Das bringen digitale Gesundheitsplattformen für Pharma

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Gesundheitsplattformen
Die Flut an Plattformen führt zu einer immer größer werdenden Datenmenge und zu vielen unterschiedlichen Ablageorten für die Informationen. © McLittle/Canva
Digitale Gesundheitsplattformen sind auf dem Vormarsch. Was verbirgt sich dahinter? Ist es nur ein neuer Trend oder ein echter Gamechanger? Und was haben Pharmafirmen damit zu tun? Health Relations hat recherchiert.

Dass Gesundheitsplattformen die Versorgung verbessern können, steht außer Frage. Ihr größter Nutzen: Informationen, die häufig zwischen verschiedenen Gesundheitseinrichtungen und/oder Ärzt:innen verloren gingen, weil die Systeme im Gesundheitswesen nicht interoperabel sind, werden auf einer Plattform zusammengeführt. Das macht die Versorgung effizienter, transparenter und kostengünstiger.

Unterschiedliche Plattformen
Inzwischen gibt es die unterschiedlichsten Plattformen. Ein paar Beispiele: So sind etwa Forschungsplattformen für die Erfassung bestimmter Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken gedacht. Telemedizinplattformen sollen Leistungserbringer und Patient:innen vernetzen. Software-Entwicklungsplattformen helfen bei der Entwicklung von Software als Medizinprodukten. Für die Pharma wichtig sind Plattformen für klinisches Datenmanagement, die das Management klinischer Studien erleichtern. Und dann sind da noch „horizontale“ regulierte Technologie-Plattformen für die Erfassung und Nutzung von Gesundheitsdaten aus unterschiedlichen Quellen und für die Appentwicklung.

Einzelne digitale Gesundheitsdienste gibt es auch schon in Deutschland. Ein Beispiel sind Online-Terminvereinbarungen (siehe Doctolib), Diagnose-Anwendungen oder auch die Überwachung von chronischen Erkrankungen, die auf Plattformen laufen. Zusätzlich ist das Cloud Computing im Kommen, bei dem medizinische Informationen über die Cloud gespeichert und verarbeitet werden. Inzwischen können Ärzt:innen ihre Praxissysteme in der Cloud laufen lassen. Krankenhäuser speichern darin große Datenmengen, reduzieren so ihren Verwaltungsaufwand und erhöhen die Datensicherheit.

Plattform-Beispiele aus Deutschland

gesund.de

Die gesund.de GmbH & Co. KG wurde Anfang 2021 mit Sitz in München gegründet. gesund.de ist als App und auch im Web verfügbar und fungiert als digitaler Partner, der lokale Gesundheitsversorger:innen mit Patient:innen verbindet. Die gesund.de App- und Webfeatures sollen helfen, die medizinische Versorgung in der Stadt und auf dem Land zu verbessern. Dabei reichen die Services von dem Übermitteln der Rezepte an lokale Versorger:innen über die Bestellung der Medikation bis zu dem Finden der nächstgelegenen Apotheken, Sanitätshäuser und Arztpraxen. Ein Medikationsplan, erweitert das Angebot. Damit soll gesund.de zu einem Gesundheits-Ökosystem ausgebaut werden.

DoctorBox

Die Gesundheits-Super-App DoctorBox ist mit mehr als 1 Million registrierte Nutzer:innen eine der größten unabhängigen Gesundheitsplattformen in Deutschland. Das DoctorBox Gesundheitskonto zentralisiert wichtige Gesundheitsdaten. Außerdem bietet die App verschiedene diagnostische, pharmazeutische und ärztliche Dienstleistungen an. Dabei können die Nutzer:innen wählen, ob sie ihre Daten lokal auf dem eigenen Smartphone oder auf den in Deutschland lokalisierten Servern des Unternehmens speichern wollen. 

Plattformen sind in Pharma angekommen

Auch die Pharmaindustrie nutzt bereits Plattformen. Beispielsweise solche, die bei Studien von Phase I-IV, interventionelle oder NIS-Studien bis hin zur Erhebung von Real-World-Daten (RWD) unterstützen. Auch in Richtung Patient:innen gibt es die ersten Angebote, z.B. in Form von Plattformen, die Patient:innen in ihrer Therapie unterstützen. Werden die Angebote gut angenommen, haben beide Seiten etwas davon: Die Patient:innen erhalten mehr Sicherheit und Hilfe im Umgang mit ihrer Erkrankung und die Pharmaunternehmen anonymisierte Daten für regulatorische Anforderungen oder Produktentwicklungen.

Das klingt alles gut und schön, doch die vielen Plattformen haben einen Haken: Sie führen zu einer fragmentierten Versorgung. Die Flut an Plattformen führt einerseits zu einer immer größer werdenden Datenmenge und andererseits – und hier liegt der Hase im Pfeffer – zu vielen unterschiedlichen Ablageorten für die Informationen. Eine, die alles verbindet, fehlt bisher und so besteht die Gefahr, dass sich Plattform an Plattform reiht, was das Ganze unhandlich und auch unübersichtlich für Patient:innen und Mediziner:innen macht.

Großkonzerne in den Startlöchern

Wie könnten Business-Modelle für die „Alles aus einer Hand“-Plattform aussehen? Der Einzelhandel – siehe Amazon – hat die Plattformbildung schon hinter sich. Sogar Industrien, mit starken Regularien wie der Finanzsektor werden zunehmend auf Plattformen organisiert. Erste Entwicklungen in diese Richtungen zeigen sich auch im Gesundheitswesen – und das mit dem Versprechen von satten Umsätzen. Schätzungen zufolge könnten bis zu 30 Prozent des weltweiten Umsatzes der Gesundheitsbranche drin sein.

Wie so oft macht es in Sachen Business-Modelle Amerika vor, wo der Plattformen-Gigant Amazon voranschreitet. Der Konzern aus Seattle hat unlängst den US-Gesundheitsanbieter One Medical übernommen. One Medical ist ein Telemedizin-Anbieter und Inhaber von nahezu 200 Arztpraxen in den USA. Den Deal ließ sich Amazon fast vier Milliarden US-Dollar kosten. Damit ist das Unternehmen auf dem Sprung, die Online- und Offline-Welt weiter zu verknüpfen. Der erste Schritt dahin ist das jedoch nicht. Im Jahr 2022 hatte die Firma für 180 US-Polikliniken 3,9 Milliarden US-Dollar auf den Tisch gelegt.

Noch beschränken sich Amazons Aktivitäten auf den US-Markt, aber der Schritt nach Europa ist nur eine Frage der Zeit. Darum ist es an der Zeit, dass europäische Player in den Markt einsteigen, um es nicht Tech-Giganten wie Amazon zu überlassen, die Rahmenbedingungen zu setzen.

Erste vielversprechende Ansätze kommen aus der Schweiz:  Hier ist die Gesundheitsplattform „Well“ an den Start gegangen. Nach eigenen Angaben soll diese Patient:innen und Ärzt:innen, Apotheker:innen, Krankenkassen oder Krankenhäuser in einer App miteinander vernetzen. Die Plattform, hinter der unter anderem der DocMorris-Mutterkonzern Zur Rose Group steht, gibt einen Ausblick, wohin die Reise auch in Deutschland hingehen könnte.

Ein Feature besteht darin, Patient:innen mit Gesundheitsfragen mit Expert:innen (Ärzt:innen, Apotheker:innen oder Krankenkassen) zusammenzubringen. Dazu können sich Nutzer:innen 24 Stunden per Chat mit einem Arzt oder einer Ärztin in Kontakt bringen oder eine erste medizinische Einschätzung ihrer Symptome durch eine:n Telemediziner:in durchführen lassen. Außerdem können über die App Medikamente bestellt werden. Well gibt an, mittlerweile mehr als 100.000 aktive User:innen zu haben. Das Unternehmen will expandieren und hat dabei auch den deutschen Markt im Auge.

Fazit

Digitale Gesundheitsplattformen sind ein hochspannendes Business-Konzept mit guten Aussichten auf Wachstum, bei dem auch Pharmafirmen mitmischen wollen. Die Pharma interessiert dabei vor allem die Daten, die auf solchen Plattformen generiert werden. Das Problem: Bisher liegen diese noch nicht in strukturierter Form vor, sodass sie von den Unternehmen noch nicht ausgewertet werden können. Dennoch sollten sich die Firmen so schnell wie möglich mit aufs Feld begeben, denn der Run auf die Plattformen hat begonnen und wer die beste Startposition hat, wird am Ende auch die Daten bekommen.

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