Unterstützung bei aufwändigen Routineaufgaben, bessere Interaktion mit Ärzten: Die Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI) im Pharma-Außendienst sind so vielfältig wie vielversprechend. Dr. Jörg Mütze, Head of DACH (Commercial Solutions), Strategy bei Veeva, erklärt, wie viel KI der Außendienst wirklich verträgt und wo der Faktor Mensch unverzichtbar ist.

Freitagnachmittag, irgendwo in Deutschland. Der Außendienst-Mitarbeiter eines Pharmaunternehmens tippt und tippt, er digitalisiert Notizen aus diversen Arztgesprächen, die sich über die Woche hinweg angesammelt haben. Eine Szene aus dem Außendienst-Alltag, wie sie jede Woche wohl vielfach stattfindet.

Solche aufwändigen Routineaufgaben sind es, die Pharma- und Healthcare-Unternehmen oft als Erstes in den Blick nehmen, wenn sie über den Einsatz von KI in ihrem Außendienst nachdenken. „Das Thema Effizienz ist der größte Motivator, um sich mit KI auseinanderzusetzen“, sagt Dr. Jörg Mütze. Er ist Head of DACH (Commercial Solutions), Strategy bei Veeva. Das Unternehmen bietet Cloud-Software für die Life Science Branche. Im Dezember bringt Veeva verschiedene KI-Agenten auf den Markt. Einer davon wird Außendienst-Mitarbeitenden erlauben, Notizen direkt zu diktieren. Die KI transkribiert sie und trägt sie automatisch ins System ein. Das Abtippen am Freitagnachmittag? Wird damit überflüssig.

Auf mehr Effizienz folgt mehr Effektivität

Doch das Potenzial von KI im Außendienst endet nicht bei der Automatisierung von Routineaufgaben. Nach der Verbesserung der Effizienz lautet die nächste Evolutionsstufe: mehr Effektivität. KI kann heute dabei helfen, die Interaktionen zwischen Außendienst und Ärzten zu verbessern. Zum Beispiel, indem sie Außendienstmitarbeitende in der Gesprächsvorbereitung unterstützt. Ein sogenannter Pre-Call-Agent trägt dafür alle relevanten Informationen zu einem Arzt zusammen und stellt sie leicht verständlich dar: Welche Interaktionskanäle bevorzugt der Mediziner? Welche Inhalte interessieren ihn besonders? Hat er zu bestimmten Themen etwas publiziert oder auf Konferenzen gesprochen? Welche Gesprächsnotizen mit ihm liegen vor? All das musste sich der Außendienst bis dato selbst zusammensuchen, das übernimmt jetzt die KI für ihn.

„Das ist das Ziel: digitale Präzision mit menschlicher Authentizität zu verbinden.“

„Das entlastet auf der einen Seite die Mitarbeitenden im Außendienst und gibt ihnen die Möglichkeit, sich ganz auf die Gespräche mit den Ärztinnen und Ärzten zu fokussieren. Auf der anderen Seite wollen wir den Kontakt auch für die Ärzte so wertvoll und angenehm wie möglich gestalten“, so Mütze weiter. Hier geht es also nicht zuletzt um die viel beschworene Personalisierung. „Mit den richtigen Inhalten und Erkenntnissen macht die KI die Interaktion mit dem Außendienst für den Arzt relevanter. Das ist das Ziel: digitale Präzision mit menschlicher Authentizität zu verbinden.“

KI bricht Silos auf

Die Interaktionen zwischen Pharmaunternehmen und Arzt sollen mit KI noch besser ineinandergreifen und aufeinander aufbauen. So sollte der Außendienst zum Beispiel wissen, ob ein Arzt gerade eine E-Mail aus dem Marketing erhalten hat. Und seine Ansprache darauf anpassen.

Damit wird klar: Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Außendienst bringt auch innerhalb von Pharmaunternehmen vieles in Bewegung. „KI wird die Silos zwischen Abteilungen aufbrechen, sollten diese bestehen“, prognostiziert Mütze. „Marketing, Vertrieb und Medical beispielsweise brauchen einen gemeinsamen Blick auf den Kunden und das heißt auch, sie brauchen eine integrierte, datengesteuerte Orchestrierung ihrer Maßnahmen. Eine einzige Datenbasis. Die Technologie ist hier ein Hebel, um die Abteilungen operativ näher zusammenzubringen. Notwendig ist in dem Kontext auch eine Anpassung der KPIs: Es nutzt nichts, wenn das Marketing einen KPI hat, der nicht zu dem des Vertriebs passt. Auch die Zielgrößen müssen bereichsübergreifend gedacht werden.“

„Technologie ist hier ein Hebel, um die Abteilungen operativ näher zusammenzubringen.“

Apropos Zielgrößen: Wie steht es eigentlich um die Messbarkeit des KI-Einsatzes im Außendienst? Laut Dr. Jörg Mütze gibt es zum einen die Möglichkeit, über quantitative Metriken zu messen, ob die KI den Außendienst voranbringt: „Wie hoch ist die Zeitersparnis bei administrativen Aufgaben?“, wäre hierfür eine typische Ausgangsfrage. Zum anderen können Pharmaunternehmen die Wirkung von KI über qualitative Metriken analysieren – etwa über Umfragen, die ermitteln, als wie hilfreich oder nicht hilfreich ihre Mitarbeitenden die Informationen des Pre-Call-Agents empfinden. Oder inwiefern sich die Zusammenarbeit von Außendienst, Marketing und Medical verändert hat.

Je konkreter der Nutzen, desto besser

Doch wie viel davon ist bereits Realität? Wo steht die Pharma- und Healthcare-Branche beim Einsatz von KI im Außendienst heute? Dr. Jörg Mütze berichtet, dass viele Veeva-Kunden in den vergangenen zwei Jahren in das Thema eingestiegen und viele Pilotprojekte durchgeführt haben. Und das gilt für Unternehmen verschiedenster Größenordnungen. Da sind einerseits große Pharma-Konzerne mit entsprechenden Ressourcen: Sie haben teils ganze Teams für die Erkundung neuer KI-Anwendungsfelder abgestellt, können vieles ausprobieren und implementieren. Andererseits berichtet Mütze aber auch von kleinen BioTech-Startups, die viel agiler und beweglicher sind und entsprechend leicht erste Piloten starten können.

„Wir wollen nicht einfach irgendwo KI überstülpen.“

Für den Einstieg empfiehlt Mütze, dass Unternehmen sich kleine, sehr konkrete Anwendungsfälle suchen sollten: Wo kann die KI unserem Außendienst wirklichen Mehrwert bieten? Je besser das Projekt umrissen ist, desto besser wird es seiner Erfahrung nach von den Mitarbeitenden aufgenommen. Und je eher sie erkennen, wie eine Anwendung ihnen hilft, desto schneller sind sie im Boot und desto höher ist die Akzeptanz der neuen Technologie. „Dafür braucht es einen Fahrplan. Technologie ist immer nur das Mittel und nicht der Zweck. Wir wollen nicht einfach irgendwo KI überstülpen“, so Mütze abschließend. „Dreh- und Angelpunkt ist immer der Nutzen für den Anwender.“