Médard Schoenmaeckers im Porträt: „Wir waren Deutschlands bestgehütetes Geheimnis“

© Boehringer Ingelheim Deutschland
Who’s who in der Pharmabranche: Médard Schoenmaeckers startet in neuer Führungsrolle bei Boehringer Ingelheim Deutschland. Was ihn antreibt, was für ihn neu ist – und was er verändern will.
„Boehringer Ingelheim war damals Deutschlands bestgehütetes Geheimnis“, sagt Médard Schoenmaeckers. „Wir waren stetig gewachsen, aber nur wenige kannten uns.“ Im Februar 2020 trat Schoenmaeckers an, um genau das zu ändern. Als Head of Corporate Affairs sollte er die internen und externen Prozesse des Bereiches auf die eines global agierenden Unternehmens ausrichten – und gleichzeitig die Unternehmensmarke schärfen. Ein schönes Mandat sei das gewesen, sagt er rückblickend. Für ein Unternehmen, das zu den Top 15 der größten Pharmaunternehmen der Welt zählt, sei es essenziell, Sichtbarkeit zu schaffen und Führungsanspruch zu zeigen.
Seit dem 1. April 2025 steht er nun selbst an der Spitze – als Vorsitzender der Geschäftsführung der Boehringer Ingelheim Deutschland GmbH. Er folgt auf Dr. Fridtjof Traulsen, der an den Standort Biberach zurückgekehrt ist. Boehringer Ingelheim beschäftigt in Deutschland rund 18.700 Mitarbeitende (Stand 2024), weltweit sind es nach Unternehmensangaben über 54.500. Das forschende Pharmaunternehmen wurde 1885 gegründet und ist bis heute in Familienbesitz. Tradition trifft auf Innovation – und eine Unternehmenskultur, die Schoenmaeckers als „viel menschlicher und sozialer als in vielen anderen Unternehmen“ beschreibt. Das motiviere ihn heute ebenso wie beim Einstieg im Jahr 2020.
Der gebürtige Niederländer ist ein Familienmensch. Seine internationale Karriere brachte zahlreiche Umzüge mit sich, doch die Familie war immer sein Ankerpunkt. Zwei Kinder hat er, einen Sohn und eine Tochter – beide sind mittlerweile aus dem Haus. „Eine neue Erfahrung für uns – da ist eine Stille im Haus.“ Er wird sie wohl gut zu füllen wissen: Beruflich wartet ein volles Programm an strategischen und operativen Herausforderungen auf ihn – viele davon exemplarisch für die Lage der pharmazeutischen Industrie in Deutschland.
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Plädoyer für Aufholjagd bei klinischen Studien
Der Wechsel von einer internationalen Rolle mit strategischem Fokus hin zur Verantwortung für das operative Geschäft in Deutschland verlangt Schoenmaeckers ein neues Maß an Detailtiefe ab. Ein zentrales Anliegen: der reibungslose Zugang von Patientinnen und Patienten zu innovativen Therapien. Dafür braucht es frühzeitige Marktvorbereitung, gezielte Kommunikation entlang der Customer Journey und enge Abstimmung mit Vertrieb und Medical Affairs. Auch strukturelle Hürden wie die Erreichbarkeit von Fachärztinnen und -ärzten müssen mitgedacht werden. Gleichzeitig wachsen politischer und wirtschaftlicher Druck. Schoenmaeckers warnt: Die Industrie dürfe nicht als Kostenfaktor betrachtet werden – gefragt sei proaktives Reputationsmanagement.
Im Fokus steht dabei auch das AMNOG-System. Die Nutzenbewertung bliebe, so Schoenmaeckers, ein entscheidender Hebel für den Marktzugang in Deutschland, das System müssen wir modernisieren. „Wir sollten nicht nur den medizinischen Mehrwert betonen, sondern auch ökonomische und gesellschaftliche Vorteile innovativer Medikamente klar kommunizieren.“ Schoenmaeckers sieht Aufholbedarf für den Innovationsstandort Deutschland. Noch vor zehn Jahren lag das Land bei der Zahl klinischer Studien weltweit auf Platz zwei – inzwischen wurde es von Ländern wie China, Spanien, Frankreich und dem Vereinigten Königreich überholt. „Während sich die Anzahl der Studien weltweit verdoppelt hat, haben sie sich in Deutschland halbiert.“ Um gegenzusteuern, plädiert er für einen echten Schulterschluss: „Wir brauchen weiterhin einen Pharmadialog – in Berlin und in den Bundesländern. Ein Umdenken ist nötig, damit Deutschland seine Ambition im Koalitionsvertrag erreicht: den innovativsten Markt für Pharma in der Welt zu werden. Um auch künftig wettbewerbsfähig und innovativ zu sein als Pharmastandort – in Europa und weltweit.“
Perspektivwechsel als Führungsprinzip
Innovation beginnt im eigenen Haus, davon ist Médard Schoenmaeckers überzeugt. Er selbst bringt keinen medizinwissenschaftlichen Hintergrund mit. Seine Karriere begann im Commercial- und Investmentbanking. 2001 wechselte er in die Kommunikation, war zehn Jahre in der Ernährungs- und Agrarwissenschaft tätig, kehrte dann ins Bankwesen zurück. Heute leitet er ein forschendes Pharmaunternehmen. Wie fühlt sich das an?
„Für mich ist das ein zentraler Aspekt moderner Führung: nicht alles wissen zu müssen – aber zu wissen, auf wen ich mich verlassen kann.“
„Unglaublich positiv – aber auch nicht immer einfach“, sagt er. Sein Quereinstieg bringe viele Vorteile mit sich, insbesondere seine Erfahrung in der Kommunikation und Politikangelegenheiten. Denn, vielen Herausforderungen ließe sich letztlich mit guter Kommunikation begegnen. Und wenn ihm Fachwissen fehle? Dann fragt er. „Für mich ist das ein zentraler Aspekt moderner Führung: nicht alles wissen zu müssen – aber zu wissen, auf wen ich mich verlassen kann.“
Schoenmaeckers scheut sich also nicht, Fragen zu stellen. Neugier sei sein ständiger Begleiter – und ein Motor für viele seiner beruflichen Wechsel. „Ich war schon immer neugierig.“ Auch neue Technologien faszinieren ihn – etwa die Potenziale Künstlicher Intelligenz: „Als Gesellschaft stehen wir hier ganz am Anfang – im Unternehmen setzen wir die neuen Technologien bereits stark ein.“
Privat hat er einen kleinen Wunsch, für später: ein, zwei Monate in Rom oder New York zu leben – nicht als Tourist, nicht beruflich, sondern als Teil der Stadtgesellschaft. Noch ist das Zukunftsmusik. Aber wer weiß: Für jemanden, der das bestgehütete Geheimnis Deutschlands sichtbarer gemacht hat, ist auch das vielleicht nur eine Frage der Zeit.