Baustelle Gesundheitskompetenz: Was Life-Science-Unternehmen beitragen können

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Deutschland liegt im internationalen Vergleich weiterhin am unteren Ende, wenn es um die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung geht. Eine Folge: Patientinnen und Patienten fühlen sich häufig überfordert oder alleingelassen – insbesondere bei der Einordnung von Diagnosen und der Umsetzung von Therapien. Können Life-Science-Unternehmen helfen, das zu ändern? Constanze Dewald, Schmittgall HEALTH, hat Antworten auf diese Frage.
Die Gesundheitskompetenz in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert. Während eine repräsentative Erhebung zur Gesundheitskompetenz aus dem Jahr 2014 bereits zeigte, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung Defizite beim Umgang mit Gesundheitsinformationen hatte, liefert die aktuelle Studie der Technischen Universität München (2024) ein noch alarmierenderes Bild: Rund 75 Prozent der Erwachsenen verfügen heute über eine geringe Gesundheitskompetenz. Deutschland bleibt damit im europäischen Vergleich eines der Schlusslichter.
Digitale Gesundheitskompetenz noch schwächer ausgeprägt
Auch die digitale Gesundheitskompetenz bleibt besorgniserregend niedrig. Laut der HLS-GER 2-Studie verfügen etwa 66 Prozent der Bevölkerung über eine geringe digitale Gesundheitskompetenz. Diese ist damit noch schlechter ausgeprägt als die allgemeine Gesundheitskompetenz. Das erschwert die digitale Nutzung von Gesundheitsinformationen.
Mögliche Gründe dafür sind:
- die wachsende Bedeutung und Angebote digitaler Gesundheitsinformationen,
- die gestiegenen Anforderungen für den Umgang mit digitalen Informationen,
- die Zunahme an Falsch- und Desinformation (Infodemic) im Internet,
- die mangelnde Einordnung und Bewertung der Qualität der Informationen.
Weniger Zeit für sprechende Medizin
Auch die Ärzteschaft beklagt zunehmend die fehlende Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung, die immer mehr zum Kostenfaktor für das Gesundheitswesen wird.
Denn eine geringe Gesundheitskompetenz führt zu:
- häufigeren Arztkontakten,
- zunehmenden Krankenhausaufenthalten,
- einer stärkerer Nutzung des ärztlichen Notdienstes,
- mangelnder Gesundheitsprävention.
Hinzu kommt, dass bereits immer weniger Ärztinnen und Ärzte immer mehr Patientinnen und Patienten versorgen müssen. Ein Arzt-Patienten-Gespräch dauert aktuell im Schnitt rund acht Minuten in Deutschland. Die Zeit für umfassende Aufklärung über Therapie und Diagnose ist oft nicht ausreichend. Das hat auch negative Auswirkungen auf Therapieerfolge und Medikamenteneinnahme. Der zunehmende Ärztemangel in den kommenden Jahren wird die Situation weiter massiv verschärfen. Schon heute erhalten Patientinnen und Patienten erst nach monatelanger Wartezeit Termine bei Fachärztinnen und Fachärzten.
Gesundheitskompetenz stärken, Vertrauen aufbauen
Life-Science-Unternehmen (z. B. Pharma-, Biotech- oder Medizintechnikunternehmen) können hier eine wichtige Lücke schließen – durch zielgruppengenaue Information. Vorausgesetzt, die Informationen sind qualitativ hochwertig. Wichtig ist vor allem der sensible Umgang mit gesundheitlicher Aufklärung. Im Fokus sollte eben nicht der Abverkauf oder die Präsentation eines Produktes stehen, sondern der Aufbau von Vertrauen. Wenn das gelingt, ist das eine große Chance für Life-Science-Unternehmen, ihre medizinischen Kompetenzen herauszustellen, Patientinnen und Patienten Orientierung zu geben und ihr Vertrauen zu gewinnen.
Life-Science-Unternehmen können eine wichtige Lücke schließen, die in den kommenden Jahren immer größer wird.
Denn gerade in einer zunehmend digitalen und komplexen Welt wird Vertrauen zum zentralen Faktor – nicht als Zusatz, sondern als strategisches Grundprinzip. Es reicht nicht mehr, nur glaubwürdig zu erscheinen, die Glaubwürdigkeit muss in jeder Interaktion spürbar sein. Vertrauen entsteht durch gelebte Haltung, nachvollziehbare Kommunikation und konsistente digitale Erlebnisse. Digitale Touchpoints werden so zu Vertrauensräumen, in denen sich entscheidet, ob einem Unternehmen Glauben geschenkt wird und man sich ihm verbunden fühlt. Wer Vertrauen ernst nimmt, gestaltet es aktiv – und schafft so echte Relevanz und Resonanz.
Digitale Innovationen als mögliche Antwort auf Non-Adhärenz
Gerade Menschen mit chronischen Erkrankungen fühlen sich oft alleingelassen mit ihrer Diagnose. Sie haben viele Fragen zur Therapie oder Lebenshaltung, die nicht selten unbeantwortet bleiben. Das führt unter anderem auch zu Non-Adhärenz – zur mangelnden Therapietreue, beispielsweise durch Nicht- oder Falscheinnahme von Medikamenten. Rund 50 Prozent der Patienten in Industrieländern nehmen ihre Medikamente nicht wie vom Arzt verordnet ein oder beenden gar selbstständig die Therapie. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es fünf Faktoren, die zu Non-Adhärenz führen können: patienten- und krankheitsbedingte, therapiebezogene, soziale und ökonomische sowie durch das Gesundheitssystem bedingte Faktoren. Hier spielen unter anderem mangelnde Aufklärung und Angst vor Nebenwirkungen eine Rolle.
Auch wenn Life-Science-Unternehmen die medizinische Behandlung und Begleitung nicht ersetzen können, können sie dabei unterstützen und sowohl die Gesundheitskompetenz als auch die Adhärenz mit hochwertigen, aber dennoch niederschwelligen digitalen Lösungen fördern.
Wie das aussehen kann, zeigen verschiedene aktuelle Beispiele. Sanofi etwa entwickelte in Co-Kreation mit Betroffenen eine Plattform mit personalisierten Inhalten, die auf konkrete Bedürfnisse eingeht. Biogen unterstützt mit der App Cleo Menschen mit Multipler Sklerose im Umgang mit ihrer Erkrankung und bietet alltagsnahe Hilfestellungen. Pfizer wiederum ermöglicht über eine digitale Plattform telemedizinische Beratung und eine nahtlose Arzneimittelversorgung. Solche Angebote fördern Vertrauen, Eigenverantwortung und stärken die Patientenbindung an die Therapie.
Fazit
Die Gesundheitskompetenz der deutschen Bevölkerung ist besorgniserregend niedrig: Aktuelle Studien zeigen, dass etwa 75 Prozent der Erwachsenen Schwierigkeiten im Umgang mit gesundheitsrelevanten Informationen haben. Dieser Mangel wird durch den zunehmenden Ärztemangel verschärft, der zu verkürzten Konsultationszeiten führt und eine umfassende Patientenaufklärung erschwert. Infolgedessen bleiben viele Patientinnen und Patienten mit offenen Fragen zu Diagnosen und Therapien zurück, was den Therapieerfolg beeinträchtigen kann. Life-Science-Unternehmen haben die Möglichkeit, durch qualitativ hochwertige Informationsangebote die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu stärken und Vertrauen aufzubauen. Innovative digitale Lösungen können dabei helfen, Patientinnen und Patienten im Alltag zu begleiten und deren Eigenverantwortung sowie Therapietreue zu fördern.