Das Corona-Behandlungszentrum in der Berliner Messe ist betriebsbereit. Mehr als 100 Ärzte und Pflegekräfte konnten bereits gewonnen werden. Obwohl das medizinische Personal vielleicht nie gebraucht wird, geht das Recruiting weiter. Ein Bericht aus Deutschlands größtem Reservekrankenhaus.
Außergewöhnliche Zeiten machen Außergewöhnliches möglich: In nur vier Wochen Bauzeit wurde in der Berliner Messe ein Reservekrankenhaus mit 500 Behandlungsplätzen für Corona-Patienten geschaffen. Bis zu 500 weitere Plätze sollen schrittweise folgen. Das
Corona-Behandlungszentrum-Jafféstraße, so der offizielle Name, soll die 50 Notfallkrankenhäuser in Berlin entlasten, wenn deren Kapazitäten durch die
Corona-Pandemie ausgelastet sind.
Noch kann davon keine Rede sein. Und wenn alles gut geht, wird
Deutschlands größtes Reservekrankenhaus vielleicht niemals gebraucht. Doch die Bilder aus Italien, Frankreich und Spanien haben gezeigt, dass gut aufgestellte Krankenhaussysteme schnell überlastet werden können. Darum hat die Berliner Gesundheitsverwaltung im März beschlossen, für den Fall der Fälle gewappnet zu sein. Ein Plan, der bisher offenbar gut ankam bei den Berlinern.
Mit Albrecht Broemme, dem ehemaligen Leiter der Berliner Feuerwehr und Präsidenten des Technischen Hilfswerks Berlin, konnte ein erfahrener Projektkoordinator gewonnen werden. Und der landeseigene
Vivantes-Krankenhauskonzern hat sich zum medizinischen Betrieb des Reservekrankenhauses bereit erklärt.
Reservekrankenhaus: öffentliche Aufrufe hatten Erfolg
Die größte Herausforderung war dabei weniger, Betten, Medizingeräte und Sauerstoff-Anschlüsse zu beschaffen, sondern geeignetes medizinisches Personal zu rekrutieren. Aber selbst das ist innerhalb von vier Wochen gelungen: Dank den landesweiten Aufrufen durch den Berliner Senat, die Berliner Ärztekammer, durch Vivantes und das neue Zentrum selbst
konnten bis zur Eröffnung am 11. Mai rund 120 Köpfe gefunden werden. Etwa die Hälfte davon sind Ärzte, die anderen 50 Prozent setzen sich aus examinierten Pflegekräften, Pflegehelfern und anderen Helfern wie Rettungssanitätern zusammen.
Diplom-Betriebswirt Stefan Boeckle von Vivantes leitet das Recruiting-Team. © Vivantes
„Die Hilfsbereitschaft unter den Berlinern war enorm und wir könnten mit diesem Team bereits rund 100
COVID-19-Patienten versorgen“, freut sich Stefan Boeckle, Leiter des Recruiting-Teams. Der Diplom-Betriebswirt leitet normalerweise das Auslandsgeschäft von Vivantes. In der Krise ist er quasi über Nacht zum Personalchef des neuen Reserverkrankenhauses geworden, hat zusammen mit vielen helfenden Händen ein Online-Bewerbertool geschaffen, eine Personalkampagne über Social Media gestartet, eine E-Learning-Plattform für die neuen Mitarbeiter sowie ein Personal-Dispositionstool eingerichtet. Unter anderem.
Für die Rekrutierung hat ihm der MDK Berlin-Brandenburg fünf Mitarbeiter zur Seite gestellt. Die neuen „Personaler“ sind von Haus aus Ärzte und Pflegekräfte und sprechen mit jedem einzelnen Bewerber, „ob ihrer fachlichen Expertise auf Augenhöhe“, wie Stefan Boeckle sagt. Drei weitere Fachkräfte aus den Personalabteilungen verschiedener Senatsverwaltungen kümmern sich um die Ausgestaltung der Verträge. Zudem unterstützt die Personalabteilung von Vivantes ihn und sein Team.
Helfen in der Corona-Pandemie: Bezahlt wird nach Tarif
Eine besondere
Vergütung für die Mitarbeiter ist nicht vorgesehen. Bezahlt wird nach Tarif. Ein Grundgehalt für 13 Stunden pro Monat sind in den „befristeten Verträgen auf Abruf“ garantiert. „Es wär ein falsches Signal, die Leute mit finanziellen Anreizen zu locken“, meint Stefan Boeckle, und das sei auch gar nicht nötig. „Wer hier mitmacht, ist einfach motiviert, in der Krise zu helfen.“
Die ärztlichen Bewerber kommen vorwiegend aus dem internistischen, intensiv- und allgemeinmedizinischen Bereich oder haben Erfahrungen in der Notfallmedizin, sind zum Beispiel lange Rettungswagen gefahren. Einige sind in Gemeinschaftspraxen tätig und halten sich vorübergehend für entbehrlich. Andere arbeiten in Teilzeit und haben von daher Zeitreserven oder sind seit kurzem im Ruhestand. Wiederum andere arbeiten zum Beispiel für Pharmafirmen und werden von den Unternehmen für die Aufgabe freigestellt. Und ein weiterer Teil ist oder war für Vivantes tätig.
„Ärzte können ganz gut abschätzen, ob sie der Aufgabe gewachsen sind“, beschreibt Stefan Boeckle das Bewerberprofil, das in der Regel ganz gut passe. Jedoch werde ein Schnitt gemacht, wenn jemand länger als fünf Jahre nicht mehr als Arzt tätig gewesen sei. „Da müssen wir dann nein sagen.“
Kernteam übernimmt das Onboarding
Gemeinsam mit dem Infektionsmediziner und ärztlichen Leiter des Zentrums Prof. Wulf Pankow, ehemaliger Chefarzt am Vivantes Klinikum Neukölln, und der Vivantes-Pflegedirektorin Peggy Dubois stellt der Recruiting-Chef gerade ein Kernteam aus erfahrenen Vivantes-Mitarbeitern zusammen, das für die Inbetriebnahme der ersten Phase und das Onboarding der Mitarbeiter verantwortlich ist. Im Fall der Fälle muss jeder Handgriff sitzen, und das mit einem Team, das sich noch gar nicht kennt. Deswegen müssen sämtliche Abläufe durchgespielt und die neuen Mitarbeiter vor Ort eingewiesen werden. Zudem sind
Online-Fortbildungen Pflicht, darunter ein Crash-Kurs über Corona, dazu gibt es noch freiwillige Lerneinheiten.
Auch wenn das Personal für die erste Phase gesichert ist, geht das Recruiting auf vollen Touren weiter. Zahlen von 800 Mitarbeitern stehen im Raum. Besonders Pflegekräfte und Pflegehelfer werden noch gesucht. Diese Berufsgruppe soll jetzt unter anderem durch den Ausbau der Kampagne „Ihr Platz in der Corona-Krise“ noch zielgruppengerechter angesprochen werden. Die Kampagne läuft bereits seit Mitte April über diverse Social-Media-Kanäle.
Kontakt zu Ärzten und Pflegekräften halten
Dass sich im Pflegebereich bislang nicht so viele Leute gemeldet haben wie eigentlich erforderlich, war für den Personalchef wenig überraschend. Der Markt ist bekanntermaßen ziemlich leergefegt. Doch jetzt kommt noch ein weiteres Problem hinzu: Die Situation hat sich „gefühlt“ entspannt, sodass ein Corona-Reserverkrankenhaus dem einen oder anderen übertrieben scheint.
Außerdem werden gerade viele medizinische Betriebe wieder hochgefahren, sodass manche Ärzte und Pflegekräfte nun eben doch nicht mehr entbehrlich sind. „Aktuell bekommen wir nicht mehr die Flut an Unterstützung wie in der Anfangsphase“, sagt Stefan Boeckle, „auch weil viele wieder zurück in ihren Hauptjob müssen und jetzt nicht mehr zur Verfügung stehen.“
Doch jeder, der einmal interessiert war, könnte wieder anbeißen, wenn tatsächlich eine
zweite oder dritte Infektionswelle kommt. Darum versucht das Personalteam, mit allen qualifizierten Bewerbern in Kontakt zu bleiben und sie per Newsletter und E-Learning-Tools über aktuelle Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten. „Wir bleiben im Gespräch und wir rekrutieren weiter“, sagt Stefan Boeckle, „für einen Ernstfall, der hoffentlich nie eintreten wird.“