Kathleen Rieser, good healthcare: „Wir müssen den Wert des Außendienstes neu definieren“

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Der Zugang zu Ärzten wird immer schwieriger, der Kostendruck steigt, die Kanalvielfalt nimmt zu. Kathleen Rieser, CEO der good healthcare group, sagt, dass Pharmaunternehmen jetzt in Kompetenz, Kultur und Kommunikation investieren müssen – und Wirkung als neue Währung erkennen.
„Der Außendienst steht unter massivem Druck“, erklärt Kathleen Rieser, CEO der good healthcare group. Der Zugang zu Ärztinnen und Ärzten werde immer schwieriger – nicht nur physisch, sondern auch per Telefon oder per Video. „Die Taktung ist hoch, Pharmareferentinnen und -referenten müssen nicht selten acht Besuche pro Tag absolvieren. Aber wenn ich 45 Minuten im Wartezimmer verbringe, weil kein Zeitfenster frei ist, bleibt für andere Kontakte viel zu wenig Luft.“ Auch auf Remote-Kanälen lande man immer öfter auf dem Anrufbeantworter.
Hinzu kommen ein immenser Kostendruck, zunehmende Compliance- und Regulatorik-Vorgaben, immer mehr digitale Tools und eine wachsende Kanalvielfalt. Die Folge dieser Entwicklungen: Stress auf allen Seiten, gepaart mit wachsender Frustration über starre Prozesse und fehlende Anpassungen an die realen Bedingungen vor Ort.
Next Best Action: Zwischen Automatisierung und Empathie
Wie also diesen Herausforderungen begegnen und den Außendienst fit für die Zukunft machen? Viele Pharmaunternehmen setzen seit Längerem auf das Konzept der „Next Best Action“ (NBA). Der Ansatz nutzt datengestützte Handlungsempfehlungen, um damit die nächsten Schritte im Kundenkontakt zu definieren. Doch er ist an einigen Stellen missverstanden worden, findet Rieser: „In Unternehmen haben wir NBA oft wie eine starre Schablone eingeführt.“ So seien oftmals Customer Journeys am Schreibtisch entstanden und wirkten für den Außendienst wie übergestülpt.
„Wer NBAs entwickelt, sollte selbst einmal bei Telefonaten mit Ärzten daneben sitzen.“
„Viele Pharmareferentinnen und -referenten haben sich dadurch fremdbestimmt gefühlt“, so Rieser weiter. Statt starrer Journeys brauche es flexible Systeme – und Marketing-Teams, die motiviert und befähigt werden, den Arbeitsalltag des Außendienstes selbst mitzuerleben: „Wer NBAs entwickelt, sollte selbst einmal bei Telefonaten mit Ärzten daneben sitzen oder mit dem Außendienst auf Tour gehen.“
Hybrid und smart: physische Präsenz trifft Remote-Kommunikation
Die good healthcare group setzt auf das Modell eines smarten, hybriden Außendienstes: „Wir kombinieren physische Präsenz mit Remote-Kommunikation – per Telefon, Video, E-Mail oder anderen Kanälen“, erklärt die CEO. In manchen Fällen übernimmt eine Person alle Aufgaben, in anderen arbeiten Außendienst und Multichannel-Manager im Tandem. „Eine Orchestrierung der einzelnen Maßnahmen mit relevanten und abgestimmten Inhalten ist uns sehr wichtig, denn nur so kann nachhaltiger Erfolg garantiert werden.“
Ziel sei es, Kontakte nicht zu erzwingen, sondern bedarfsorientiert zu steuern – abhängig von Präferenzen, Zeitfenstern und dem individuellen Informationsbedürfnis der Ärztin oder des Arztes. Ein smarter hybrider Außendienst bedeutet: Nicht jedes Gespräch muss vor Ort stattfinden – aber jeder Kontaktpunkt muss sitzen.
Wirkung als neue Währung
Hinzu kommt: Kriterien wie Kontakte, Reichweite und Frequenz sind in Riesers Augen heute keine geeignete Währung mehr, wenn es um die Frage geht, was einen erfolgreichen Außendienst ausmacht. „Meiner Meinung nach müssen wir Wirkung zur wichtigsten Währung im Außendienst machen: Was bewegt mein Gegenüber? Wie sieht die relevante Botschaft aus? Welcher Kanal erzielt tatsächlich Einfluss? Und wie lässt sich das am Ende erfolgreich messen?“
Profan ist das nicht, denn in Deutschland sind Verordnungsdaten auf Arztebene seit Jahren aus Datenschutzgründen nicht mehr zugänglich. Pharmaunternehmen können daher nur Näherungswerte verwenden, etwa aus Paneldaten, oder neue Metriken wie dem „Facetime Equivalence“-Wert, mit dem die good healthcare group unterschiedliche Kontaktformen gewichtet, um Erfolge nachhaltig sicherzustellen.
Narrative Kompetenz statt Produktfokus
Ein weiterer Schlüssel liegt in der Kommunikation: Der Außendienst muss heute nicht mehr nur informieren, sondern beraten, eine Rolle als „Trusted Advisor“ der Ärztinnen und Ärzte einnehmen. Das jedoch verlangt narrative Kompetenz und die Fähigkeit, auf unterschiedliche Arztprofile individuell einzugehen – in Echtzeit, mitten im Gespräch.
„Es geht nicht darum, den Außendienst zu verändern – sondern ihn in seiner Rolle neu zu verstehen.“
Rieser zufolge sind Gesprächstrainings heute oft noch zu produktzentriert. „Dabei sollte es in diesen Trainings weniger um die Produktabfolge gehen und mehr um die Frage: Wie können wir jemanden wirklich fit machen, auf individuelle Arztanliegen einzugehen? Ein Klinik-Onkologe hat schließlich andere Fragen und Erwartungen als eine niedergelassene Allgemeinmedizinerin. Genau in diesem Bereich machen zugeschnittene NBAs Sinn und haben eine wichtige Daseinsberechtigung.“
Führung muss Leitplanken geben und Fehler erlauben
All das funktioniert nicht ohne eine veränderte Führungs- und Unternehmenskultur. Weg vom Mikromanagement, hin zu Enablement, Vertrauen – aber auch zur realistischen Einschätzung, wer Eigenverantwortung tragen kann. „Wir sehen dabei oft zwei Extreme: entweder ein zu starkes Micro-Management oder ein komplettes Laufenlassen“, so Rieser. „Beides führt nicht zum Ziel.“
Der Außendienst der Zukunft braucht keine Kontrolle, sondern Kontext: Er muss als Teil eines orchestrierten, relevanzgetriebenen Kommunikationssystems gedacht werden – eingebettet in hybride Modelle, getragen von sinnvoll verknüpften Online- und Offline-Kanälen. Dafür braucht es Führungskräfte, die Sicherheit geben, Lernprozesse fördern und Fehler als Teil von Entwicklung begreifen. Kathleen Rieser abschließend: „Es geht nicht darum, den Außendienst zu verändern – sondern ihn in seiner Rolle neu zu verstehen. Wer in Wirkung denkt statt in Kanälen, wird sein Potenzial nicht nur nutzen, sondern neu schätzen lernen.“
FAQ: Die wichtigsten Erkenntnisse
Was sind die größten Herausforderungen für den Pharma-Außendienst?
Schwieriger Zugang zu Ärztinnen und Ärzten, steigender Kostendruck, Compliance-Vorgaben und wachsende Kanalvielfalt.
Was bedeutet „Next Best Action“ (NBA)?
NBA bietet datengestützte Handlungsempfehlungen für den Kundenkontakt, sollte jedoch flexibel und praxisnah gestaltet werden.
Wie sieht ein hybrides Modell aus?
Es kombiniert physische Präsenz mit Remote-Kommunikation und steuert Kontakte bedarfsorientiert.
Warum ist Wirkung die neue Währung?
Wirkung misst den Einfluss und die Relevanz von Botschaften und Kanälen, statt nur Kontakte und Reichweite zu zählen.
Welche Rolle spielt narrative Kompetenz?
Narrative Kompetenz ermöglicht es dem Außendienst, individuell auf Arztprofile einzugehen und als „Trusted Advisor“ zu agieren.