Patrick van der Loo, Pfizer Deutschland: „Was fehlt, sind Tempo und Koordination“

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Patrick van der Loo, Country President von Pfizer Deutschland, bringt den Blick eines Global Players auf ein Land, das seine Innovationskraft neu justieren muss. Das Who’s who der Healthcare-Branche: Ein Business-Porträt über Haltung, Wandel und die Kraft persönlicher Erfahrung.
Deutschland überrascht ihn. Weil es anders ist als er vermutet hätte. Langsamer. „Weil ich schon so lange weg war, habe ich wahrscheinlich ein Bild von Deutschland aufgebaut, das nicht der Realität entspricht“, sagt Patrick van der Loo. Ich hatte immer gedacht, dass Deutschland mit Innovationen viel weiter vorausgehen würde, als es sich jetzt zeigt.“
Führung lernt man unterwegs
Seit September 2024 ist Patrick van der Loo Country President bei Pfizer Deutschland. Sein Background ist international. Der gebürtige Niederländer war für Pfizer in Mexiko, Kanada, den USA, Hongkong, Thailand, Japan und zuletzt in Dubai tätig. Während der Pandemie leitete er die Geschäfte in 76 Ländern, von Russland bis Südafrika. Die globale Sichtweise prägt van der Loo privat wie beruflich. 2004 kündigten seine Frau und er ihre Jobs, um für ein Jahr durch Südostasien zu reisen. Ihre Kinder, ein Sohn und eine Tochter, waren damals drei und fünf Jahre alt. Die Reise half ihm, seine „Blind Spots“ als Führungskraft zu erkennen. Er erklärt das lebhaft anhand eines Beispiels. „In Indonesien standen wir an einem Bahnhof und aus meiner Sicht war die lokale Logistik dort nicht funktional. Ich beschwerte mich.“ Seine Frau hätte damals lachend zu ihm gesagt: „Deine europäische Sichtweise passt hier nicht. Das ist nicht der richtige Ansatz.“ Dieser Satz begleitet ihn bis heute. „Man muss sich als Führungskraft anpassen.“ Was definitiv nicht funktionieren würde, ist, US- Arbeitsweisen top-down durchzusetzen. „Man muss verstehen, wie die lokalen Kolleginnen und Kollegen arbeiten und akzeptieren, dass die eigene Methode nicht die einzige oder notwendigerweise die richtige ist.“ Aber dass auch Deutschland für ihn ein „Blind Spot“ war, hat ihn überrascht.
Innovation braucht Geschwindigkeit
Doch Patrick van der Loo ist keiner, der meckert. Er selbst bezeichnet sich als realistischen Optimisten. Die Lage? Anspruchsvoll. Themen wie Genehmigungen für klinische Studien und der lange Weg zwischen Forschung und Anwendung wirken nicht als Innovationsbooster. „Deutschland ist von Platz 2 auf mittlerweile Platz 7 zurückgerutscht bei klinischen Studien.“ Pfizer will die Zahl der Patientinnen und Patienten in den onkologischen Studien des Unternehmens in Deutschland bis 2030 verdreifachen. Die Voraussetzungen seien da, sagt der Landeschef. Wissenschaftlich, strukturell, personell. „Was fehlt, sind Tempo und Koordination. Wenn wir Genehmigungsprozesse beschleunigen und Verträge vereinheitlichen, können wir den Standort wieder attraktiver machen.“
Reden ist eins, machen das andere. Die nötige Bereitschaft seitens der Bundesregierung erkennt er. Fortschritt brauche Mut und Pragmatismus. „Die erkrankten Menschen sorgen sich nicht in erster Linie um Datenschutz, sondern um Krebs“, zitiert er eine Aussage aus dem Vision Zero Kontext von Professor Christof von Kalle vom Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH) an der Berliner Charité. Das beschäftigt ihn nicht nur beruflich. Sein Sohn erkrankte vor neun Jahren an einem Lymphom. Teil der Therapie war ein Antibody-Drug Conjugate des Biotech-Unternehmens Seagen, das seit 2023 zu Pfizer gehört, im Rahmen einer Studie der German Hodgkin Study Group. „Wenn das eigene Kind mithilfe innovativer Medikamente gerettet wird, was soll da mehr motivieren, dich für Innovation einzusetzen?“ 42 Prozent der 108 Programme für neue Medikamente bei Pfizer betreffen derzeit Krebs. Die Pipeline ist gut gefüllt. Jetzt muss es an die Umsetzung gehen.
Wie würden Sie entscheiden?
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Optimist – realistischer Optimist.
Führung im Ausnahmezustand
Seit fast 30 Jahren ist Patrick van der Loo bei Pfizer. Seinen Mitarbeitenden empfiehlt er, sich jedes Jahr oder alle zwei Jahre bei einem anderen Unternehmen zu bewerben, um „Blind Spots“ zu erkunden. Für ihn selbst hatte das Unternehmen so viele Herausforderungen parat, dass er ihm treu blieb. Höhepunkt: Die COVID-19-Pandemie. Zusammen mit BioNTech stellte Pfizer den COVID-19-Impfstoff Comirnaty her, van der Loo verantwortete damals die MERA-Region, die grob den Mittleren Osten, Russland und Afrika umfasst. „Wir hatten mehr als 40 Verträge für den Impfstoff mit einzelnen Ländern.“ 2022 entstand das Projekt „Accord for a Healthier World“, mithilfe dessen Pfizer rund 1,2 Milliarden Menschen in 45 einkommensschwächeren Ländern seine Arzneimittel und Impfstoffe auf gemeinnütziger Basis zur Verfügung stellen will. „Das Aufstellen dieses Projekts mit den Regierungen war die schwierigste Frage, auf die ich je eine Antwort finden musste.“
Pharma schlägt Schallplatte
Auch wenn Patrick van der Loo wie gemacht für die Pharmabranche zu sein scheint, sein Weg hinein war eher Zufall. Nach seinem International-Management-Studium an der Avans University of Applied Sciences in den Niederlanden wollte er eigentlich etwas mit Schallplatten machen. Er mag Musik und hört sie bei seinem täglichen Training. Eine Stunde Gym, am nächsten Tag eine Stunde Laufen. Auf den Ohren: Alles. Von der Tochter erhält er Tipps aus dem Alternative-Bereich, vom Sohn Rap-Empfehlungen aus den Staaten. Klassik, Pop, Rock, van der Loo ist neugierig. Ein Instrument spielt er nicht. Gitarre möchte er irgendwann mal lernen. Der Mensch hat viele Leidenschaften, manchmal muss man sich entscheiden. Seine Abschlussarbeit an der Universität schrieb er über Generika in Mexiko. Die Mischwirkung zwischen Generika und innovativer Industrie fand er spannend. Diese wirtschaftlichen Dynamiken des Gesundheitszyklus, zehn Jahre Exklusivität für Innovationen, gefolgt von billigen Generikapräparaten, was Marken zur weiteren Innovation zwingt. Das reizte ihn. Und so kam, was heute ist.
„Blind Spot“ auf der Weltkarte
Die Zeiten sind fordernd, Patrick van der Loo nimmt die Herausforderungen an. Doch es gibt ein Leben nach der Karriere und eine Region auf dieser Erde, die er noch nicht kennt. „Ich habe die Marco-Polo-App. Ich habe um die 82 Länder besucht. Aber ich bin noch nie unterhalb von Mexiko gewesen.“ Gemeinsam mit seiner Frau würde er gerne für ein halbes oder ein Jahr nach Südamerika gehen. Und dann spukt da noch eine Idee in seinem Kopf herum: „Ich möchte gerne ein klassischer Vespa-Mechaniker werden“, sagt er. „Ich liebe mechanische Sachen. Alte Autos, alte Vespas, analoge Uhren.“ Manche Dinge bleiben, auch wenn alles andere sich immer schneller zu drehen scheint.

