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Wie entsteht Fehlerkultur im Pharmamarketing? Und warum fällt es der Branche schwer, offen über gescheiterte Projekte zu sprechen? Im Gespräch mit Dennis Sabala, Product Owner Omnichannel bei Grünenthal, beleuchtet Health Relations, wie Unternehmen aus Fehlern lernen, Risiken frühzeitig mitigieren und durch reflektierte Führung Innovation fördern können. Der Artikel zeigt, warum Scheitern kein Makel ist, sondern sogar zu einem Fortschritt führen kann und wie Künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Teamkultur das Verständnis von Erfolg in der Pharmaindustrie verändern.

Erfolgsgeschichten liebt die Branche. Aber über Misserfolge? Spricht man in der Pharmaindustrie eher selten. Wenn überhaupt, dann rückblickend als Wendepunkt, der zum Triumph geführt hat. Doch was passiert, wenn Projekte nicht gelingen und Investitionen versanden? Wie entsteht in einer Branche, die auf Sicherheit, Evidenz und Kontrolle ausgelegt ist, eine echte Fehlerkultur? Darüber sprach Health Relations mit Dennis Sabala, Product Owner Omnichannel bei Grünenthal.

Health Relations: Das Thema Fehlerkultur wird in vielen Branchen gern beschworen, allerdings oft eingebettet in eine Erfolgsgeschichte. In der Realität gilt Scheitern oft als Makel. Wie offen geht die Pharma Ihrer Erfahrung nach damit um?

Dennis Sabala: Ich glaube, die Branche kann beides, scheitern und darüber sprechen. Aber oft fehlt der Kontext. Es gibt beim Scheitern Fehler in der Ausführung und es gibt Lernprozesse. Bei Grünenthal unterscheiden wir zum Beispiel zwischen prozessualen und strukturellen Fehlern. Wir betrachten sie nicht als Makel, sondern als Teil des Fortschritts. Wichtig ist, dass ein mögliches Scheitern nicht erst am Ende sichtbar, sondern schon in der Planungsphase bedacht wird. Wenn man die Risiken einkalkuliert und frühzeitig die Kommunikation startet, kann man am Ende kaum noch von einem echten Fehler sprechen, sondern von einem Learning.

„Viele Unternehmen starten ein Projekt, weil ein Schlagwort attraktiv klingt. Aber was ist das Ziel? Und welches Problem soll gelöst werden? Wenn diese Fragen nicht beantwortet sind, landet man schnell bei teuren Experimenten ohne echten Nutzen.“

Health Relations:Was sind typische Fehler, die im Pharmamarketing passieren, und gibt es neue, die durch KI und Digitalisierung hinzukommen?

Dennis Sabala: Die Fehler verändern ihr Gesicht, aber nicht ihr Wesen. Ein Klassiker ist das Missverständnis zwischen globalen und lokalen Strukturen. Wenn die Kommunikation zwischen diesen Ebenen nicht funktioniert, entstehen Brüche, die ganze Projekte ausbremsen können. Neu ist sicher, dass heute technische Aspekte eine viel größere Rolle spielen. Früher hieß es in Projekten oft: „Über die Technik sprechen wir erst später.“ Das funktioniert meiner Ansicht nach aber nicht mehr. Pharmaunternehmen sind heute – ob sie wollen oder nicht – zum großen Teil softwaregetriebene Unternehmen. Wer technische Komponenten ausklammert, plant an der Realität vorbei.

Health Relations: Der aktuelle Hype ist unbestreitbar KI.Hier fällt die Trennung von gerechtfertigter Begeisterung und Hype oft schwer. Warum ist es problematisch, wenn die Branche einem Hype hinterherläuft?

Dennis Sabala: Weil man manchmal vergisst, das eigentliche Problem zu definieren. Viele Unternehmen starten ein Projekt, weil ein Schlagwort attraktiv klingt. „Wir müssen KI bei uns umsetzen.“ Aber was ist das Ziel? Und welches Problem soll gelöst werden? Wenn diese Fragen nicht beantwortet sind, landet man schnell bei teuren Experimenten ohne echten Nutzen oder schlimmer, bei gescheiterten Experimenten. Ich vergleiche das gern mit Kindern: Diese hinterfragen oft so lange eine Antwort, bis sie mit dem Ergebnis für sich zufrieden sind oder die Eltern aufgeben. In der Arbeitswelt verlassen wir uns jedoch mittlerweile viel zu häufig auf die magische KI und Ihre Antworten, hinterfragen diese aber zu selten. Wenn es um den Einsatz von KI geht, sollte die höchste Priorität in der Problemerkennung liegen. Erst dann können Ziele definiert werden und dann die Tools, also die KI.

Health Relations: Bedeutet das, dass viele Projekte an einer unklaren Zieldefinition scheitern?

Dennis Sabala:Das kann eine der Ursachen sein. Ein Beispiel hierfür ist der Unterschied zwischen einer Investition, die notwendig ist, und einer, die Prozesse optimieren soll. Wenn eine Maschine kaputt ist, muss eine Investition zur Reparatur oder zum Ersatz getätigt werden, sonst steht die Produktion still. Das negative Ergebnis einer nicht getätigten Investition ist sehr hoch, und der Nutzen der Investition ist sehr klar. Wenn eine Investition in ein neues Tool getätigt wird, nur weil es spannend klingt, ist die Fehlertoleranz eine ganz andere. Das eine ist unternehmerische Notwendigkeit, das andere eine Opportunity.

Health Relations: Sie sagen also, Scheitern hängt auch davon ab, wie schmerzhaft der Verlust ist?

Dennis Sabala: Absolut. Wenn das Geld nicht wehtut, fällt es leichter, Fehler als Lernchance zu sehen. Wenn es aber wirklich schmerzt, weil andere Projekte darunter leiden, muss man vorher ehrlich abwägen: Können wir uns dieses Risiko leisten? Fortschritt braucht Mut und Investitionen, aber auch gesunde Planung, um das Risiko zu mitigieren.

Health Relations:Wie können Führungskräfte eine offene Fehlerkultur fördern?

Dennis Sabala: Indem sie selbst akzeptieren, dass sie nicht alles wissen. Das klingt banal, ist aber entscheidend. Wer neue Themen vorantreibt, muss verstehen, wo die eigene Expertise endet und ab welchem Zeitpunkt externes Know-how notwendig wird. Wenn eine Führungskraft über KI entscheidet, ohne zu wissen, was KI ist, kann selten gesunder Output erfolgen. Gute Führung bedeutet nicht, alle Antworten zu haben und alles selbst im Micromanagement zu erledigen, sondern die richtigen Fragen zu stellen und Menschen zu ermutigen, Neues auszuprobieren.

„Wir reden oft über Projekte, die schiefgelaufen sind, aber selten über die, die gar nicht erst begonnen wurden.“

Health Relations:Was ist mit Nichtstun? Ist das manchmal der größere Fehler?

Dennis Sabala: Wir reden oft über Projekte, die geklappt haben, seltener über die, die schiefgelaufen sind, aber kaum über die, die aus bestimmten Gründen nicht begonnen wurden. In der Pharma neigen wir dazu, Gründe zu finden, warum etwas nicht geht, wegen Compliance, Medical Affairs, IT oder Regularien. Aber Innovation entsteht nicht, wenn man frühzeitig aufgibt. Wir sind uns alle bewusst, dass manche negative Faktoren nicht verändert werden können. Es ist aber wichtig, solche Projekte in einer Art warmen Backlog zu halten. Wer weiß, ob sich nach einer Zeitperiode X, neuen Insights und anderen Blickwinkeln solche Projekte nicht wieder aufwärmen lassen?

Health Relations: Was bedeutet das konkret für das Pharmamarketing?

Dennis Sabala:Mehr Mut zur Kooperation innerhalb der verschiedenen Teams im Pharmaunternehmen. Wir brauchen Expertinnen und Experten, aber auch Generalistinnen und Generalisten, die über den Tellerrand schauen. Wenn verschiedene Abteilungen gemeinsam an einer Idee arbeiten, entsteht Bewegung. Und selbst wenn etwas scheitert, bleibt das Wissen. So entsteht echte Innovation.

Health Relations: Und am Ende geht es um Haltung?

Dennis Sabala:Scheitern ist normal, man kann es nicht verhindern. Aber man kann lernen, besser damit umzugehen. Wer keine Fehler macht, verwehrt sich der Selbstreflexion und dem eigenen Wachstum.