Urs Voegeli ist seit August 2024 Vorsitzender der Geschäftsführung von Janssen-Cilag, dem Pharmasegment von Johnson & Johnson. Was ihn antreibt, wie er seine über 1.000 Mitarbeitenden führt und wessen Feedback ihn besonders berührt hat. Ein Business-Porträt.

„Daddy, don’t you have a growth mindset?“ Die Frage seiner siebenjährigen Tochter, kam für Urs Voegeli unerwartet. Der Auslöser: ein Hula-Hoop-Reifen im heimischen Garten. Sie hatte ihm das Spielgerät in die Hand gedrückt, erwartete seinen Einsatz. Vögeli wich aus, verwies auf ihre größere Geschicklichkeit und wollte sich drücken – und dann kam die Frage. Growth Mindset bezeichnet die Überzeugung, dass Fähigkeiten durch Anstrengung, Lernen und Erfahrung entwickelt werden können. Eine schlaue Aussage, die Urs Voegeli kurz innehalten ließ. „Das war eines der besten Feedbacks, das ich je bekommen habe“, sagt er. Natürlich versuchte er danach, den Hula-Hoop-Reifen zum Kreisen zu bringen. Drei oder vier Sekunden, nicht viel. Aber entscheidend war ja auch etwas ganz anderes: die Haltung dahinter. Neues zu wagen, auch wenn man es noch nicht kann. Etwas, dass Voegeli im Job lebt. Schließlich leitet er ein Unternehmen, das zu 100 Prozent auf Innovation ausgerichtet ist.

Führungskraft und Gitarrist

Seit August 2024 ist Urs Voegeli Vorsitzender der Geschäftsführung des forschenden Pharmaunternehmens Janssen-Cilag, einem Unternehmen von Johnson & Johnson. Für ihn war es eine Rückkehr: 2013 bis 2018 leitete der gebürtige Schweizer die Onkologie bei Janssen in Deutschland. Stationen in der Schweiz und Australien folgten. Der Neustart in Neuss sei für ihn eher ein Nachhausekommen gewesen, sagt er – persönlich wie beruflich. „Das Rheinland ist meine zweite Heimat neben der Schweiz.“ In den ersten Wochen konzentrierte er sich auf den Blick nach außen. Er wollte besser verstehen, wie sich die Branche entwickelt hat, wo Hürden bestehen und wie Johnson & Johnson in Deutschland wahrgenommen wird. Gezielt suchte er die Interaktion, um „ins Tun zu kommen“. Das tut er noch immer, führt Gespräche mit HCPs, Patienten und Patientenorganisatonen, politischen Stakeholdern, Verbänden, um Feedback zu J&Js Portfolio und Pipeline zu erhalten, die Patientenwirkung zu diskutieren, Chancen und Hürden zu erörtern und Partnerschaften zu vertiefen. Mindestens zwei Tage pro Woche ist er außerhalb seines Neusser Büros unterwegs.

Drei Kinder hat er, zwei Söhne und eine Tochter. Die halten ihn zusätzlich auf Trab. Für die Musik bleibt da gerade wenig Zeit. Er ist Gitarrist, solo und in Bands – seit über 30 Jahren schon. Jazz, Pop, Funk, er mag Coldplay-Konzerte, diese emotionale Achterbahn. „Musik trifft Herzen anders als alles andere“, sagt er. Vielleicht ist es genau das, was ihn auch als Führungskraft ausmacht: ein feines Gespür für Töne, Timings und Band-Dramaturgie.

6 Fragen an Urs Voegeli

Schreibtisch: Clean Desk oder Häufchenstrategie?
Clean Desk.

Sport: Lieber zuschauen oder selbst spielen?
Im Rheinland als Fußballfan liebe ich es, Fußballspiele anzuschauen.

Früher Vogel oder Nachteule?
Früher Vogel.

Innovation: Evolution oder Revolution?
Revolution.

Messenger: Sprachnachricht oder Textnachricht?
Text – ist kürzer.

Urlaub: Roadtrip oder all-inclusive Entspannung?
Nächste Woche: all-inclusive Entspannung – in Griechenland.

Wenn es stürmt, muss der Kapitän an Bord sein

Voegeli ist der Typ Schülersprecher, einer, der Führung sucht. Ein innerer Antrieb, wie er sagt. Er musste sich früh beweisen. In seiner ersten Position als Junior Produktmanager bei Pfizer wurde er nur wenige Wochen nach Einstieg mit einer Vertrauenskrise rund um ein Medikament konfrontiert. Es gab neue Daten über die Verträglichkeit eines von ihm verantworteten Produkts. Über Nacht war das Team mit vielen Fragen von Behandlern konfrontiert. Sie gingen in den Dialog, planten Roadshows, setzten auf Aufklärung. „Unheimlich lehrreich.“ Für ihn war das eine prägende Erfahrung. „Gerade wenn es stürmisch ist, muss der Kapitän an Deck sein.“ Dieses Learning begleitet ihn bis heute.

Sein Führungsverständnis ist klar strukturiert. Strategie, ja, aber keine PowerPoint-Präsentationen. Es geht um Verstehen, Vertrauen, Verbindung. Drei Fragen leiten ihn durch seinen beruflichen Alltag: Ist unsere Strategie klar formuliert? Vertrauen unsere Teams darauf, dass sie zum Ziel führt? Versteht jede und jeder einzelne den eigenen Beitrag dazu? Diese drei Faktoren misst er quartalsweise mit einer Umfrage und erhält, sagt er, inzwischen über 90 Prozent Zustimmung bei allen drei Fragen. „Das zeigt mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“ Entscheidend sei dabei, dass Führung nicht Kontrolle bedeute, sondern Empowerment. Teams müssten komplementär aufgestellt sein, bewusst unterschiedlich denken. „Meine Aufgabe ist es, diese Vielfalt zu fördern – und gemeinsam auf ein Ziel auszurichten.“

Modernisierungsstau angehen

Das übergeordnete Ziel ist komplex. Johnson & Johnson Innovative Medicine trägt den Anspruch zur Innovation im Namen. „Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sie möglichst schnell, zielgerichtet und wirksam bei Patientinnen und Patienten ankommt“, sagt Voegeli. Die Herausforderung sind Rahmenbedingungen, die nicht immer mit der Geschwindigkeit der Veränderungen Schritt halten. Er plädiert für eine Modernisierung des AMNOG-Systems: 15 Jahre nach dessen Einführung brauche es ein Update, das heutigen  und zukünftigen Therapiemöglichkeiten gerecht werde. Auch in Sachen Digitalisierung sieht er Nachholbedarf: „Wir können gar nicht mutig genug sein.“ Vernetzung, Datenzugang, interprofessionelle Zusammenarbeit, all das sei essenziell, um Versorgung effizienter, sicherer und besser zu machen.

Pharma muss alte Muster verlernen

Doch nicht nur die Politik steht in der Pflicht. Auch die Pharmabranche selbst müsse umlernen. „Der Ansatz „one pill fits all“ ist ein Ding der Vergangenheit, auch in der Kommunikation.“ Es gehe darum, neue Technologien zu nutzen, um individuellere, wirksamere Kommunikation mit Ärztinnen, Ärzten und Pflegenden zu ermöglichen. In einer eigenen Umfrage unter Onkologinnen und Onkologen in den USA zeigten sich 70 Prozent überfordert mit der Umsetzung verfügbarer innovativer Therapien. „Da liegt es an uns, zu unterstützen, Komplexität zu reduzieren und partnerschaftliche Begleitung zu bieten.“ Patienten-Outcomes statt Absatzkennzahlen, das sei der Maßstab der Zukunft.

Der australische Patient

Urs Voegeli ist Optimist. Geht es nach ihm, wird J&J die  Nr. 1 in der Branche – um noch mehr Patienten zu erreichen – und, um bei wichtigen Diskussionen und Entscheidungen ganz sicher mit am Tisch zu sitzen. Um mitreden und mitgestalten zu können. Inspiration findet er dabei nicht bei großen Managementvorbildern, sondern im direkten Austausch mit Patientinnen und Patienten. Eine Begegnung in Australien prägte ihn besonders: Ein austherapierter Mann, ein Familienvater, mit multiplem Myelom, dem eine innovative Therapie nicht nur neue Hoffnung, sondern Jahre geschenkt hat. „Da brauche ich keine zusätzliche Motivation und Inspiration. Dann weiß ich, warum ich das tue, was ich tue. Und wenn das nicht genug ist, dann ist mir auch nicht mehr zu helfen.“