Kumi Health: „Wir glauben sehr stark an ein Ökosystem“

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Kumi Health Timothy Mende
Glaubt an Team-Power und an Ökosysteme: Kumi Health-Gründer Timothy Mende. © Janine Meyer photographie
Timothy Mende fühlte sich lange mehr wie ein Feuerwehrmann denn als Arzt. Täglich gab es Großbrände zu löschen. Der Grund:  schlecht abgestimmte Abläufe im Klinikalltag. Also gründete er Kumi Health. Ein Interview über Partnerschaften und die Technik als Triebfeder für eine bessere Medizin.

Health Relations: Wie sind Sie als Arzt auf die Idee gekommen, in den IT-Bereich zu wechseln?

Timothy Mende: Aus der Notwendigkeit heraus. Ich hatte als Stationsarzt einer deutschen Universitätsklinik im Bereich der Kardiologie das Gefühl, dass die Patientinnen und Patienten nicht immer Unrecht haben, wenn sie sagen, innerhalb des klinischen Teams weiß manchmal die rechte Hand nicht, was die linke tut. Die Kommunikation im klinischen Team ist herausfordernd. Wer hat was gemacht? Wer hat über was und wen schon Informationen weitergeben und Arbeitsstände geteilt? Für mein Gefühl war das zu der damaligen Zeit einfach nicht gut gelöst. Gleichzeitig hatte ich die Einsicht, dass wir gerade an der Uniklinik solche Prozesse recht umfangreich versuchen, in Form von Standard Operating Procedures (SOPs) zu definieren. Nur meistens landen die Ergebnisse dieser Prozesse in der täglichen Arbeit leider in einem Ordner auf Station oder in einem Shared Drive – und kommen nicht beim Patienten oder der Patientin an.

Info: Kumi Health
Kumi Health wurde 2015 von Dr. Timothy Mende  und  Philip Mahler in Hamburg gegründet. Kumi heißt auf Japanisch „Team“. Für Timothy Mende ist das einer der zentralen Faktoren für den Erfolg. „Wir glauben daran, dass Krankenhäuser nur richtig gut funktionieren, dass wirklich reproduzierbare Behandlungs-Exzellenzen geleistet werden kann, wenn man im Team gemeinsam spielt.“ Das Team von Kumi Health umfasst derzeit (Stand Februar 2022) über 40 Mitarbeiter:innen.

Health Relations: Was zur Folge hat, dass Prozesse nicht effizient abgewickelt werden können – zum Schaden der Patient:innen?

Timothy Mende: Als klinisches Team, als Krankenhaus, als Leistungserbringer im Gesundheitswesen bleiben wir einfach weit unterhalb unserer Möglichkeiten, am Patienten das zu leisten, was möglich wäre – und was aus meiner persönlichen Überzeugung auch erforderlich ist. Ich verspürte eine massive Unzufriedenheit mit dem Qualitätsniveau, was wir erbringen. Nicht von dem Absoluten her, sondern in Relation zu dem, was wir erbringen könnten. Wie aber kann man das lösen? Mit technologischen Mitteln, insbesondere im Bereich Kommunikation, Kollaboration, Unterstützung, prozessgetriebenes Arbeiten. Sich darüber Gedanken zu machen, was genau das bedeutet, reicht aus meiner Sicht aber nicht. Man muss die Ärmel hochkrempeln und machen.

Health Relations: Wie genau arbeitet Kumi Health? Wie erleichtert das System den ärztlichen Alltag?

Timothy Mende: Als erstes: Es geht nicht nur um die ärztliche Kommunikation, sondern es geht tatsächlich sehr stark um die Kommunikation im gesamten klinischen Team. Vom Behandlungsteam bis zur Assistenz, wo die Fäden zusammenlaufen, wenn es beispielsweise um die Organisation von Terminen geht, von Vorbereitungen auf den stationären Aufenthalt, aber auch für Kodierfachkräfte, die als Case-Manager etwas kreieren müssen, was an die Krankenkassen gesandt wird, sodass das Krankenhaus auch für seine Leistung bezahlt wird. Da ist ein großer Apparat mit vielen Rollen, die alle in den SOPs berücksichtigt werden. In unserer Software sind die therapeutischen Leitlinien hinterlegt, wir definieren eine To-do-Liste mit klaren Rollenverantwortlichkeiten und Zeitpunkten, wann was zu passieren hat, sodass wir den gesamten Prozess operationalisieren.

Health Relations: Wie wichtig ist es denn für die Arbeit Ihres Start-ups, dass Sie selber Arzt sind?

Timothy Mende: Es ist zwingend erforderlich. Es braucht eine tiefe Kenntnis der Prozesse. Es reicht auch nicht, dass ein Gründer oder eine Gründerin eine Idee hat, sondern sie oder er muss diese dann eng mit den Nutzer:innen aus einer größeren Gruppe, in unserem Falle auch klinisch versierten Personen, gemeinsam weiterentwickeln. Wir sind ein großes Team an Ärztinnen und Ärzten. Wir entwickeln aus dem Krankenhaus heraus, sind dort die ersten Schritte gegangen und sind auch jetzt noch jede Woche mehrere Tage vor Ort, um zu verstehen, wo unser Produkt die Probleme der Anwender gut löst und an welchen Stellen noch nicht. Dieses Feedback fließt schnell und kontinuierlich in die Entwicklung von Kumi ein.

Health Relations: Kooperationen mit Ärzt:innen sind ein Weg, wie schaut es mit anderen Gesundheitsunternehmen aus? Kumi Health kooperiert zum Beispiel mit Siemens Healthineers. Gibt es weitere Kooperationspartner, mit denen Sie arbeiten?

Timothy Mende: Ja, es gibt ein paar weitere, die wir in Kürze kommunizieren werden. Ausgehend von sehr kleinen, momentan noch unbekannten Firmen, die spannende, innovative Sachen machen, die wirklich der Ärztin, dem Arzt auf der Station jeden Tag das Leben erleichtern. Aber auch etablierte Firmen sind dabei. Wir glauben sehr stark an ein Ökosystem und daran, dass man die Herausforderungen, die sich momentan im Gesundheitswesen abbilden, auch auf dieser inhaltlich kommunikativen Ebene angehen sollte. Keiner von uns ist alleine stark genug. Deswegen sind Partnerschaften der richtige Weg. Wir sind offen für alle möglichen Kooperationen, um gemeinsam die Nutzer:innen im Krankenhaus mit wertvollen Lösungen zu versorgen.

Health Relations: Das heißt, Sie könnten sich auch vorstellen, Teil von klinischen Studien zu sein, beispielsweise von pharmazeutischen Unternehmen oder anderen industriellen Partnern?

Timothy Mende: Ich schließe nichts aus, was der besseren Behandlung von Menschen im Krankenhaus dient. Es ist bereits jetzt so, dass Chefärzt:innen und Ärzt:innen der Aufnahme in das Deutsche Register Klinischer Studien zustimmen im Rahmen der Datensätze, die ausgefüllt werden müssen. Die Zustimmung des Patient:in ist in der Sprechstunde einzuholen, das stellt unser System sicher. Der Daten-Input ist ja immer das Problem. Das, was erhoben wird, ist immer abhängig von dem jeweiligen Anwendungsfall, den ein Arzt, eine Ärztin als maßgeblich organisatorisch Verantwortlicher und Verantwortliche für das Team, für die Klinik sieht. Wir wollen es denen leicht machen, die gute Medizin machen wollen.

Health Relations: Rennen Sie damit offene Türen ein?

Timothy Mende: Im  Moment rennen wir offene Türen ein. Das hat auch viel mit Kulturwandel zu tun. Dass wir jetzt in den Krankenhäusern und insgesamt im Gesundheitswesen die bedrückende Tiefschlafphase hinter uns lassen. Diese Flexibilität, die wir jetzt alle im Rahmen der Pandemie kennengelernt haben als normalen oder notwendigen Bestandteil unseres Lebens, ist auch in den Krankenhäusern, IT-Abteilungen, Digitalisierungsbereichen angekommen. Es werden immer mehr Chief Digital Officer eingestellt, die Rolle des IT-Verantwortlichen hat sich unserem Empfinden nach brutal verändert. Weg von jemandem, der immer zu allem Nein sagen musste, hin zu dem strategischen Partner, der das Überleben des Krankenhauses in der Zukunft sichern soll.

Health Relations: Sollten Ihrer Meinung nach mehr Ärzt:innen wie Unternehmer:innen denken?

Timothy Mende: Ja, das unternehmerische Denken finde ich sehr positiv, denn das beinhaltet, mit den immer im Leben begrenzten Ressourcen möglichst verantwortungsvoll umzugehen. Das ist, glaube ich, der Kern des Unternehmerischen. Der andere Kern ist, aus dem, was man hat, zu versuchen mehr zu machen. Sei es in monetärer Hinsicht, wenn man das rein wirtschaftlich betrachtet, aber vor allem an Wertschöpfung und Verbesserung für die Welt, in der wir leben. Das, glaube ich, ist das, was jedem Arzt und jeder Ärztin beruflich guttut. Aber man könnte das auch umdrehen. Dann sollten wahrscheinlich auch mehr Unternehmer:innen wie Ärzte und Ärztinnen denken. Also ich glaube, in beiden Richtungen würde es uns guttun.


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