Beistand und Gatekeeper – Doppelrolle für Ärzte?

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Im modernen Gesundheitswesen vereinen Ärztinnen und Ärzte zwei scheinbar gegensätzliche Rollen. Sie sind Partner in Sachen Gesundheit und Steuerer der Ressourcen. Vereint können sie zu einer besseren Gesundheitsversorgung beitragen. Wie, das erklärt Dr. Joachim Sauer, Medical Director bei der Agentur dpmed GmbH.
Darum geht es in diesem Beitrag
Patientenzentrierung bedeutet, den Menschen mit seinen Bedürfnissen, Werten und Lebensumständen in den Mittelpunkt der Versorgung zu stellen. Sie basiert auf gemeinsamer Entscheidungsfindung, Empathie und Empowerment. Ziel ist, dass Patientinnen und Patienten ihre Gesundheit selbstbestimmt managen können. Parallel dazu übernehmen Ärzt:innen als Gatekeeper eine zentrale Rolle im Gesundheitssystem. Beide Perspektiven verschmelzen im Alltag, wenn Medizinerinnen und Mediziner ihre Türhüterfunktion als Navigationshilfe wahrnehmen und transparent erklären, welche Maßnahmen warum sinnvoll sind. So werden Ärztinnen und Ärzte zu Wegbereitern, die persönliche Betreuung und Verantwortung miteinander verbinden. Für das Pharmamarketing ergeben sich daraus klare Ansatzpunkte: transparente Information und patientennahe, verständliche Kommunikation.
Patientenzentrierung ist mehr als ein moderner Begriff; sie ist eine Haltung, die den Menschen in den Mittelpunkt der medizinischen Versorgung stellt. Es geht nicht primär darum, ein Symptom oder eine Krankheit zu behandeln, sondern die Person, die davon betroffen ist. Dieser Ansatz betont die individuelle und partnerschaftliche Beziehung zwischen Ärztin, Arzt und Patientin und Patient. Ärztinnen und Ärzte hören nicht nur zu, um Symptome und Erkrankungen zu erkennen und einzuordnen, sondern um die persönlichen Bedürfnisse, Werte, Lebensumstände und Ziele von Betroffenen zu verstehen. Die gemeinsame Entscheidungsfindung, auch Shared Decision-Making genannt, ist hierbei zentral. Statt einseitiger Anweisungen werden Therapieoptionen gemeinsam besprochen, Vor- und Nachteile abgewogen und eine Lösung erarbeitet, die optimal zum Leben der jeweiligen Person passt. Patienten und Patientinnen folgen nicht nur Anweisungen, sondern arbeiten an ihrer Genesung mit. Dabei kommt es darauf an, Betroffene zu befähigen, ihre Gesundheit selbstbestimmt zu managen – was zu größerer Zufriedenheit, besserer Therapietreue und oft auch zu besseren Behandlungsergebnissen führen kann.
Der Arzt als Lotse im System
Im Gegensatz dazu klingt die Gatekeeper- oder Türhüter-Rolle zunächst weniger emotional. Sie beschreibt eine strukturelle Funktion von Ärzten, meist Hausärztinnen und -ärzte, innerhalb des Gesundheitssystems. Als erste Anlaufstelle steuern sie den Zugang zu weiterführenden Leistungen wie Besuche von Fachärztinnen und Fachärzten, speziellen Diagnoseverfahren oder Krankenhauseinweisungen. Ihre Aufgabe ist es, die Weichen zu stellen und dabei die knappen Ressourcen verantwortungsvoll zu verwalten, Über- oder Fehlversorgung zu vermeiden und die Behandlungskoordination zu übernehmen. Ärztinnen und Ärzte entscheiden somit auf Basis medizinischer Notwendigkeit, ärztlichen Wissens und wirtschaftlicher Vernunft, was der nächste sinnvolle Schritt ist. Diese Rolle ist essenziell, um das Gesundheitssystem finanziell stabil und leistungsfähig zu halten und Patientinnen und Patienten vor unnötigen oder potenziell schädlichen Maßnahmen zu schützen. Im Übrigen agieren Ärzte hierbei nicht als Einzelgänger, sondern als Mitglieder von Teams aus Kolleginnen, Kollegen, medizinischen Fachangestellten, Pflegekräften, Therapeutinnen und Therapeuten.
Kommunikator und Weichensteller
Die uneingeschränkte Orientierung am Willen der Patienten versus die regulierende Funktion des Systems: In der Praxis einer guten Ärztin und eines guten Arztes verschmelzen beide Rollen zu einer sinnvollen Einheit. Die Gatekeeper-Funktion hat nicht das Ziel, Leistungen zu blockieren, sondern sinnvoll durch das Versorgungsnetz zu navigieren. Dabei ist Transparenz über die Therapie und ihre Alternativen enorm wichtig. Dies funktioniert vor allem dann, wenn Ärztinnen und Ärzte über aktuelle Konzepte der Diagnostik und Therapie informiert sind.
- Patientenzentrierung ist die philosophische Grundhaltung: Die Behandlung an individuelle Patienten anzupassen.
- Die Gatekeeper-Rolle ist eine strukturelle Funktion innerhalb des Gesundheitssystems: Die Steuerung von Zugang und Ressourcen.
- Gemeinsame Entscheidungsfindung: Ärztin oder Arzt erläutert alle Behandlungsoptionen, Vor- und Nachteile. Patienten bringen ihre persönlichen Prioritäten und Lebensziele ein. Gemeinsam treffen sie eine Entscheidung.
- Ganzheitlicher Blick: Arzt und Ärztin betrachten nicht nur die medizinischen Symptome, sondern auch die psychischen, sozialen und emotionalen Auswirkungen der Krankheit.
- Respekt vor den Wünschen und Werten von Patienten: Die Behandlung wird an den Lebensstil, die familiäre und psychische Situation, die kulturellen und religiösen Überzeugungen der Patienten angepasst.
- Empowerment und Bildung: Die Ärztin/der Arzt befähigt Patienten, sich selbst um ihre Gesundheit zu kümmern, indem er sie informiert, aufklärt und unterstützt. Und arbeitet am eigenen Wissen, um gute Entscheidungen treffen zu können und eigene Fehler zu vermeiden.
- Gute Kommunikation und Empathie: Zuhören, Verständnis und eine vertrauensvolle Beziehung sind fundamental.
In diesem Dialog werden Gatekeeper zu Advokaten der Patienten, die deren individuelle Bedürfnisse kennen und gegenüber dem System, etwa der Krankenkasse, vertreten können. Das ist die Voraussetzung für eine belastbare Patientenzentrierung: Sie stellt sicher, dass die persönliche, empathische Betreuung innerhalb eines medizinisch korrekten, nachhaltigen und gut koordinierten Rahmens stattfindet. Ärztinnen und Ärztemwerden vom Türhüter zum Wegbereiter einer individuellen und verantwortungsvollen Medizin. Keine Überdiagnostik oder Übertherapie, aber eben auch keine Unterversorgung auf Kosten der Patienten.
Fazit: Die Brücke zwischen System und Mensch
Der Dialog schafft eine tiefere, vertrauensvollere Beziehung zwischen Arzt und Patient. Patientinnen und Patienten fühlen sich ernst genommen und verstanden. Ärztinnen und Ärzte gewinnen durch die offene Kommunikation wertvolle Informationen, die ihre diagnostischen und therapeutischen Entscheidungen verbessern und ihre berufliche Reputation stärken. Eine Win-Win-Situation.
Für das Pharmamarketing ergeben sich daraus klare Ansatzpunkte: Therapien müssen unter Berücksichtigung der Ziele und Wünsche von Betroffenen patientennah entwickelt und kommuniziert werden, Shared Decision-Making erfordert einerseits Wissen, andererseits transparente Informationen über Optionen und Nutzen, und Empowerment schließlich lebt von Aufklärung und verständlicher Sprache. Wer Ärzte und medizinisches Fachpersonal dabei unterstützt, Patientinnen und Patienten als Partner ernst zu nehmen und systemgerecht, fachlich angemessen und effizient zu behandeln, der schafft Mehrwert für alle Beteiligten.

