Wissenschaftsjournalist Christoph Krachten: „Social Media ist letztlich ein Handwerk!“

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Christoph Krachten, Wissenschafts-YouTuber und Journalist, über die Kraft von Social Media für die Kommunikation von Wissenschaft und Forschung für Pharmaunternehmen im Interview auf Health Relations.
"Wir müssen Wissenschaft unter die Menschen bringen!", sagt Wissenschaftsjournalist und YouTuber Christoph Krachten. © C. Krachten
Medizinische Forschung bietet viele Geschichten, die es zu erzählen lohnt. Aber wie? Der Wissenschaftsjournalist Christoph Krachten ist einer der erfolgreichsten YouTuber in seinem Segment. Er verrät, mit welchen Strategien Pharmaunternehmen  erfolgreich in Social Media kommunizieren.

Health Relations: Corona sorgt für ein neues Interesse an der Wissenschaft. Spüren Sie das auch bei Ihrem Kanal?

Christoph Krachten: Der YouTube-Algorithmus verändert sich aufgrund des sich ändernden Sehverhaltens der User. Es wird zu anderen Uhrzeiten geschaut, andere Formate werden konsumiert. Das bringt den Algorithmus durcheinander. Einige Kanäle boomen, andere haut es gerade aus den Socken. Bei uns bleiben die Zahlen stabil. Was aber stimmt: Die Menschen sind derzeit sehr an Wissen und Wissenschaft interessiert. Wir haben deshalb unseren Content geändert und machen längere Videos, die mehr in die Tiefe gehen.

Health Relations: Ein Bedürfnis, das Sie stillen möchten, auch indem Sie auf Clickbait-Titel setzen. „Wir machen hier Clickbait-Titel, damit sich auch seriöse wissenschaftliche Inhalte gegen Verschwörungstheorien durchsetzen können und auf hohe Klickzahlen kommen“, heißt es in Ihrer Kanalbeschreibung auf YouTube.

Christoph Krachten: Genau. Wir müssen uns leider gegen Verschwörungstheorien wehren, die mit Fake News die Zuschauenden aufsichziehen. Das ist gefährlich. Dagegen müssen wir halten. Es gibt ein Video von Veritasium: „My Video gone viral. Thats why.“ Das kann ich nur empfehlen. Es erklärt, warum Titel auf YouTube boulevardesk sein müssen. Titel und Inhalt müssen aber trotzdem stimmig sein, um im Wilden Westen des Internets durchzudringen.

Health Relations: Das ist eine Gratwanderung. Und für einige Absender gefährlich, oder? Denken wir an Unternehmen in der pharmazeutischen Industrie, diese müssen doch sicherlich noch stärker auf Seriosität achten…

Christoph Krachten: Das ist ein großes Thema, auch  in unserem Onlinekurs, den wir gerade für digitale Wissenschaftskommunikation gestartet haben. Es gibt eine Grenze, die sollten sie nicht überschreiten. Das stimmt. Ein Beispiel: Die Heinsberg-Studie. Die Kommunikation war nicht optimal. Der „Titel“ weckte zu hohe Erwartungen, die die Studie so gar nicht hergab. Das ist ein Problem. Natürlich muss der Titel seriös und wahr bleiben. Gerade, wenn man als Unternehmen unterwegs ist, darf keine Linie überschritten werden. Das schädigt sonst das Image.

Health Relations: Im wissenschaftlichen Sektor sind gerade viele Absender unterwegs. Fake News und Verschwörungstheorien, Sie erwähnten es bereits, verbreiten sich rasant. Glauben Sie, dass es neben den Journalisten auch die Unternehmen sind, die jetzt verstärkt für Aufklärung sorgen sollten?

Christoph Krachten: Die Anforderung steht schon seit Jahren im Raum. Aber Unternehmen und Organisationen kriegen es nicht hin. Sie setzen zu wenig auf organische Reichweite ihrer Inhalte, zu sehr auf Budgets. Gekaufte Reichweite aber ist keine nachhaltige. Dennoch ist spätestens jetzt der Moment, in die Kommunikation einzusteigen. Wir hatten und haben eine heftige Phase der Digitalisierung. Die Menschen erkennen gerade den Mehrwert von digitalen Tools. Das ist eine Riesenchance.

Health Relations: Aber es passiert doch schon vieles, und das nicht erst seit gestern: Der vfa macht einen Podcast zum Thema Corona, Novartis erzählt Geschichten über Krankheiten anhand von persönlichen Schicksalen auf der eigenen Webseite, Roche berichtet in seinen Stories über die Forschung in Form von Interviews mit Experten, Johnson & Johnson macht eine Youtube-Live-Serie über Medikamentenforschung, Pfizer erklärt in einem Podcast die Medikamenten-Forschung.

Christoph Krachten: Ja, aber mit zum Teil eher überschaubaren Reichweiten. Es fehlt in ganz vielen Fällen das Know-how, um Reichweite zu erzielen. Viele versuchen, das mit Budget auszugleichen. Aber das ist nicht die Lösung. Dabei sind viele Ansätze gut: Forschungs-Storytelling ist wichtig und toll. Man muss die Zuschauenden in jedem Post, in jedem Video mit einer spannenden Dramaturgie binden, eine Community aufbauen. Interviews zum Beispiel funktionieren da nur bedingt. Alles andere ist Geld verbrennen.

Health Relations: Aber hat ein Interview nicht den Vorteil der Seriosität?

Christoph Krachten: Vielleicht, aber das nützt nichts in Social Media. Der Algorithmus misst den Verbleib der User auf der Plattform. Wenn ein Interview eine schlechte Dramaturgie hat, wird es abgebrochen, damit schlecht gerankt und damit keine Reichweite erzielt.

Health Relations: Aber auf der Unternehmens-Website kann es funktionieren, oder?

Christoph Krachten: Auf der Website ist das eine andere Geschichte, da geht es um SEO. Aber auch hier muss der Content wirklich gut sein. Es nützt ja nichts, wenn dann keiner hin findet. Trotzdem halten Interviews die Besuchenden halt nicht. Aber Interviews können auch interessant sein, Stichwort Drosten. Das sind aber spezielle Fälle in ganz großen Ausnahmen.

„Meine These: Wenn ich beim Erstellen eines Account-Konzepts gründlich arbeite, ist der Erfolg kaum zu vermeiden.“

Health Relations: Denken Pharmaunternehmen also zu wenig über Inhalte und Kanäle nach?

Christoph Krachten: Ja. Aber das gilt letztlich für alle Unternehmen und Institutionen in den Sozialen Medien. Im TV-Geschäft gibt es einen Kanon der Inhalte. Wie muss der Titel eines Beitrages sein, die Dramaturgie, wie die technische Ausstattung. Im Social Media-Bereich hat sich dieser Kanon noch nicht herausgebildet. Es werden viel Halbwissen und falsche Wahrheiten verbreitet. Es gibt noch keine Professionalität in diesem Bereich. Nur wenige Player beschäftigen sich wirklich mit dem Thema: Wie baue ich die organische Reichweite auf. Thema, Zielgruppe, Wirkung, alles elementare Fragen, die nur halb oder gar nicht beantwortet werden. Stattdessen wird oftmals auf reichweitenstarke Kanäle aufgesattelt. Meine These: Wenn ich beim Erstellen eines Account-Konzepts gründlich arbeite, ist der Erfolg kaum zu vermeiden.

Health Relations: Es gibt da aber keine Allgemeinrezepte, wie man einen Account erfolgreich aufbaut, oder?

Christoph Krachten: Doch. Auch Social Media ist letztlich ein Handwerk. Es gibt so etwa 20 Punkte, die ich auf jeden Fall richtig machen muss. Beispiel: Meine Videos haben eine festgelegte Dramaturgie, die ich so gut wie nie verlasse. Ein Instagram-Account muss eine bestimmte Anmutung haben, einen eigenen Look, den ich sofort erkenne, und von dem ich nicht abweichen darf. Man muss einen dezidierten Inhalt haben und ein Thema möglichst gut eingrenzen.

Health Relations: Sie selber sind auf YouTube aktiv und machen auch einen Podcast. Aus Ihrer Sicht: Welche Plattformen sind denn überhaupt für wissenschaftliche Themen interessant?

Christoph Krachten: Facebook, Instagram, YouTube. Facebook ist allerdings nicht gut kalkulierbar.

Health Relations: Fassen wir zusammen: Inhalt und Kanal muss also passen, der Algorithmus der Plattform analysiert und berücksichtigt werden. Das Ziel ist der Aufbau einer organischen Reichweite. Das ist die Basis. Wie wichtig ist der Faktor Persönlichkeit bei der Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte?

Christoph Krachten: Zielgruppe, Wirkung, Themen – und Präsentation. Das sind die zentralen Punkte bei der Entwicklung eines Accountkonzeptes. Persönlichkeit ist damit auch enorm wichtig. Ein Pharmaunternehmen hat hier nur begrenzte Möglichkeiten, einen Protagonisten auszuwählen. Aber ich habe im Rahmen der vfa-Kampagne “Forschung ist die beste Medizin” erlebt, wie leidenschaftlich Forscher über ihre Aufgabe berichten. Das kann funktionieren. Wir erleben es ja gerade im Fall Christian Drosten.

Health Relations: Auch weil dieser über die wissenschaftliche Erklärung hinaus persönliche Inhalte durchblitzen lässt wie seinen Spaziergang durch den Park mit seinem Sohn oder ähnliches.

Christoph Krachten: Genau. Er ist keine Moderationsmaschine aus dem TV. Man spürt die Leidenschaft. Das kommt an. Das erreicht die Leute, deshalb hören sie ihm auch zu, wenn es komplizierter wird.

Health Relations: Heißt, man kann dem Zuschauer auch durchaus mehr zutrauen, wenn man die richtige Art der Präsentation findet? Müssen Unternehmen hier mutiger werden?

Christoph Krachten: Mut ist nicht das richtige Wort. Polarisieren kann die Pharmabranche in ihrer Kommunikation aufgrund des seriösen Anspruchs nur eingeschränkt. Nein, es geht um Professionalität. Das heißt nicht, dass ich riesige Abteilungen schaffen muss, um das Thema anzugehen. In manchen Abteilungen betreuen 25 Menschen einen Kanal mit 2000 Followern. Es wird viel zu viel Geld für zu wenig Wirkung ausgegeben.

„Wissenschaft ist so wichtig, Social Media eine Riesenchance. Beides gehört zusammen.“

Health Relations: Wie viele Menschen arbeiten an einem Ihrer Videos?

Christoph Krachten: Ich habe zwei Autorinnen, die die Skripte schreiben und einen Cutter. Den Dreh mache ich alleine.

Health Relations: Nun spielen Sie denen in die Karten, die sagen: Social Media macht sich quasi nebenbei.

Christoph Krachten: Man braucht schon Mitarbeitende, die sich speziell darum kümmern. Bei uns kommen so im Schnitt 50 bis 60 Wochenstunden zusammen. Es ist aber keine riesige Abteilung. Das ist der Unterschied.

Health Relations: Wenn ich konsequent arbeite: Wie schnell steigen die Followerzahlen? Wie lang muss der Atem sein?

Christoph Krachten: Unterschiedlich: Ein Tipp: Wenn die Views langsam steigen und die Watch Time stimmt, also die Dramaturgie stimmt und wenig User abspringen, weiß man, dass es irgendwann steil nach oben gehen wird. Dann entsteht die typische Hockeyschläger-Kurve.

Health Relations: Sie sagten, der Moment sei gut, um wissenschaftliche, medizinische Inhalte zu kommunizieren. Aber Corona-Themen wären ausgereizt. Sollten Pharmaunternehmen also nicht mehr auf dieses Thema setzen?

Christoph Krachten: Wer jetzt erst damit startet, wird nicht unter die ersten Suchergebnisse auf Google kommen. Der Content rankt schlecht. Aber es gibt in diesem Bereich viele Themen außer Corona. Alleine der Bereich Forschung und KI ist unglaublich vielfältig und spannend. Wissenschaft ist so wichtig, Social Media eine Riesenchance. Beides gehört zusammen. Wir müssen Wissenschaft unter die Menschen bringen!


Christoph Krachten ist erfolgreicher deutscher YouTuber und Online-TV-Produzent. Seine Wissenschafts-Show clixoom auf YouTube gibt es seit 2008, sie hat 582.000 Abonnenten (Stand Mai 2020). Er hat gerade den Onlinekurs “Projekt Reichweite” für Wissenschaftskommunikation gestartet. Eine kostenlose Lektion gibt es hier: Projekt Reichweite! Die drei wichtigsten Tipps für Social Media und Online-Videos.

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