienten und Patientinnen zum Produkt konfrontiert werden. Dass wir  DiGA-Anbieter schon gesetzlich sicherstellen müssen, dass die Fragen von Nutzern und Nutzerinnen innerhalb von 24 Stunden beantwortet werden, ist meist noch nicht bekannt. Dabei bietet jedes Hersteller-Unternehmen einen umfangreichen Support-Service an.

Auch die Budgetrelevanz ist in vielen Praxen ein Thema, das Fragen aufwirft: DiGA sind allerdings extrabudgetär, sie belasten das Arznei- oder Heilmittelbudget nicht. Hier brauchen wir noch mehr Transparenz, damit solche Unklarheiten nicht zum Hemmnis für digitale Therapien werden.

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