„Pharmafirmen brauchen eine Datenstrategie“

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Laura Wamprecht ist Managing Director Flying Health © Flying Health
Flying Health bietet verschiedenen Playern aus dem Gesundheitswesen – darunter auch Pharmaunternehmen – eine Plattform, um sich auszutauschen, entwickelt Strategien, um Anwendungen zur Marktreife zu bringen und ermittelt Trends für den Healthcare-Bereich.

Laura Wamprecht ist Managing Director bei Flying Health und findet, dass die Pharmabranche in Sachen Digitalisierung noch zu langsam agiert.

Health Relations: Können Sie kurz erklären, was ihre Firma macht?

Laura Wamprecht: Wir definieren unser Unternehmen als Ökosystem für Next Generation Healthcare. Dabei ist uns wichtig, immer einen Systemblick auf das Gesundheitswesen zu haben. Wir sind explizit keine Beratung nur für Krankenkassen, Krankenhäuser oder Gesundheitsunternehmen. Unser Ziel ist vielmehr, alle Akteure einigermaßen ausgewogen zu repräsentieren. Im Unterschied zu klassischen Beratungen versuchen wir, einen Hybrid aus einer Beratung und einer Netzwerkplattform anzubieten. Wir organisieren gemeinsame Events, einen regen Austausch untereinander und regelmäßiges Trendscouting. Dabei diskutieren wir, was gerade am Markt passiert und was das für die jeweiligen Unternehmen bedeutet. Natürlich hat jedes Mitglied im Netzwerk darüber hinaus seine eigenen strategischen Fragestellungen, die wir bearbeiten und mit entsprechenden Maßnahmen – etwa Strategieworkshops oder -projekten – begleiten.

Laura Wamprecht: Sie helfen auch Start-ups, um den Sprung in den Markt zu schaffen. Haben Sie dafür ein Beispiel?

Laura Wamprecht: Wir haben kürzlich eine gemeinsame Pressekonferenz für die DiGA von Teva und HelloBetter moderiert. Die Anwendung ist für Patienten mit chronischen Schmerzen gedacht. Das Projekt ist vor etwa zwei Jahren gestartet. Angefangen hat es mit einer strategischen Diskussion darüber, wie die Versorgung von Schmerzpatienten über die Medikamente hinaus mit einer digitalen Lösung verbessert werden kann. Dazu haben wir ein Konzept entwickelt und im Anschluss in unserem Netzwerk geschaut, wer als Technologiepartner infrage käme. Es gab ein Start-up-Scouting, bei dem Teva mit den jeweiligen Start-ups vernetzt wurde. Schließlich fiel die Wahl auf HelloBetter.

Health Relations: Ist ihr Netzwerk nur auf bestimmte Themen fokussiert oder eher breit gefächert?

Laura Wamprecht: Es ist breit gefächert. Das ist auch unser Anspruch. Wir arbeiten mit gesetzlichen und privaten Kostenträgern, aber haben auch viele Krankenhäuser im Netzwerk. Jede Branche hat dabei ihre eigenen Themen, doch oft gibt es Berührungspunkte. Durch das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) mussten sich alle in Sachen Digitalisierung neu orientieren. Hier merken wir auch, dass unsere Verknüpfung branchenübergreifend ist. Das KHZG betrifft zwar Krankenhäuser, aber auch Technikunternehmen, d.h. wir beraten auch indirekt Kliniken, wenn man mit den Medizintechnik-Unternehmen arbeitet oder es kommen Start-ups mit in die Gespräche, weil sie Angebote für die Häuser haben.

Die Pharmaunternehmen waren während der Corona-Zeit ein bisschen wie in Schockstarre, wenn es um digitale Projekte ging.“

Health Relations: Zu ihrem Netzwerk gehören auch Pharmaunternehmen. Wie ist es ihnen Ihrer Meinung nach in den letzten Monaten ergangen, wie meistern sie die Digitalisierung?

Laura Wamprecht: Ich hatte das Gefühl, die Pharmaunternehmen waren zu Beginn der Corona-Zeit ein bisschen wie in Schockstarre, wenn es um digitale Projekte ging. Sie schienen sich erst einmal um ihr Kerngeschäft zu sorgen und das aufrechterhalten oder gar stärken zu wollen. Das kam aber immer auch auf den Indikationsbereich an. Zum Jahreswechsel 2020/2021 haben wir allerdings eine starke Nachfrage nach unseren Leistungen erlebt, weil die Firmen verstanden haben, dass digitale Medizin den Markt verändert. Es hat sicher noch nicht jeder den perfekten Masterplan, aber ich merke schon, dass mittlerweile mehr Verständnis z.B. für die Erkenntnis da ist, dass eine elektronische Patientenakte (ePA) das Gesundheitswesen verändern wird. Man kann sich darüber streiten, wann diese Veränderung eintreten wird, aber sobald die ePA flächendeckend eingeführt ist, wird sich unsere Versorgungsstruktur wandeln. Und in der Konsequenz hat das eben auch Einfluss auf Pharmaunternehmen.

Health Relations: Corona hat die Digitalisierung in den letzten Monaten zweifelsohne vorangetrieben, aber sich denn auch langfristig etwas ändern?

Laura Wamprecht: Ja, es war nicht ein singulärer Effekt, dass immer mehr Menschen die Videosprechstunde genutzt haben. Es handelt sich dabei um ein nachhaltiges Geschäftsmodell – und das vielleicht nicht unbedingt direkt für Pharmaunternehmen. Aber die Firmen müssen sehen, wie sich ihr Markt ändert und sich darauf einstellen. Das betrifft z.B.den Außendienst. Der muss überlegen, was zu tun ist, wenn Ärzt:innen ein Drittel ihrer Zeit in die Telemedizin investieren und dann nur noch zu zwei Drittel der Zeit in der Praxis angetroffen werden können.

Health Relations: Was können Sie denn für Pharmafirmen tun, um ihnen bei der Digitalisierung weiterzuhelfen?

Laura Wamprecht: Wir können etwa  einen Pipeline-Review für verschiedene Indikationen machen. Dabei betrachten wir frühzeitig den jeweiligen Versorgungspfad und suchen nach digitalen Interventionspunkten. Es gibt beispielsweise Patient:innen, die schon sehr lange beim Hausarzt oder bei der Hausärztin sind und während dieser Zeit merkt keiner, dass schon längst eine Fachärztin oder ein Facharzt eingeschaltet werden sollte. Hier sind es Überlegungen wie: Wie bekommt man Patient:innen, die glauben, bereits die richtige Diagnose zu haben, noch einmal zu einer noch besseren Therapie? Welche digitalen Anwendungen könnten dabei helfen?

Health Relations: Gibt es andere Themen, die für die Pharmabranche in Zukunft spannend werden?

Laura Wamprecht: Ja, das Thema Gesundheitsdaten.  Wir haben darum mit unseren Partnern aus der Pharmaindustrie zusammen daran gearbeitet und überlegt, was digitale Forschungsdaten sind, wofür sie genutzt werden, und wie die Pharmaindustrie dazu positiv beitragen kann. Da zeigt sich, dass die Unternehmen eine Datenstrategie brauchen. Es wird künftig eine so große Varianz an Gesundheitsdaten geben, dass man sich gut überlegen muss, was man damit machen will. Das wiederum stellt auch die interne Rollenverteilung auf den Prüfstand. Ich habe den Eindruck, dass sich dahingehend viele Firmen noch in der Findungsphase befinden.

Health Relations: Woran hakt es denn?

Laura Wamprecht: Pharma ist eine sehr konservative Branche, wo es Stellenprofile mit relativ wenig Gestaltungsspielraum gibt. Das ist auch verständlich, denn die Branche ist stark reguliert. In Zukunft muss ein  Marketing Manager aber vielleicht andere Dinge tun oder es braucht einfach neue Jobprofile, die integriert werden müssen und am Ende des Tages mit den bereits vorhandenen zusammenarbeiten müssen.

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