In immer mehr deutschen Haushalten werden digitale Sprachassistenten genutzt. Das macht sie für das digitale Marketing hochinteressant. Auch für die Pharma-Branche bergen diese viel Potenzial in der Kommunikation mit den Zielgruppen.
Zum Beispiel dann, wenn es darum geht, Patienten mit Informationen zu versorgen. Health Relations hat Marc-Michael Schoberer, Geschäftsführer der xeomed GmbH, gefragt, wie digitale Sprachassistenten das Pharma-Marketing beinflussen.
Health Relations: Wie werden digitale Sprachassistenten das Marketing verändern?
Marc-Michael Schoberer: Alexa, Cortana, Siri und Co. – mittlerweile kann man sagen, dass digitale Sprachassistenten Normalität werden. Es ist zu beobachten, dass mobile Suchen via Voice permanent zunehmen. Schon jetzt wird jede fünfte Suchanfrage gesprochen – 2020 sollen es bereits 30 Prozent sein.
Im Gegensatz zur Voice Search ist das Bedienen einer klassischen Tastatur am Desktop oder Handy eher nicht intuitiv. Experten gehen sogar davon aus, dass Tastaturen in etwa 15 Jahren ganz von der Bildfläche verschwunden sein werden. Voice Search fungiert hierbei in gewisser Weise als Game Changer.
Health Relations: Was bedeutet das für das Marketing?
Dieser Wandel stellt vor allem für die Marketer eine große Herausforderung dar. Sie müssen zukünftig noch genauer darüber nachdenken, welche Fragen und – vor allem – welche exakt passenden Antworten für den Kunden relevant sind. Das heißt im Umkehrschluss, dass der Suchende seine Position verändert – und zwar weg vom selektierenden Nutzer und hin zu einem, der aktiv gefunden und beraten werden will. Sprachassistenten werden das Angebot von Services noch mehr ins Digitale verlagern. Hier gilt es für Marketer genau zu überlegen, welche digitalen Services sie anbieten möchten und welche einen wirklichen Mehrwert für die Nutzer bieten. Auch wenn die Entwicklung der neuen Kanäle in der Marketing-Branche zunächst sicherlich Unsicherheit hervorruft, bietet diese doch gleichzeitig eine große Chance, mit dem Patienten in ein ganz neues Verhältnis zu treten.
„Alles in allem wird Voice Search einen signifikanten Einfluss auf medizinische und gesundheitsrelevante Informationen nehmen.“
Health Relations: Was können digitale Sprachassistenten im Pharma- oder Healthcare-Marketing leisten?
Marc-Michael Schoberer: Eine Menge, sofern die Qualität der Antworten stimmt. Vor allem für Menschen, die durch Krankheiten, Alter oder körperliche Gebrechen eingeschränkt sind, stellen digitale Sprachassistenten eine deutliche Erleichterung der Kommunikation dar. Nicht nur die Bedienung ist dahingehend leichter, sondern auch die Suche an sich. Im Gegensatz zu heutigen Suchanfragen, bei denen der Nutzer jeder einzelnen, neu aufgeworfenen Frage hinterhersuchen muss, tritt er bei digitalen Sprachassistenten in einen Dialog.
Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. So könnten Sprachassistenten Patienten mittels digitaler Beipackzettel über die Produktspezifika zu informieren. Auch das Nachbestellen von rezeptfreien Medikamenten oder anderer Gesundheitsprodukten ließe sich mithilfe der Sprachassistenten ganz einfach und unkompliziert in den Alltag integrieren. Alles in allem wird Voice Search also einen signifikanten Einfluss auf medizinische und gesundheitsrelevante Informationen nehmen.
Health Relations: Was spricht für diese Art des Marketings, was dagegen? Worauf ist dabei zu achten?
Marc-Michael Schoberer: Wie bereits erwähnt, gibt es heute schon Tendenzen hin zu voice first. Digitale Sprachassistenten werden vor allem situativ angewandt, sprich, immer dann, wenn keine Zeit zum Tippen ist. Oder der Nutzer bereit ist, in einen Dialog zu treten. Allein das sollte für Marketer ein deutliches Signal sein.
Die heutige Suche ist mobile first und funktioniert dagegen noch so, dass der Nutzer eine Frage hat, deren Beantwortung er sich mittels Schlüsselbegriffen in der Suchmaschine selbst erarbeiten muss. Heißt: Aus den resultierenden Antworten pickt er sich die heraus, die für ihn am relevantesten erscheint. Das Problem dabei: In vielen Fällen werfen die Antworten Rückfragen auf – und der Nutzer muss die Suchmaschine erneut befragen. Der Prozess erfolgt so lange, bis er eine passende Antwort hat, beziehungsweise ihm für sein Problem ein passendes Produkt angeboten wird. Für den Patienten bedeutet diese Art aber in erster Linie eines: Arbeit. Dem gegenüber tritt der Suchende bei der Voice Search in einen Dialog mit dem Sprachassistenten – die Art der Hilfe kann sich dahingehend viel „echter“ anfühlen.
„Wer die SERPs dominieren will, muss auf holistische Ansätze im Bereich des Performance Marketings setzen.“
Health Relations: Was bedeutet das für den Aufbau von Webseiten?
Voraussetzung für den Einsatz der Voice Search ist, dass alle technischen Gegebenheiten erfüllt sind. Im Konkreten heißt das, die Seite muss einerseits darauf ausgelegt sein, Antworten schnell zu liefern. Andererseits muss aber auch Content bereitgestellt werden, der auf die unterschiedlichsten Fragen Antworten bietet, damit ein Dialog entstehen kann. Von diesem Szenario sind wir heute teils noch weit entfernt. Vor allem Brand-Pages sind oftmals nur dahingehend ausgelegt, dem Patienten ein Produkt anzubieten. Umfangreiche Informationen zu Krankheits- und Symptomfragen sucht man hier manchmal vergeblich. Denn vorrangiges Ziel solcher Seiten ist momentan noch der Aufbau ihrer Brand. Nutzer sollen mit der Marke eine bestimmte Assoziation oder Emotion verbinden, die unterbewusst bei Kontakt mit der Marke hervorgerufen wird. Von diesem Denken sollte man jedoch abrücken, wenn man den digitalen Zug in Richtung Voice Search nicht verpassen möchte.
Ein weiteres Problem, dem sich Marketer beim Thema Voice Search stellen müssen, ist die Rangliste der Suchergebnisse. Während bislang vor allem die vorderen Suchergebnisse auf der ersten Seite relevant sind, zählt bei sprachgesteuerten Anfragen nur noch Platz 1. Ist Google die gewählte Suchmaschine, sind das in der Regel die sogenannten Featured Snippet Boxen, die mittels kurzer Zusammenfassung eine Antwort auf die Suchanfrage widergeben. Featured Snippets wurden speziell für Endgeräte entwickelt, die wenig Platz zum Anzeigen für Suchergebnisse aufweisen – oder eben nur eines, wie es bei digitalen Sprachassistenten der Fall ist. Für Marketer hat das zur Folge: Wer die SERPs dominieren will, muss auf holistische Ansätze im Bereich des Performance Marketings setzen. Zwar entscheidet immer noch Google, bei welchen Suchanfragen ein Featured Snippet ausgespielt wird und von wo die Inhalte kommen. Aber: Korrekte und umfängliche Antworten, die gut strukturiert sind, stehen auch hier noch immer hoch im Kurs.
Health Relations: Stellt die Pharma- und Healthcare-Branche besondere Anforderungen an das Marketing mit digitalen Sprachassistenten und was bedeutet das für die Pharmaunternehmen?
Marc-Michael Schoberer: In der Pharma- und Gesundheitsbranche steht ganz klar die Sensibilität der Themen im Vordergrund. Patienten suchen hier Antworten auf mitunter unangenehme Probleme. Deswegen gilt es, den Nutzer nicht mit Pauschal- oder Werbeaussagen abzuholen, sondern mit Inhalten, bei denen er und seine Frage im Mittelpunkt stehen. Ihm soll also die bestmögliche Antwort geliefert werden.
Pharmaunternehmen müssen dahingehend mehr auf den Nutzer eingehen. Das heißt, ihm zukünftig mehr Informationen digital zur Verfügung stellen, sei es zu Produkten, Studien oder anderen wichtigen Arzt- und Patienteninformationen. Natürlich gibt es hier noch viele weitere Möglichkeiten. Wichtig ist daher, dass Pharmaunternehmen konsequent den Weg der digitalen Transformation gehen und aktiv an den Webpräsenzen, holistischem Content, Search-Thematiken und den Möglichkeiten der digitalen Assistenz arbeiten.
„Es muss Ziel sein, den Patienten gezielt mittels diversen Conversionelementen an die Hand zu nehmen.“
Health Relations: Sind die Nutzer in Deutschland schon bereit für diese Art des Pharma- bzw. Healthcare-Marketing?
Marc-Michael Schoberer: Die Frage ist auch hier nicht, ob die Nutzer schon bereit sind. Den digitalen, vollvernetzten Sprachassistenten wird die Zukunft gehören. Das wird vor allem klar, wenn man sich die jüngere Generation ansieht. Die tippt kaum mehr Nachrichten ins Handy, sondern versendet fast ausschließlich Sprachnachrichten. Auch das aktive Suchen nach relevantem Content per Voice nimmt zu.
Sicherlich stehen wir aktuell noch am Anfang der digitalen Sprachentwicklung. Aber wir sind auf einem guten Weg. Bereits jetzt ist es beispielsweise möglich, digitale Kassenleistungen mit dem Alexa Sprachassistenten zu nutzen. Diese beherrschen unter anderem Funktionen wie das Erinnern an Arzttermine oder einen Pollenflugalarm, sie können aber auch Ernährungstipps geben oder Zusatzleistungen buchen.
Auch wenn die Entwicklung der digitalen Sprachassistenten noch in den Kinderschuhen steckt, ist zu vermuten, dass der Trend durch die Verfeinerung der technischen Möglichkeiten und die klaren Vorteile für die Nutzer sich zukünftig stark beschleunigen wird.
Health Relations: Konsumenten wollen nicht bevormundet oder durch Werbung belästigt werden. Wie müssen digitale Sprachassistenten arbeiten, damit sie nicht in diese Falle tappen?
Marc-Michael Schoberer: Hier unterscheidet sich die Situation eigentlich nicht von der heutigen. Denn ein Patient ist zunächst einmal aktiv auf der Suche nach Hilfe und Lösungen für sein Problem. Und diese sollten ihm umfangreich und qualitativ hochwertig angeboten werden. Wird er hingegen zu früh mit Werbung konfrontiert, erhöht dies die Gefahr eines vorzeitigen Suchabbruchs.
Zwar sind viele Internetnutzer Werbung durchaus gewohnt und vor allem die jüngere Generation dem nicht per se abgeneigt – dennoch darf Werbung nicht mit dem Holzhammer passieren. Stattdessen muss es Ziel sein, den Patienten gezielt mittels diversen Conversionelementen an die Hand zu nehmen. Der Patient soll im Mittelpunkt der Marketingaktivitäten stehen, nicht das Produkt.
Werbung sollte also vielmehr wohldosiert und im moment of need erscheinen. Ganz einfach ausgedrückt: Nicht zu früh, aber auch nicht zu spät. Und dieser Herausforderung werden sich zukünftig auch digitale Sprachassistenten stellen müssen.
Viele Nutzer befürchten – nicht unberechtigt – bei der Nutzung von Sprachassistenten Datenmissbrauch. Wie kann man dem in so sensiblen Bereichen wie Pharma und Healthcare vorbeugen?
Marc-Michael Schoberer: Es ist nur natürlich, dass der Patient Bedenken hat, wie der Umgang mit den teils hochsensiblen Gesundheitsinformationen zukünftig bei Sprachassistenten gehandhabt wird. Derzeit kann den Verantwortlichen aus Pharma- und Gesundheitsbranchen dahingehend nahelegt werden, hier so offen und transparent wie möglich zu agieren. Nur auf diese Weise entsteht Vertrauen aufseiten des Nutzers.
Marc-Michael Schoberer ist Geschäftsführer der xeomed GmbH & Co. KG, dem Spezialisten für digitale Kampagnen im Pharma- und Healthcare-Bereich. Mit über 12 Jahren Erfahrung als Search-Experte verantwortet er das gesamte operative Geschäft, das Digitale Marketing sowie den Bereich HR. Aktuell arbeitet xeomed mit Pharmaunternehmen wie NOVARTIS Pharma, BAYER Vital, Pohl-Boskamp, WÖRWAG Pharma und Weber & Weber.
©Porträtbild: xeomed GmbH & Co. KG