Heute gibt es nahezu keine Diskussion im Gesundheitswesen mehr, ohne solche Themen wie Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Eigenverantwortung und New Work. Die junge Generation von Ärzt:innen sieht sich mit zahlreichen Herausforderungen und neuen Entwicklungen konfrontiert, die ihr Arbeitsleben deutlich von dem vorangegangener Generationen unterscheiden. Dr. Moritz Völker ist Vorsitzender der jungen Ärztinnen und Ärzte im Hartmannbund und engagiert sich für ein moderneres Versorgungssystem, das für diese Veränderungen besser gewappnet ist. Er bemerkt, dass sich viele Mediziner:innen einbringen wollen, andere, so sein Eindruck, ziehen sich eher zurück und zeigen sich fast resigniert. Was beschäftigt die junge Generation der Ärzt:innen?
Klimawandel als prägendes Thema
Wenn sich Völker bei seinen Kolleg:innen umschaut, bemerkt er viel Frustration, Hilflosigkeit und Überforderung. Zahlreiche Ärzt:innen fragen sich, wie lange sie noch unter den aktuellen Arbeitsbedingungen weitermachen sollen und planen ihren Rückzug aus dem Beruf. Andere, vor allem engagierte Mediziner:innen, haben das Gefühl, hierzulande keine Veränderungen erreichen zu können und arbeiten lieber im Ausland oder außerhalb der Versorgungslandschaft. Diese Entwicklungen müssen die Gesellschaft alarmieren, denn angesichts des Fachkräftemangels und der Tatsache, dass bald tausende Ärzte und Ärztinnen in den Ruhestand gehen, kann sie es sich nicht leisten, die Jungen zu verlieren. Um die Arbeit gerne zu machen, brauchen sie das Gefühl von Selbstwirksamkeit. „Das Gefühl, etwas bewirken zu können, ist essenziell für die Zufriedenheit im Beruf. Wenn Ärzt:innen sich nur als Rädchen im System wahrnehmen, kann das zu erheblichem Frust führen“, erklärt Völker. Er mahnt aber nicht nur Veränderungen im System an, sondern appelliert auch an die Eigenverantwortung der Kolleg:innen, nach Möglichkeiten zu suchen, aktiv Veränderungen herbeizuführen. Das sei eine wichtige Quelle der Motivation, so der Mediziner.
Ein prägendes Thema der aktuellen Generation von Mediziner:innen ist der Klimawandel. „Der Klimawandel ist nicht nur ein globales Problem, sondern betrifft uns auch direkt in der Medizin“, beschreibt Völker die Situation. Durch die Klimaveränderungen bedingte Krankheiten nehmen zu. Darüber hinaus müssen sich seine Kolleg:innen auch Gedanken machen, wie sie nachhaltiger arbeiten können. „Die Energieeffizienz unserer Einrichtungen und die Nachhaltigkeit von medizinischen Produkten müssen dringend verbessert werden.“ Schon lange ist bekannt, dass Krankenhäuser Energiefresser sind. Um hier Abhilfe zu schaffen, mahnt der Arzt, nicht nur auf erneuerbare Energien zu setzen, sondern gleichzeitig die Energieeffizienz zu erhöhen. Darum fordert er die Einführung energieeffizienter Technologien und eine kritische Überprüfung der bestehenden Verfahren. Dazu gehört auch, dass Ärzt:innen ihr eigenes Verhalten hinterfragen. „Das meiste CO₂ entsteht durch das Verschreiben von Medikamenten. Wir müssen anfangen, uns zu fragen, ob wirklich immer ein Arzneimittel genommen werden muss. Manchmal reichen auch Wadenwickel oder Abwarten.“
Es braucht mehr Eigenverantwortung
Zudem betont er die Bedeutung von Prävention und Eigenverantwortung für die Gesundheit. „Wir müssen den Patienten klarmachen, dass sie selbst einen großen Beitrag zu ihrer Gesundheit leisten können. Prävention ist der Schlüssel, nicht nur die Behandlung von Krankheiten“, sagt er. Dies steht im Einklang mit dem wachsenden Trend hin zu mehr Selbstverantwortung und dem Wunsch nach einem proaktiven Gesundheitsmanagement.
Das sollte jedoch auch nicht ins Gegenteil umschlagen, findet Völker. Der Arzt betrachtet Trends wie „Longevity“ nicht ohne Sorge. „Da steckt auch die Gefahr drin, dass sich das in etwas Falsches umkehrt. Wenn jetzt überall proklamiert wird, dass wir irgendwann 150 Jahre alt werden können, müssen wir uns doch zuvor fragen, wer uns das verspricht und ob das überhaupt sinnvoll ist.“ Völker erlebt immer wieder, dass Menschen am Ende ihres Lebens unnötigen Maßnahmen unterworfen werden, die ihr Leben vielleicht verlängern, aber die Lebensqualität nicht verbessern. „Wir scheinen verlernt zu haben, dass der Tod zum Leben dazugehört und wie wir damit umgehen“, sagt er. Der Druck, wider besseres Wissen alles zu tun, um das Leben zu verlängern, laste auf vielen Ärzten und er wünscht ihnen mehr Mut, sich dem zu widersetzen.
Die Rolle der Pharmaindustrie
In Sachen Nachhaltigkeit sieht Völker auch die Pharmaindustrie in der Pflicht. Seine Kritik: „Es gibt viele Ankündigungen von Pharmaunternehmen über ihre Umweltziele, aber oft fehlt es an konkreten, umsetzbaren Maßnahmen. Greenwashing ist leider noch weit verbreitet.“ Viele Firmen zeigen Initiative, wenn es etwa darum geht, Solarpaneele auf den eigenen Gebäuden zu installieren, aber die Nachhaltigkeit von Lieferketten und die Produktionsbedingungen von Arzneimitteln in anderen Ländern ließen doch sehr zu wünschen übrig, so der Mediziner. Darum fordert er mehr Transparenz und echte Nachhaltigkeitsinitiativen seitens der Pharmaindustrie.
Grundsätzlich findet er die Förderung des Standortes Deutschland nicht falsch, doch wenn es nach ihm ginge, würde vor allem die Produktion von häufig genutzten Medikamenten wie Fiebersäften oder Antibiotika wieder nach Deutschland zurückgeholt. Er und seine Kollegen haben häufig damit zu kämpfen, dass Medikamente nicht lieferbar sind.
Zukunftsperspektiven und technologische Entwicklungen
Für viele Probleme im Arbeitsalltag von Mediziner:innen sieht der Arzt ein großes Potenzial für Verbesserungen durch die Digitalisierung, doch diese sei kein Allheilmittel. „Technologie kann uns helfen, Prozesse zu optimieren und die Versorgung zu verbessern. Aber sie kann die grundlegenden Herausforderungen, wie den Mangel an Fachpersonal und die steigenden Kosten, nicht alleine lösen“, betont er. Völker sieht vielmehr in der Kombination aus technologischem Fortschritt und einem nachhaltigen, präventiven Ansatz den Schlüssel zu einer erfolgreichen Zukunft des Gesundheitswesens.
Ganz wichtig ist ihm noch, dass es nicht an der jungen Generation der Ärzt:innen alleine liegen kann, die Wende zum Positiven zu schaffen. „Die Älteren sind es doch, die gerade in den Machtpositionen sind, und Reformen müssen frühzeitig angeschoben werden, damit sie Wirkung zeigen. Wir brauchen wirklich alle und jeden, damit sich etwas tut!“