Agiles Arbeiten: Welche Methoden eignen sich für Pharmaunternehmen?

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Agile Methoden helfen Pharmaunternehmen, dem Innovationsdruck der Digitalisierung standzuhalten. „Kanban“, „Scrum“ oder „Design Thinking“: Welche Methode sich für welchen Zweck am besten eignet, erklärt Johannes Lynker, Director bei der in//touch, einer Unternehmensberatung für Pharmaunternehmen.

Health Relations: Pharmaunternehmen setzen sich auf vielen Ebenen mit der Digitalisierung auseinander. Wie wichtig ist es für die Konzerne, hier schnell vorzugehen?

Johannes Lynker, Director in//touch. © good healthcare group
Johannes Lynker, Director in//touch  © good healthcare group

Johannes Lynker: Sich mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen und eigene Antworten zu finden, ist die notwendige Voraussetzung, nachhaltig wettbewerbsfähig zu bleiben und das eigene Überleben zu sichern. Die größte Gefahr geht von Wettbewerbern aus, die durch ihre Größe und Innovationsgeschwindigkeit weder übernommen noch überholt werden können. Für Pharmaunternehmen sind es vor allem Tech-Konzerne, die unlängst eigene Life-Science-Abteilungen gegründet haben und mit voller Kraft an der Commoditisierung etablierter Unternehmen arbeiten.

Health Relations: Hilft agiles Arbeiten Pharmaunternehmen, die stark reglementierten Prozesse  voranzutreiben?

Johannes Lynker: Sehr stark reglementierte Prozesse haben gleichzeitig das größte Potenzial von agilen Methoden zu profitieren. Die Einführung von teamübergreifend agilem Prozessmanagement nach „Kanban“-Vorbild kann helfen, Probleme zielgerichtet und unmittelbar zu lösen, ohne dabei den Gesamtprozess auszubremsen oder zu stoppen. In Bereichen wie Social-Media-Marketing und Online-Customer-Support sind agile Methoden sogar die Grundvoraussetzung, um leistungsfähig zu sein.

“ Agile Produktentwicklung baut darauf auf, alle Arbeitsprozesse so auszurichten, dass schnell testbare Ergebnisse generiert werden.“

Health Relations: „Kanban“ ist ebenso wie „Scrum“ und „Design Thinking“ eine Methode des agilen Arbeitens. Was ist der zentrale Punkt dabei?

Johannes Lynker: Die Grundannahme jeder agilen Methode ist, dass sich das Ziel im Laufe eines Projektes ändern kann und soll.  Agile Produktentwicklung baut beispielsweise darauf auf, alle Arbeitsprozesse so auszurichten, dass schnell testbare Ergebnisse generiert werden. Diese können dann bei Bedarf in einem iterativen Prozess weiter verfeinert werden. Etwaige Fehlentscheidungen können so früh erkannt und korrigiert werden. Hierdurch werden nicht nur kostspielige Fehler vermieden, sondern es wird auch die generelle Hürde für Investitionen in innovative Ideen gesenkt.

Health Relations: Wie sieht das im Detail aus?

Johannes Lynker: Agile Methoden setzen auf Kleinteiligkeit und Selbstbestimmung. Projekte werden in kleine möglichst abgeschlossene Arbeitspakete zerlegt. Diese werden zentral gesammelt, einer Aufwandsschätzung unterzogen und mit einer Priorität versehen. Die so gewichteten Arbeitspakete bezeichnet man als „Backlog“, der in Summe den gesamten Scope des Projektes abbildet. Die Abarbeitung der Arbeitspakete verläuft dann je nach Methode entweder timeboxed in fest definierten Iterationen, sog.  „Sprints“, oder in einem kontinuierlichen „Flow“. Durch die kurzfristige Tätigkeitsplanung können  im laufenden Projektbetrieb neue Aufgaben hinzugefügt oder geändert werden.

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Kanban ist ebenso wie Scrum oder Design Thinking eine Methode des agilen Arbeitens. © Pixel-Shot / Adobe Stock

Health Relations: Welche Methode eignet sich für welchen Zweck am besten?

Johannes Lynker: Bekannte agile Referenzmodelle wie „Scrum“ und „Kanban“ können Orientierung geben und dabei helfen, die vielfältigen Komplexitätsdimensionen greifbar zu machen. „Kanban“ kann als agile Projektmanagement-Methode helfen, komplexe Prozesse zu vereinfachen und dabei Effizienz und Sichtbarkeit erhöhen. Der Kern von „Kanban“ ist das präzise Abstimmen von Produktions- und Wertschöpfungsschritten zur Minimierung von Leerständen, Lagerhaltung und ungenutzten Produktionskapazitäten. Eine „Kanban-Karte“ wandert dabei als Laufzettel von Station zu Station und dokumentiert den gesamten Vorgang transparent.

Health Relations: Und wie sieht es mit „Scrum“ und „Design Thinking“ aus?

Johannes Lynker: In Abgrenzung zu „Kanban“ liegt der Fokus bei „Scrum“ weniger auf agilem Prozessmanagement, sondern mehr auf agiler Produktentwicklung. Durch die Einführung von cross-funktionalen Produktteams und einer klaren Formalisierung von Projektrollen wird die Produktentwicklung unabhängiger von anderen Unternehmensprozessen. Diese Unabhängigkeit erlaubt es, eigene Wege zu gehen und schneller Ideen zu validieren. „Scrum“ führt neben dedizierten Projektrollen, z.B. dem „Scrum Master“ als Prozessverantwortlichem und dem „Produkt Owner“ als Produkt-Feature-Verantwortlichem, auch zahlreiche Planungs- und Governance-Institutionen ein. Entwicklungsiterationen verlaufen bei „Scrum“ klassischerweise timeboxed in „Sprints“.

„Design Thinking“ ist eine Sammlung von agilen Methoden zur Design-, Strategie- und Ideengenerierung, die in der Summe ein allgemeingültiges Framework zum kreativen Lösen von komplexen Problemen bilden. Im Kern zielt „Design Thinking“ darauf ab, ein Problem möglichst holistisch zu erfassen und innovative Lösungsansätze zu generieren, die in einem iterativen Prozess validiert und verfeinert werden können. „Design Thinking“ nutzt dabei zahlreiche Tools, die es erlauben möglichst viele und kreative Ideen zu generieren und diese in operationalisierbare sowie testbare Strategien zu überführen. Am Ende eines „Design Thinking“-Prozesses steht in der Regel ein Prototyp „Minimal Viable Produkt (MVP)“, der zur Validierung der Annahmen und zur Weiterentwicklung der Lösung genutzt werden kann.

„Alle agilen Methoden helfen, Risiken zu minimieren und die Geschwindigkeit und Innovationskraft im eigenen Unternehmen zu erhöhen.“

Health Relations: Demnach ist es, je nach Zielsetzung, sinnvoll, mit verschiedenen agilen Methoden zu arbeiten?

Johannes Lynker: Die Antwort ist ein klares Ja. Wenn Probleme noch nicht klar definiert sind oder die klassische Problemlösung an ihre Grenzen stößt, kann „Design Thinking“ dazu dienen, neue Wege aufzuzeigen und Ideen zu validieren. Wenn Probleme bereits bekannt und adressierbar sind, können „Scrum“ und „Kanban“ helfen, Organisation und Prozesse anzupassen, um diese zu lösen.

Allgemein gilt: Alle agilen Methoden helfen, Risiken zu minimieren und die Geschwindigkeit und Innovationskraft im eigenen Unternehmen zu erhöhen. Pharmaunternehmen sollten daher die möglichen Potenziale für ihre Organisation evaluieren – egal ob für die Gesamtorganisation, Ländergesellschaft oder Marketing- und Vertriebsabteilung. Nicht zu handeln bedeutet dabei, den langfristigen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit eigener Produkte und Dienstleistungen in Kauf zu nehmen.


Johannes Lynker ist seit dem 1.1.2020 Director bei der in//touch, ein 2013 gegründetes Pharmaberatungsunternehmen, das Teil der good healthcare group in Berlin ist. Die good healthcare group ist eine Allianz von mehr als 450 Healthcare-Spezialisten. Der Firmensitz befindet sich in Berlin mit einer Betriebsstätte in Potsdam.

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