OMR 2025 – State of the Internet: Einfach mal den Stecker ziehen

© Dominik Schreiner
Das Vertrauen sinkt, künstliche Intelligenz müllt das Internet zu. Gleichzeitig erleben reale Communities ein Revival. Der „State of the Internet“-Talk auf der OMR 2025 liefert Denkanstöße – und stellt die Frage, wie Marken künftig digital sichtbar bleiben. Was bedeutet das fürs Pharmamarketing?
Es ist schon fast Tradition: Roland Eisenbrand, Head of Content OMR, und Philipp Westermeyer, CEO OMR, haben in ihrem Talk „State of the Internet“ auf dem OMR Festival 2025 den Wandel der digitalen Welt seziert. Und der ist für das digitale Marketing herausfordernd: Promis verlieren ihre Werbewirkung. KI spuckt Masse statt Klasse aus. Der Traffic bricht ein, weil KI die Ergebnisse in einen Infotext verbaut, statt Links auszuspucken. In dieser „post-traffic world“ drohen Brand-Websites zunehmend in der Unsichtbarkeit zu verschwinden. Parallel formieren sich echte Communities, fernab der digitalen Plattformen – beim Laufen, Schachspielen, Lesen. Die Marketing-Welt steht vor einem Paradigmenwechsel: Sichtbarkeit entsteht auch jenseits der Bildschirme – um dann genau dort wieder zu landen.
Das hat sich verändert
- Traffic verliert an Kraft: Der KI-getriebene Wandel der Suchergebnisse reduziert Klicks. SEO und Website-Traffic verlieren an Bedeutung.
- KI macht misstrauisch: 75 % der Nutzer vertrauen digitalen Inhalten nicht mehr. Begriffe wie „Enshittification (beschreibt die Verschlechterung der Qualität und des Nutzererlebnisses von Online-Plattformen) oder „AI Trust Collapse“ prägen die Stimmung.
- Influencer out, echte Menschen in: Authentische Markeninteraktion wird wichtiger als Celebrity-Werbung. Im selben Zuge übernehmen die sogenannten Granfluencer das Ruder.
- Offline-Communities boomen: Run-Clubs, Schachgruppen, Bücherkreise – hier entstehen neue Touchpoints, auch ohne direkten Produktbezug.
Marketingstrategien, die jetzt helfen
Und jetzt? Jetzt müssen wir einfach mal den Stecker ziehen. Sagt jedenfalls Roland Eisenbrand.

© Regine Marxen
IRL-Marketing (In Real Life) inszeniert Marken im analogen Raum. Ob Running Clubs, Food-Kollektive oder Schachcafés – der Schlüssel liegt in echter Präsenz. Marken wie Heimatgut oder Sunday Run Club zeigen, wie das geht: Sie bauen Communitys auf oder sie knüpfen an diese an. Stichwort Community Piggyback Marketing, Das ist eine kooperative Marketingstrategie, bei der zwei oder mehr Unternehmen zusammenarbeiten, um jeweils die komplementären Produkte oder Dienstleistungen des anderen zu bewerben. Dabei stehen die Unternehmen nicht in direkter Konkurrenz, sondern profitieren gegenseitig von ihren Zielgruppen und Reichweiten. Sie gewinnen damit organische Reichweite – jenseits von Ads und Influencern, weil die Community zum Beispiel Bilder von einem Event postet.
KI-Sichtbarkeit schaffen, auch technisch
Über Generative Engine Optimization und die Art und Weise, wie KI das Suchverhalten verändert, schrieben wir schon (hier geht’s zum Artikel). Wer in den Suchergebnissen sichtbar bleiben möchte, muss aber nicht nur bei der Contentaufbereitung, sondern auch technisch seine Hausaufgaben machen. Laut Eisenbrand können die KI-Crawler, wie zum Beispiel der neue OpenAI Searchbot, kein Java Script verarbeiten. Die Konsequenz ist, dass alle Dinge, die mit Java Script geladen werden, von diesen KI-Crawern nicht gesehen werden können. Das kann fatal sein. Wichtige Informationen wie Produktbeschreibungen oder Testurteile könnten deshalb in den KI-Suchergebnissen nicht angezeigt werden.
Was das für Pharmamarketer bedeutet
Pharmaunternehmen müssen künftig doppelt sensibel agieren: im Spannungsfeld zwischen Datenschutz, HWG-Vorgaben und dem Bedürfnis der Menschen nach echter Information und Nähe.
Für OTC-Marken:
- Real-Life-Aktivierung statt Bannerwerbung: Marken mit Gesundheitsbezug (z. B. Vitamine, Erkältungsprodukte, Schlafhilfen) können aktiv in Communitys stattfinden. Laufen, Yoga, Ernährung – alles Touchpoints, an denen Marken nicht mit Logos, sondern mit Nutzen auftreten sollten.
- Produkt-Inszenierung neu denken: Der Launch eines neuen Produkts braucht mehr als eine Pressemeldung. Er braucht eine Bühne. Product Staging in Form eines Events oder einer originellen Kampagne kann die Reichweite nach oben treiben.
Für Rx-Kommunikation:
- Offline neu denken: Medizinische Fachveranstaltungen, Fortbildungen, lokale Formate, Barcamps – IRL-Kommunikation, also die Kommunikation im echten Leben, bietet Chancen, um Relevanz zu schaffen, wo digitale Kanäle versagen. Kooperationen mit KOLs, Ärztinnen und Ärzten, Patientenorganisationen und Patienten-Communitys sind im Pharmamarketing schon jetzt essenziell. Ihre Bedeutsamkeit wird steigen.
- Content für KI optimieren
Auch bei HWG-konformer Kommunikation kann strukturiertes Wissen eingebracht werden. Patienteninfos, Studienlagen, allgemeine Gesundheitsratgeber – in Formaten, die von Suchbots gelesen und verarbeitet werden können. - Vertrauen ist alles – erst recht bei Gesundheit
In einer Zeit, in der KI-Inhalte Misstrauen auslösen, zählt persönliche Autorität. Fachärzte, PTAs, medizinische Fachpersonen müssen in den Mittelpunkt gerückt werden.
Fazit: Eine Hürde, aber kein Hindernis
Pharmaunternehmen sind es gewohnt, in hochregulierten Märkten zu kommunizieren. Sie wissen, wie man komplexe Inhalte verständlich macht. Sie arbeiten mit medizinischen Meinungsführern, Fachredaktionen und evidenzbasiertem Content – genau den Elementen, die in der neuen Welt digitaler Sichtbarkeit zählen.
Der Wandel im Marketing hin zu vertrauensbasierten Systemen, weg vom reinen Digitalen, hin zu echten Begegnungen – kommt der Branche sogar entgegen. Denn anders als viele Lifestyle- oder D2C-Marken muss Pharma nicht laut, sondern glaubwürdig sein.
Die Instrumente dafür sind vorhanden:
- Redaktionell hochwertige, strukturierte Inhalte
- Zugang zu Trusted Sources wie Fachpresse oder Apothekenmedien
- Expertennetzwerke mit medizinischer Autorität
- Erfahrung mit Multichannel-Strategien
Was fehlt? Meist nicht die Tools – sondern der Perspektivwechsel.
FAQ State of the Internet 2025: Was Pharmaunternehmen jetzt wissen müssen
- Was bedeutet „Post-Traffic World“ im Marketing?
In der „Post-Traffic World“ generieren Websites deutlich weniger Besucher über Suchmaschinen. Marken müssen neue Wege finden, um sichtbar und relevant zu bleiben – zum Beispiel über echte Events, Communities oder KI-optimierten Content. - Wie wirkt sich der Vertrauensverlust in digitale Inhalte aus?
Studien zeigen: Rund 75 % der Nutzer misstrauen KI-generierten Inhalten. Marken müssen deshalb stärker auf persönliche Autorität, Fachwissen und echte Begegnungen setzen, um Glaubwürdigkeit aufzubauen. - Welche Rolle spielen reale Communities im Marketing?
Reale Gemeinschaften – z. B. beim Laufen, Kochen oder Lesen – gewinnen an Bedeutung. Sie bieten authentische Kontaktpunkte, bei denen Marken nicht werblich auftreten, sondern echten Mehrwert stiften können. - Was ist IRL-Marketing und warum wird es wichtiger?
IRL-Marketing (In Real Life) beschreibt Markenaktivitäten im echten Leben, z. B. Events oder Community-Projekte. Es schafft Nähe, Vertrauen und organische Sichtbarkeit – unabhängig von digitalen Plattformen. - Welche technischen Aspekte sind für KI-Sichtbarkeit entscheidend?
KI-Crawler können Inhalte, die per JavaScript geladen werden, oft nicht erfassen. Deshalb müssen wichtige Informationen (z. B. Produktdaten, Studien, Bewertungen) klar strukturiert und als HTML verfügbar sein. - Was bedeutet das für Pharmamarketing konkret?
Pharmaunternehmen müssen sowohl digital optimieren als auch im echten Leben präsent sein. Für OTC-Produkte bieten Community-Aktivierungen Potenzial. Für Rx-Produkte bleiben KOLs, Fachärztinnen und -ärzte und Patientengruppen zentrale Multiplikatoren.