Mit den „Nieroes“ rückt Boehringer Ingelheim die Nierengesundheit in den Fokus. Die Awareness-Kampagne sensibilisiert für chronische Nierenerkrankungen – mit Humor und Visuals, die dem Alltag entspringen. Das ist mutig und innovativ zugleich. Ein Interview über Teamarbeit und neue Wege im Pharmamarketing.

Was sind die Nieroes?

Die „Nieroes“ sind das Herzstück der neuen Aufklärungskampagne von Boehringer Ingelheim zur Nierengesundheit. Als freundlich gezeichnete Nierenfiguren machen sie auf ein oft übersehenes Organ aufmerksam. Auf der Website www.deinenieren.de informieren sie über die lautlose Gefahr chronischer Nierenerkrankungen, die häufig erst spät erkannt werden. Nutzerinnen und Nutzer können dort einen siebenstufigen Selbsttest durchführen, der eine erste Einschätzung des persönlichen Risikos ermöglicht. Ergänzt wird das Angebot durch fundiertes Wissen über Nierenfunktionen, medizinische Tests und konkrete Fragen für das nächste Arztgespräch. Entwickelt wurde die Kampagne in Zusammenarbeit mit dentsu (MWO & Dentsu Creative).

Info: Das Interview fand im Ramen der Masterclass „Healthcare-Marketing im Wandel: Das sind die wichtigsten Erkenntnisse aus Boehringer Ingelheims Nieren-Gesundheitskampagne“ auf dem OMR-Festival (Mai 2025) in Hamburg statt. Das sind unsere Interviewpartnerinnen – und partner:

Evelyn Humberg, Porträtfoto, das Bild ist teil eines Beitrags über eine Nierengesundheitskampagne von Boeringer Ingelheim
Boehringer Ingelheim

Dr. Evelyn Humberg, Senior Brand ManagerinBoehringer Ingelheim

Clemens Heilmann, Porträtfoto, das Bild ist teil eines Beitrags über eine Nierengesundheitskampagne von Boeringer Ingelheim
Boehringer Ingelheim

Clemens Heilmann, Boehringer Ingelheim

Jacqueline Schmidt, Porträtfoto, das Bild ist teil eines Beitrags über eine Nierengesundheitskampagne von Boeringer Ingelheim
MW Office

Jacqueline Schmidt, Director Communication Consulting bei MW Office

Health Relations:
Warum braucht Nierengesundheit eine Awareness-Kampagne?

Clemens Heilmann:
Es gibt Krankheiten, die in der öffentlichen Wahrnehmung sehr präsent sind – Bluthochdruck zum Beispiel. Nierenerkrankungen hingegen sind ein blinder Fleck auf der gesundheitlichen Landkarte, obwohl sie medizinisch gesehen sehr relevant sind. Wir bei Boehringer Ingelheim wollten das ändern. Natürlich sprechen wir als Pharmaunternehmen in unseren üblichen Kanälen über Nierenerkrankungen, aber eine breite gesellschaftliche Aufmerksamkeit für dieses Thema fehlte bislang. Dabei sind die Nieren extrem wichtig – das einzige Organ, das wir doppelt besitzen, und das hat seinen Grund. Wir möchten ein besseres Verständnis dafür schaffen, was Nierenerkrankungen bedeuten können. Ich habe es auch in der Masterclass hier beim OMR Festival gesagt: Es geht nicht nur darum, dass man irgendwann zur Dialyse muss – viele präsente Erkrankungen wie Krebs oder Herzinfarkte stehen durch ihre plötzliche, dramatische Erscheinung stärker im Fokus. Nierenerkrankungen hingegen verlaufen oft still im Hintergrund, obwohl sie genauso lebensverändernd sein können.

Health Relations:
Dass das Thema so unterrepräsentiert ist, liegt also daran, dass Nieren unauffällig leiden?

Clemens Heilmann:
Ja. Die Niere tut nicht weh und es können bis zu 90% der Nierenfunktion verloren gehen, bevor überhaupt Symptome auftreten. Viele Menschen wissen nicht einmal, dass sie zwei davon haben. Es ist ein ausscheidendes Organ – das sorgt vielleicht kulturell für eine gewisse Distanz. Ähnlich wie beim Typ-2-Diabetes, wo man lapidar sagt: „Ich habe ein bisschen Zucker.“ Aber niemand sagt: „Ich habe ein bisschen Niere.“ Das Thema wird eher verdrängt, auch weil die Folgen erst nach 10, 15 oder 20 Jahren sichtbar werden – der menschliche Körper ist sehr gut darin, Probleme lange zu kompensieren.

Health Relations:
Sie haben sich bei der Nieroes-Kampagne auf die Zielgruppe der 40- bis 60-Jährigen konzentriert. Warum gerade diese Zielgruppe? Sie haben in Ihrer Masterclass ein Bild feiernder junger Leute gezeigt – eben auch, weil eine Nierenerkrankung schon früh beginnen kann.

Clemens Heilmann:
Das stimmt. Aber es ist auch eine Frage des Gesundheitsbewusstseins. Ich spreche jetzt mal aus männlicher Perspektive: Bis Mitte 30 glaubt man, unverwundbar zu sein. Erst danach beginnt man, sich mit seiner Gesundheit auseinanderzusetzen. In der Altersgruppe 40 bis 60 ist dieses Bewusstsein höher. Zudem sind viele in diesem Alter auch Gesundheitsmanager in ihrem Umfeld – klassisch: Die Ehefrau erinnert den Mann an den Arzttermin. Diese Zielgruppe hat also auch eine gewisse Multiplikatorenrolle.

Screenshot Nieroes, eine gezeichnete Niere auf einem Smartphone mit 3 Fragen darunter. Das Bild ist Teil eines Beitrags über die neue Awareness-Kampagne von Boehringer Ingelheim
Die Nieroes brauchen Deine Aufmerksamkeit. Teil des Fragebogens, den Interessierte digital ausfüllen können.
Screenshot © Boehringer Ingelheim
Screenshot Nieroes, eine gezeichnete Niere auf einem Smartphone mit 3 Fragen darunter. Das Bild ist Teil eines Beitrags über die neue Awareness-Kampagne von Boehringer Ingelheim
Die Nieroes brauchen Deine Aufmerksamkeit. Teil des Fragebogens, den Interessierte digital ausfüllen können.
Screenshot © Boehringer Ingelheim

Jacqueline Schmidt:
Unsere Erfahrungen und Analysen aus anderen Kampagnen zeigen: Bis etwa 38 dominieren Themen wie Kinderwunsch oder Selbstoptimierung. Danach beginnt ein Umdenken – da ist plötzlich jemand im Freundeskreis krank, vielleicht ein Herzinfarkt. Dann wird auch die Niere überprüft. Ab etwa 40 Jahren sieht man in den Befragungen einen starken Anstieg des Gesundheitsinteresses. Da wird Gesundheit wichtiger als z. B. Hausbau oder Familiengründung. Und in dieser Zielgruppe erhalten wir die meisten Rückmeldungen – sei es durch Klicks, Hotline-Anrufe oder Terminvereinbarungen. Jüngere nehmen das Thema zwar zur Kenntnis, sehen aber oft keinen Handlungsbedarf.

Health Relations:
Sie nutzen also eine steigende Aufmerksamkeitsbereitschaft.

Jacqueline Schmidt:
Genau. Wir alle wollen ja 100 Jahre alt werden.

Clemens Heilmann:
Vor allem gesund 100 werden – das ist das Ziel.

Evelyn Humberg:
Deshalb sprechen wir heute auch nicht mehr von „Lifespan“, sondern von „Healthspan“ – also der gesunden Lebenszeit. Es geht nicht nur darum, alt zu werden, sondern möglichst lange gesund zu bleiben.

Jacqueline Schmidt:
Und das betrifft auch das Umfeld. Man möchte, dass auch die Liebsten gesund bleiben. Deswegen sollte man auch immer daran denken: Wen habe ich in meinem Umfeld, der potenziell gefährdet sein könnte?

Health Relations:
Wie haben Sie die Zielgruppe konkret bestimmt?

Jacqueline Schmidt:
Das Alter und das Geschlecht standen fest – wir wollten explizit Frauen und Männer ansprechen. Oft fokussieren Kampagnen nur Frauen, in der Hoffnung, dass sie ihre Männer mitnehmen. Wir wollten aber beide direkt ansprechen. In unserem Haus gibt es eine eigene Consumer-Studie, in der Gesundheitsinteressen abgefragt werden – z. B.: Hast du dich schon mal über Herzinsuffizienz oder Nierengesundheit informiert? Aus den Antworten haben wir dann die relevante Stichprobe analysiert – demografische Merkmale, Werte, bevorzugte Medien-Touchpoints. Auch ganz banale Dinge, wie: Welche Sendungen schauen sie? Punkt 12 oder lieber die Tagesschau? Das hilft uns – sowohl für Insights als auch für die Mediaplanung.

„Viele Kampagnen verlaufen sehr im ‚kleinsten gemeinsamen Nenner‘. Uns war es wichtig, bewusst etwas anderes zu machen.“

Clemens Heilmann:
Wichtig ist auch: Die Zielgruppe unter 40 und über 60 ist natürlich nicht unwichtig. Aber für die Kampagne haben wir uns auf die Gruppe konzentriert, die wir als am einfachsten aktivierbar eingeschätzt haben. Nierengesundheit ist ein Thema für alle – die Entscheidung für diese Zielgruppe war rein strategisch.

Health Relations:
Wie mutig war es, in der Kommunikation auf eine Figur wie die Nieroes zu setzen?

Evelyn Humberg:
Im Vergleich zu anderen Kampagnen: ziemlich mutig. Vielleicht eine 7 oder 8 auf einer Skala von 1 bis 10.

Clemens Heilmann:
Wir hatten in der Masterclass den Vergleich mit anderen bestehenden Kampagnen. Die sind oft sehr glattgebügelt, wenig auffällig – da wird der kleinste gemeinsame Nenner gesucht. Häufig werden Kampagnen so entschieden, dass sie im Meetingraum niemandem wehtun. Für uns war klar: Wir wollen etwas machen, das auffällt. Und das bedeutet auch, neue Wege zu gehen. Eine 7 bis 8 – ich glaube, da geht noch mehr, aber für den Anfang war das ein mutiger und bewusster Schritt.

Health Relations:
Gab es intern Widerstand gegen die Idee?

Evelyn Humberg:
Natürlich gab es Diskussionen – zum Beispiel über die Farbwahl. Aber entscheidend war, dass wir eine interdisziplinäre Kerngruppe hatten, die hinter der Idee stand. Wir haben von Anfang an gesagt: Diese Kampagne funktioniert nur, wenn alle überzeugt sind. Wir haben Patientinnen und Patienten einbezogen, verschiedene Stakeholder mit an den Tisch geholt – auch bei den Pitch-Präsentationen. Und wir haben uns bewusst für Agenturen entschieden, die nicht aus dem klassischen Pharmabereich kommen. Uns war wichtig, kreative Impulse aus dem Consumer-Markt zu bekommen – und nicht die gewohnte Pharma-Kommunikation mit ihren eingefahrenen Mechanismen.

Clemens Heilmann:
Ich selbst komme aus dem medizinischen Bereich, deshalb war es mir wichtig, von Anfang an eingebunden zu sein. Ich wollte sicherstellen, dass die Inhalte medizinisch korrekt, aber trotzdem verständlich sind. Ein Beispiel: Auf der Website gibt es einen One-Pager fürs Arztgespräch – mit einfachen, gut aufbereiteten Informationen. Uns geht es darum, die Kluft zwischen medizinischem Fachwissen und Patientenverständnis zu verkleinern.

Health Relations:
Wie haben Sie getestet, ob die Kampagne funktioniert?

Jacqueline Schmidt:
Wir haben einen Pre-Test durchgeführt – in zwei Strängen. Erstens mit mobilen Ads auf großen Portalen wie GMX oder Spiegel – gezielt für Menschen in Niedersachsen zwischen 40 und 60 Jahren. Ziel war: Klickt jemand auf die Anzeige, geht auf die Website und macht den Test? Zweitens im Wartezimmer: Dort waren wir mit Plakaten, Thekenaufstellern inkl. witziger Postkarten und einem Spot via Wartezimmer TV präsent. Wir wollten herausfinden: Führt das dazu, dass Patientinnen und Patienten aktiv ihre Ärztin oder ihren Arzt auf das Thema Nierengesundheit ansprechen?

Clemens Heilmann:
Für uns war klar: Wenn es nicht mal im Wartezimmer funktioniert – also dort, wo Gesundheit ohnehin im Fokus steht – dann brauchen wir gar nicht erst breiter zu denken. Aber es hat funktioniert. Und zwar besser, als ich ehrlich gesagt erwartet hatte.

Jacqueline Schmidt:
Die Absprungrate auf der Website war extrem niedrig – teils bei nur 12 %, im Schnitt bei 38 %. Das ist im heutigen digitalen Umfeld richtig gut. Die Leute haben sich Zeit genommen, durchgescrollt und sich intensiv mit dem Inhalt beschäftigt. Der siebenstufige Test wurde von vielen vollständig ausgefüllt – das hat uns wirklich positiv überrascht.

Clemens Heilmann:
Dieser Test kommt von der internationalen Nierengesellschaft und ist medizinisch fundiert. Die ersten Fragen sind noch relativ einfach – z. B. „Haben Sie Diabetes?“ – aber später wird es komplexer: „Nehmen Sie regelmäßig Schmerzmittel?“, „Nehmen Sie pflanzliche Arzneimittel?“ Ich hatte Sorge, dass viele da aussteigen. Aber die hohe Abschlussrate zeigt, dass wir die Menschen erreichen und zum Nachdenken anregen konnten.

Evelyn Humberg:
Viele Kampagnen verlaufen sehr im ‚kleinsten gemeinsamen Nenner‘. Uns war es wichtig, bewusst etwas anderes zu machen. Wir wollten keine Angstbilder mit Dialysebetten zeigen, sondern die Menschen dort abholen, wo sie stehen. Die vermitteln auf sympathische Weise Aufmerksamkeit für ein ernstes Thema.

Health Relations:
Und wie geht es jetzt weiter?

Evelyn Humberg:
Der Pre-Test ist abgeschlossen. Jetzt folgt die interne Abstimmung – denn je breiter wir gehen, desto kostenintensiver wird es. Aber wir sind überzeugt: Es lohnt sich. Ob Social Media, Out-of-Home, vielleicht sogar in Apotheken – wir wollen raus aus der Gesundheitsnische und rein in den Alltag der Menschen. Ich kann mir die Nieroes gut am Hauptbahnhof oder an der Elbphilharmonie vorstellen.

Clemens Heilmann:
Die Nieroes sind vielseitig einsetzbar. Wir haben mit Motiven gearbeitet, die auch Risikofaktoren wie Salz oder Alkohol thematisieren – immer alltagsnah, nie belehrend. Aber unser Ziel ist klar: Wir wollen die Aufmerksamkeit für Nierengesundheit in die Mitte der Gesellschaft bringen. Denn die Niere hat ein Branding-Problem. Wann haben Sie zuletzt über Ihre Niere gesprochen?

Health Relations:
Wenn überhaupt, ist das lange her. Der Titel Ihrer Masterclass lautete „Healthcare Marketing im Wandel“. Was glauben Sie: In welche Richtung entwickelt sich die Healthcare-Kommunikation in den nächsten Jahren?

Clemens Heilmann:
Der Kanalmix wird vielfältiger. Aber ich bin kein Verfechter der These, dass der Außendienst verschwindet. Im Gegenteil: Der persönliche Kontakt ist nach wie vor essenziell – gerade bei komplexen medizinischen Themen. Vertrauen entsteht nicht durch Massenkommunikation, sondern durch den Dialog.

Evelyn Humberg:
Gerade im Gespräch zwischen Unternehmen und Ärztinnen und Ärzten ist Vertrauen entscheidend. Das lässt sich nicht komplett digitalisieren. Natürlich ändert sich der Job des Pharmareferenten, aber seine Relevanz bleibt bestehen.

Jacqueline Schmidt:
Unabhängig vom Kanal: Menschen wollen Verbindlichkeit und Emotionen. Ob ich mit einer Freundin spreche oder mit einem Arzt – ich will ein gutes Gefühl haben. Und ich will ernst genommen werden. Genau das leisten die Nieroes: Sie sind keine Angstmacher, sondern empathische Begleiter. Sie sagen: „Wir sind da, wir informieren dich, wir lassen dich nicht allein.“

Clemens Heilmann:
Und wir stehen als Unternehmen klar hinter der Kampagne. Unser Logo ist drauf. Wir sind sichtbar als Absender – aus Überzeugung. Denn Transparenz schafft Vertrauen.

Jacqueline Schmidt:
Diese Kampagne hat übrigens auch uns selbst verändert. Alle, die mitgearbeitet haben, nehmen Wissen und Bewusstsein mit – auch über das eigene Gesundheitsverhalten. Und das zeigt, dass sie wirkt.