Heiko Pröger, SPIRIT LINK: „Emotionale Reize erhöhen die Chance, dass die Botschaft verarbeitet wird“

© SPIRIT LINK
Wie viel Fachsprache braucht gute RX-Kommunikation? Heiko Pröger, Geschäftsführer der Healthcare-Agentur SPIRIT LINK und Co-Präsident der OTC-Jury beim COMPRIX, über die Balance zwischen Emotion und Evidenz, den Wert von Zahlen und warum ein klarer Studienbezug am Ende mehr überzeugt als jede kreative Zuspitzung. Das Interview ist Teil unserer Serie „Kreativität in Healthcare“, die im Vorfeld des COMPRIX erscheint.
Health Relations: Welche Art der Ansprache wünschen sich Ärztinnen und Ärzte, wenn wir von klassischen Anzeigen der Pharmaunternehmen ausgehen?
Heiko Pröger: Ich kann insbesondere für die Zielgruppe der Onkologinnen und Onkologen sprechen. Sie stehen unter einem enormen Zeitdruck. Sie meisten befassen sich etwa zweimal pro Woche aktiv mit neuen Behandlungsoptionen, lesen Journals und gehen auf Plattformen und sagen alle: „In der Onkologie gab es eine Explosion an neuen Therapieoptionen in den letzten zehn Jahren. Wenn’s der vierte BRAF-Inhibitor ist, lässt mich das eher kalt.“
Health Relations: Heißt das, ein zweites oder drittes Produkt in einer bestehenden Klasse hat kaum Chancen, noch wahrgenommen zu werden?
Pröger: Wenn die Unterschiede marginal sind, entscheiden Ärzte sich häufig für das Produkt, das sie bereits kennen und dann hat es der Nachzügler schwer. Aber wir wissen aus der Kommunikationspsychologie: Gelingt es, emotional anzusprechen, kann Werbung trotzdem wirken. Empathie für Patienten oder Hoffnung auf neue Chancen in der Behandlung, das erzeugt Aufmerksamkeit. Auch wenn Ärztinnen und Ärzte ihren Entscheidungsprozess als rein rational beschreiben würden, wissen wir aus der Forschung: Emotionale Reize erhöhen die Aufmerksamkeit – und damit die Chance, dass die Botschaft überhaupt verarbeitet wird.
Dieses Zusammenspiel von Emotion und Ratio beschreibt auch Daniel Kahneman in seinem Zwei-System-Modell: Wahrnehmung und Entscheidung entstehen auf zwei Ebenen – einer schnellen, intuitiven und einer langsameren, analytischen. Erfolgreiche pharmazeutische Kommunikation sollte beide ansprechen: emotional aktivieren, um Aufmerksamkeit zu gewinnen, und dann mit Evidenz rational überzeugen.
„Claim und Bild müssen Aufmerksamkeit erzeugen, das ist der Hauptjob. Die Bulletpoints darunter müssen die Substanz liefern: wissenschaftliche Fakten, Studienergebnisse, den ,Reason to believe‘.“
Health Relations: Emotionalität in der Ansprache kann also aktivieren. Wie konkret kann man Emotionalität in der Gestaltung von Werbung denn umsetzen?
Pröger: Ich denke in zwei Ebenen. Zuerst braucht es etwas, das im Heft oder auf dem Screen auffällt. Der Claim und das Bild müssen Aufmerksamkeit erzeugen, das ist der Hauptjob. Wenn es gelingt, auf dieser Ebene bereits den Produktnutzen oder zumindest die Kategorie zu vermitteln, ist das optimal. Die Bulletpoints darunter müssen die Substanz liefern: wissenschaftliche Fakten, Studienergebnisse, den „Reason to believe“. Diese Kombination aus emotionalem Einstieg und rationaler Begründung ist entscheidend.
Health Relations: Worauf sollte man bei der Bildsprache achten, damit sie mit dem Text harmoniert?
Pröger: Bild und Text müssen einander verstärken. Das Bild hat denselben Job wie der Claim, nämlich Aufmerksamkeit erzeugen und das Thema emotional verankern. Wichtig ist außerdem die Markenkonsistenz. Viele Unternehmen wechseln zu häufig ihre Visuals, das schwächt die Wiedererkennbarkeit. Gerade Produkte ohne starke Alleinstellungsmerkmale profitieren von einer konstanten visuellen Identität.
Health Relations: Wie viel Fachjargon ist dabei sinnvoll? Soll er nur in den Bulletpoints stehen oder auch im Claim vorkommen?
Pröger: Wenn die Daten relevant sind, gehören sie in ihrer Fachsprache genannt. Ärzte wollen präzise Informationen, keine werblich weichgespülten Aussagen. Die Studie, die den Nutzen belegt, sollte klar benannt und idealerweise verlinkt werden. Rein werbliche Claims erfordern meist viele Fußnoten, während klare wissenschaftliche Aussagen oft für sich stehen können. Ein klarer Bezug auf die Originalstudie schafft zudem Glaubwürdigkeit.

COMPRIX: Deutschlands Award für exzellente Kreativität in Healthcare
Am 12. Juni 2026 werden in Köln die im deutschsprachigen Raum wichtigsten Awards für hervorragende Healthcare-Kampagnen verliehen. Am 3. November 2025 beginnt die Einreichungsphase für den Award und endet im Februar 2026. Ausgezeichnet werden die Agenturen und ihre Auftraggeber für die besten und kreativsten Werbemittel und Kampagnen, Anzeigen, Radio- und TV-Spots, Online-, Multimedia- und anderen Kommunikationsmaßnahmen. Der Preis für kreative Healthcare-Kommunikation wird vom COMPRIX-Beirat ausgerichtet, dem auch der Deutsche Ärzteverlag angehört.
Hier geht’s zu den Ausschreibungsunterlagen.
Health Relations: Lesen Ärztinnen und Ärzte die vielen Fußnoten und Pflichttexte eigentlich noch?
Pröger: Eher nicht. Aber wenn wir ihre Aufmerksamkeit gewonnen haben, gehen sie aktiv in die Primärdaten. Sie springen aus der Anzeige oder dem Außendienst-Flyer direkt zur Zulassungsstudie, um nachzusehen, ob das Hand und Fuß hat. Deshalb kann es sinnvoll sein, Studien direkt zu verlinken oder einen QR-Code anzubieten. Sie wollen übrigens keine vereinfachten Darstellungen der Studie, sondern die echten Daten. Eine grafisch aufbereitete oder redaktionell verkürzte Version senkt sogar eher das Vertrauen.
Health Relations: Studien, Daten und Zahlen verleihen einer Aussage Gewicht. Wie sollten Zahlen in der RX-Kommunikation eingesetzt werden?
Pröger: Mit Vorsicht. Wenn ein Vorteil klinisch nur marginal ist, sollte man ihn nicht isoliert als Zahl präsentieren, sondern in den relevanten Kontext einbetten, etwa in Bezug auf Lebensqualität, Verträglichkeit oder Patientengruppen. Auch, wenn ein Produkt keine bahnbrechende Innovation ist, lässt sich aus den Studiendaten meist ein Aspekt herausarbeiten, der für Ärztinnen und Ärzte tatsächlich einen Unterschied macht. Diesen Punkt sollte man klar und nachvollziehbar kommunizieren, das muss nicht unbedingt eine Zahl sein.
„Ärzte reagieren sehr stark auf Begriffe, die in ihrem spezifischen Fachkontext relevant sind. Wenn eine Botschaft ihre Indikation oder ihren Arbeitsalltag trifft, hören sie genau hin.“
Health Relations: Eine Anzeige hat zwei Sekunden, um wahrgenommen zu werden. Muss man hier nicht die passenden „Buzzwords“ finden, bei denen der Arzt auf jeden Fall hängenbleibt?
Pröger: Ärzte reagieren sehr stark auf Begriffe, die in ihrem spezifischen Fachkontext relevant sind. Wenn eine Botschaft ihre Indikation oder ihren Arbeitsalltag trifft, hören sie genau hin. Die Kunst ist, diese relevanten Themen zu identifizieren und präzise anzusprechen. Bei generischen Botschaften schalten sie sofort ab, insbesondere, wenn der Außendienst oder die Anzeige nicht auf ihre tatsächlichen Patienten und Indikationen eingeht. Allerdings sagen uns viele Onkologen „Ich bekomme seit vielen Jahren immer wieder dieselben Botschaften. Das ermüdet mich.“ Viele Pharmaunternehmen fahren die Informationsfrequenz so hoch, dass es einfach zu viel wird. Da muss man vorsichtig sein.
Health Relations: Gilt das für Newsletter?
Pröger: Ja. Egal ob Print, Online oder Mailing, überall herrscht Informationsüberfluss. Der erste Job ist immer, Aufmerksamkeit zu gewinnen. Im Newsletter, wo kaum Platz für Bilder ist, muss die Betreffzeile oder Headline diesen Effekt leisten. Auch hier gilt: Emotionalität hervorrufen, wo kein starker Fakt vorhanden ist und Fakten, wenn sie wirklich relevant sind. Wichtig ist zudem, die Frequenz zu dosieren. Viele Ärztinnen und Ärzte beklagen eine zu hohe Kommunikationsdichte.
Health Relations: Zum Schluss, was bedeutet für Sie Kreativität im Healthcare-Marketing?
Pröger: Wir arbeiten mit komplexen Produkten. Kreativität heißt, das Komplexe einfach und zugleich glaubwürdig zu machen. Wir müssen den einen Punkt finden, der das Produkt interessant macht, und ihn verständlich und emotional verpacken, ohne die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit zu verlieren. Das ist die Balance, die gute Healthcare-Kommunikation ausmacht.

