So treibt Nachhaltigkeit neue Business Modelle in der Pharmaindustrie voran

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Eine weitere spannende Frage wird sein, wie die Pharmaindustrie ihr überschüssiges CO₂ kompensieren wird. Bislang geschieht dies häufig über freiwillige Zertifikate und nicht selten steht dahinter die Aufforstung von Wäldern in Südamerika. Diese Variante der Kompensation wird spätestens dann in Verruf kommen, wenn der erste fragt, seit wann Baumpflanzungen von der Krankenkasse, die eben die Kosten für die Medikamente übernimmt, bezahlt werden. Im Moment werden Kompensationsmechnismen entwickelt, die speziell für das Gesundheitswesen geeignet sind und die Gelder der Solidargemeinschaft nicht unangemessen in Anspruch nehmen. In jedem Fall kann die Pharmaindustrie die Produktion von CO₂-reduzierten, weil z.B. regional produzierten Medikamenten vorantreiben. Denkbar ist auch, dass digitale Anwendungen, vielleicht DiGA oder andere nachweislich CO₂ einsparende Anwendungen, verrechnet werden. Möglicherweise kommen auch nur sogenannte „digital drugs“ dafür infrage.
Health Relations: Was sind „digital drugs“ und können Sie ein Beispiel nennen?Dr. med. Markus Müschenich: Diese Medikamente arbeiten nur auf Software-Basis und funktionieren über die Stimulation des Gehirns oder spezieller Nerven. Ein Beispiel: Das Unternehmen Dopavision entwickelt gerade das Medikament Myopia X gegen Kurzsichtigkeit. Es wirkt über spezielle Lichtreize auf Netzhautzellen. Die Lichtreize lösen die Ausschüttung von Botenstoffe aus, die dafür sorgen sollen, dass die Kurzsichtigkeit nicht weiter fortschreitet. Diese ist besonders im Kindesalter gefährlich, weil die Ursache der Kurzsichtigkeit ein zu langer Augapfel und, wenn dieser unkontrolliert weiterwächst, kann das ein Reißen der Netzhaut zur Folge haben kann. Das wiederum führt zu Blindheit. Ein weiteres Beispiel ist die DosePair Technologie zur Behandlung von Depressionen, dass das Unternehmen Neuraltrain entwickelt. Diese Art Medikamente haben eine extrem niedrige CO₂-Last, weil sie nicht konventionell produziert, befördert oder verpackt werden müssen. Sie werden vielmehr über das Internet gestreamt. Das Beispiel zeigt, dass Nachhaltigkeit in der Pharmaindustrie zu vielen guten Business-Modellen führen kann. Außerdem müssen wir Nachhaltigkeit aus dem Verzichtkontext herausnehmen. Nachhaltigkeit heißt nicht, dass wir etwas verlieren, wir können dabei viel mehr gewinnen. Im Idealfall sollte es Spaß machen, darüber nachzudenken, wie unser Gesundheitswesen nachhaltiger werden kann.
- Wie Nachhaltigkeit zu neuen Business-Modellen führt,
- Welche Bereiche der Pharma von Nachhaltigkeit besonders betroffen sind,
- Worauf sich Pharmaunternehmen einstellen sollten,
- Was der Gesetzgeber in Sachen Nachhaltigkeit von Pharma verlangen könnte
- Was „digital drugs“ sind und was sie mit Nachhaltigkeit zu tun haben
"Die Pharmaindustrie ist eine der ersten, für das Thema Nachhaltigkeit nicht nur viel Aufwand ohne Wertschöpfung bedeutet."Health Relations: Welche Erwartungen haben Sie für die Branche? Was wird auf sie zukommen?Dr. med. Markus Müschenich: Ich kann mir Verschiedenes vorstellen: Es ist denkbar, dass sich die Industrie freiwillig verpflichtet, die CO₂-Emissionen, die bei der Herstellung eines Medikaments entstehen, auf die Verpackung zu drucken. Aus dem Markt ist zu hören, dass sich die ersten Pharmaunternehmen schon darauf vorbereiten. Sie wollen das als Wettbewerbsvorteil nutzen und letztlich hätte das auch Auswirkungen auf das Marketing, denn ein besonders klimafreundliches Produkt lässt sich auch besser verkaufen – vor allem sind Kund:innen bereit, für mehr Nachhaltigkeit auch tiefer in die Tasche zu greifen. Mit Nachhaltigkeit kann man also durchaus gutes Marketing betreiben und von den Verbraucher:innen wird auch noch ein höherer Preis akzeptiert.
"Im Idealfall sollte es Spaß machen, darüber nachzudenken, wie unser Gesundheitswesen nachhaltiger werden kann."Health Relations: Sie sprachen eben von einer freiwilligen Verpflichtung der Pharmaunternehmen zur Angabe der entstandenen CO₂-Emissionen. Was passiert denn, wenn die Firmen das nicht aus eigenem Antrieb heraus tun?Dr. med. Markus Müschenich:Ich gehe davon aus, dass das dann über kurz oder lang der Gesetzgeber einfordern wird. Wenn das passiert, könnte auch etwas eingeführt wird, das in der Automobilindustrie „Flottenziel“ heißt. Damit ist gemeint, dass ein Pharmaunternehmen die Erlaubnis erhält, eine gewisse Menge CO₂ zu emittieren. Die Firmen müssen zusehen, dass sie diese nicht überschreiten. Wird also ein Medikament produziert, das besonders viel Emissionen zur Folge hat, muss an anderer Stelle eingespart werden.

