Dr. Daniel Steiners, Roche: „Deutschland kann wieder zum Top-Standort werden kann“

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Was braucht Deutschland, um international wieder ein Top-Standort für pharmazeutische Innovation zu werden? Dr. Daniel Steiners, Vorstand der Roche Pharma AG, spricht im Interview über regulatorische Hürden, neue Wege der klinischen Forschung und den Paradigmenwechsel in der Kommunikation mit Ärzten und Patienten.
Was erfahren Sie in diesem Artikel?
Der Artikel beleuchtet, wie Dr. Daniel Steiners, Vorstand der Roche Pharma AG, die Zukunft des Pharmastandorts Deutschland bewertet. Er äußert sich zu regulatorischen Hürden, dem Einfluss des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes und den politischen Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung. Außerdem thematisiert das Interview die Rolle des Medizinforschungsgesetzes, Potenziale von Künstlicher Intelligenz in der Arzneimittelentwicklung und die Veränderungen in der Kommunikation mit Ärztinnen, Ärzten und Patientinnen, Patienten. Die Aussagen geben Einblick in die Sichtweise eines Top-Entscheiders eines global führenden Pharmaunternehmens auf die aktuellen Rahmenbedingungen und Entwicklungsperspektiven in Deutschland.
Health Relations: Roche investiert stark in Forschung und Entwicklung. Wie bewerten Sie aktuell den Standort Deutschland?
Dr. Daniel Steiners:Wir brauchen in Deutschland wieder eine echte Willkommenskultur für Innovationen, und zwar quer durch die Gesellschaft. Was mich zuversichtlich stimmt, ist, dass Pharma und Biotech von der Politik explizit als Schlüsselindustrien benannt werden. Aber Papier allein reicht nicht. Wir müssen das auch leben. Das bedeutet, es braucht verlässliche Rahmenbedingungen für Forschung, Entwicklung, Produktion und Marktzugang. Ohne eine klare Perspektive wird sich keine Investition langfristig binden.
Health Relations: Welche politischen Maßnahmen haben zuletzt Einfluss genommen?
Dr. Daniel Steiners: Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz war ein Bruch. Es hat viel Vertrauen zerstört und eine Schlüsselindustrie massiv geschwächt. Wir haben 2023 Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz eingelegt. In der Zwischenzeit wurden erste Regelungen aus dem Gesetz rückgängig gemacht, weitere Kurskorrekturen müssen folgen. Positiv ist, dass daraus ein ernsthafter Dialog entstanden ist, der zum Beispiel im Pharmagipfel 2023 sichtbar wurde. Dort kamen Politik, Wissenschaft und Industrie zusammen. Daraus ist eine neue Pharmastrategie entstanden, auf deren Basis erste Gesetzesinitiativen wie das Medizinforschungsgesetz auf den Weg gebracht wurden.
Health Relations: Inwiefern ist die Umsetzung dieser Strategie bereits spürbar?
Dr. Daniel Steiners:Wir sind nicht am Ziel, aber auf dem Weg. Die ersten Maßnahmen adressieren zentrale Schwachstellen wie die Beschleunigung von Ethikkommissionsverfahren oder Standardvertragsklauseln für klinische Studien. Das schafft Erleichterung. Entscheidend ist aber, dass nun eine konsequente Umsetzung folgt, und zwar ohne neue bürokratische Hürden.
„Klinische Studien dürfen keine Blackbox sein.“
Health Relations: Klinische Forschung in Deutschland hat an Bedeutung verloren. Wie kann das geändert werden?
Dr. Daniel Steiners:Wir sind vom weltweit zweitwichtigsten Standort auf Platz vier gefallen. Länder wie Spanien haben uns überholt. Das hat Konsequenzen. Wenn Studien nicht in Deutschland stattfinden, gehen wichtige Investitionen in den Forschungsstandort verloren und ganz praktisch gesehen: Ärztinnen und Ärzte können weniger früh Erfahrungen mit innovativen Ansätzen sammeln. Das Medizinforschungsgesetz ist ein richtiger und wichtiger Schritt zur Entbürokratisierung. Aber wir müssen ehrlich sein: Es ist nur ein erster Baustein, um dorthin zu kommen, wo andere Länder heute schon sind. Parallel dazu müssen wir eine umfassende Digitalisierung vorantreiben und das Studienpersonal durch finanzielle Anreize sowie anerkannte Qualifikationen stärken.
Health Relations: Wo sehen Sie konkrete Potenziale, um daran etwas zu ändern?
Dr. Daniel Steiners:Transparenz ist ein Schlüssel. Studienregister müssen auch für Patientinnen und Patienten verständlich sein. Hinzu kommt, dass heute viele Beschreibungen so technisch sind, dass sie selbst für Fachleute kaum zugänglich sind. Dabei ist die Realität, dass eine Teilnahme an einer Studie nicht bedeutet, „Versuchsperson“ zu sein. Die Teilnahme bedeutet vielmehr den frühzeitigen Zugang zu einer möglicherweise wertvollen Behandlungsoption für Patientinnen und Patienten – unter intensiver medizinischer Betreuung. Diese Perspektive fehlt in der öffentlichen Debatte und die müssen wir stärker kommunizieren. Es ist wichtig zu betonen, dass die Behandlung im Rahmen einer klinischen Studie keine zugelassene Therapie darstellt.
Health Relations: Welche Rolle kann Künstliche Intelligenz dabei spielen?
Dr. Daniel Steiners: Eine große. KI kann dabei helfen, medizinische Inhalte in patientenfreundliche Sprache zu übersetzen. Sie kann Ärztinnen und Ärzten helfen, Studien zu finden, die für ihre Patientinnen und Patienten passen. Aber auch hier gilt: Die Verantwortung bleibt beim Menschen.
Health Relations: Wie verändert KI darüber hinaus die Arbeit der Pharmaindustrie?
Dr. Daniel Steiners:Wir sprechen hier nicht über Zukunftsmusik, sondern über laufende Praxis. In der Forschung setzen wir KI längst ein. Zum Beispiel bei der Entwicklung neuer Moleküle. Das ist ein Ansatz, den wir „Lab in the Loop“ nennen. Aber: Dafür braucht es enorme Rechenkapazität. Deshalb arbeiten wir mit Partnern zusammen. Gleichzeitig nutzen wir KI, um Inhalte für Ärztinnen, Ärzte, Patientinnen und Patienten so aufzubereiten, dass sie an deren Vorwissen, Sprache oder Nutzungsgewohnheiten angepasst sind.
Health Relations: Was bedeutet das für die Arzt-Patienten-Beziehung?
Dr. Daniel Steiners:Wir erleben einen echten Paradigmenwechsel. Patientinnen und Patienten sind nicht mehr passiv Empfangende von Anweisungen, sondern wollen verstehen und mitentscheiden. Shared Decision Making wird zum neuen Standard. Damit das gelingt, braucht es Informationen in zugänglicher Form, das bezieht sich nicht nur auf textliche, sondern auch auf visuelle, auditive oder mehrsprachige Aspekte. Wir arbeiten deshalb eng mit unserem „Patient Advisory Council“ zusammen und entwickeln Formate wie Podcasts oder Hintergrundinformationen. Ein Beispiel ist das sogenannte KI Whitepaper, welches erläutert, wie KI Sprachmodelle Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen befähigen, aktiv am Shared Decision Making teilzunehmen – vom Arztbesuch bis zur Therapieentscheidung – und zeigt konkrete Praxis‑ und Prompt‑Beispiele.
Technologie als Enabler
Health Relations: Welche Rolle spielt der persönliche Kontakt der Pharmaindustrie zu Ärztinnen und Ärzten?
Dr. Daniel Steiners:Eine essenzielle. Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Es geht um Dialog. Viele Ärztinnen und Ärzte haben Rückfragen, wollen diskutieren oder Erfahrungen
teilen. Dieser Austausch kann digital unterstützt, aber niemals ersetzt werden. Deshalb behalten Kongresse einen hohen Stellenwert, genauso wie Außendienstgespräche. Wichtig
ist, dass wir Informationen so aufbereiten, wie sie individuell gebraucht werden: von tiefen klinischen Daten bis hin zu kompakten Übersichten. Technologie ist ein Enabler, keine
Ablösung.
Health Relations: Die Anforderungen an Mitarbeitende steigen auch im Pharmamarketing, bei gleichzeitigem Fachkräftemangel. Wie gehen Sie damit um?
Dr. Daniel Steiners: Wir merken den Druck, keine Frage. Aber wir haben einen Vorteil: Die Menschen, die sich für unsere Branche entscheiden, tun das meistens aus Überzeugung. Unser Purpose zieht. Gleichzeitig investieren wir stark in Weiterbildung, und das nicht als einmalige Schulung, sondern als dauerhaften Lernprozess. Mit unserer Initiative „Everyday AI“ zeigen wir, dass Künstliche Intelligenz kein Spezialthema ist, sondern allen helfen kann, ihren Arbeitsalltag effizienter und besser zu gestalten.
Health Relations: Sie sagen, Ihre Mitarbeitenden sind Überzeugungstäter. Was treibt Sie persönlich an?
Dr. Daniel Steiners: Ich erinnere mich an eine Patientin, die nach einer Veranstaltung auf mich zukam. Sie sagte: „Ihr Medikament hat mich gerettet.“ Sie ist alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Solche Begegnungen sind für mich Antrieb und Verpflichtung zugleich. Am Ende geht es nicht um Zukunftstechnologien. Es geht um das Leben von Menschen. Und dafür lohnt sich jede Anstrengung.
Shared Decision Making als Ziel
● Patientinnen und Patienten möchten informiert mitentscheiden
● Informationen müssen barrierefrei und mehrsprachig zugänglich sein
● KI kann Inhalte verständlich aufbereiten und übersetzen, mehr dazu im Whitepaper “KI und Shared Decision Making”
● Roche nutzt Podcasts, Whitepaper und arbeitet eng mit Patientenvertretungen zusammen