vfa-Studie: So wird der Forschungsstandort Deutschland attraktiver

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Dr. Rolf Hömke, Forschungssprecher vfa. © vfa (© Canva)
Der Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland hat in den letzten Jahren an Attraktivität verloren. Woran liegt das und was muss passieren, damit sich das ändert? Eine Studie des vfa in Kooperation mit der Beraterfirma Kearney gibt darauf Antworten. Im Interview berichtet Dr. Rolf Hömke, Forschungssprecher beim vfa.

In diesem Beitrag lesen Sie:

  • Warum mangelndes Tempo ein Problem für den Forschungsstandort Deutschland ist,
  • Welche Rolle der Datenschutz bei klinischen Studien spielt,
  • Was passieren kann, wenn es nicht gelingt, Deutschland als Forschungsstandort wieder attraktiver zu machen.
  • Warum Ärzt:innen an einer Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie interessiert sind
  • Wie KI Ärzt:innen und klinische Forschung unterstützten kann

Health Relations: Was sind die größten Probleme für den Forschungsstandort Deutschland?

Dr. Rolf Hömke: Ein Problem, das sich immer wieder auftut, ist das Tempo. Damit meine ich die Zeit, die Verhandlungen oder langsame Genehmigungsprozesse brauchen. Eigentlich haben wir in Deutschland viele Ressourcen und Kompetenzen, mit denen man sehr gut Pharmaforschung betreiben kann. Es gibt Firmen und die Universitäten und die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die große medizinische und technologische Kompetenz haben. Man sollte annehmen, dass deshalb das Studienwesen boomt. Immerhin war Deutschland früher einmal die Nummer zwei in der Welt in Bezug auf die Beteiligung an Studien. Doch ist das in den letzten Jahren immer weniger geworden, und andere haben überholt.

Health Relations: Welchen Grund gibt es dafür?

Dr. Rolf Hömke: Die Unternehmen wie auch die forschenden Ärztinnen und Ärzte haben die Erfahrung gemacht, dass manchmal ein Jahr vergeht zwischen der Absicht, eine klinische Studie zu einer bestimmten Therapie oder einem neuen Medikament durchzuführen, und dem Tag, an dem erstmals tatsächlich Teilnahmewillige behandelt werden können. In anderen europäischen Ländern braucht man für den gleichen Prozess oft nur einige Monate.

„Ein Problem, das sich immer wieder auftut, ist das Tempo.“

Health Relations: Woran liegt das?

Dr. Rolf Hömke:  Für jede Studie braucht man die Genehmigung einer Arzneimittelbehörde und die Zustimmung einer Ethikkommission. Und wenn die Studie zum Beispiel Röntgendiagnostik oder ein radioaktives Medikament einsetzt, braucht man auch eine Strahlenschutzgenehmigung. Das ist auch richtig so. Aber solche Genehmigungsprozesse dauern in Deutschland mitunter sehr lang; nämlich dann, wenn eine Strahlenschutzgenehmigung nötig ist oder sich die Sache im Datenschutz verheddert.

Health Relations: Das ist ja ein oft benanntes Problem.

Dr. Rolf Hömke: Ich will betonen, dass es nicht zu viel Datenschutz bei klinischen Studien gibt. Er ist wichtig und auch von den Pharmafirmen gewollt. Das Problem in Deutschland ist Folgendes: Wir haben zwar eine bundesweit gültige Rahmen-Gesetzgebung für Datenschutz. Für klinische Studien gibt es aber keine spezifische Auslegung. Die Landesdatenschutzbeauftragten müssen die selbst vornehmen. Und sie intervenieren mitunter, wenn eine Studie auf Basis der abweichenden Auslegung eines anderen Bundeslands genehmigt wird. Pharmaunternehmen können aber nicht verschiedene Datenschutzvorstellungen gleichzeitig erfüllen. Die Bundesregierung hat die Daten- und Strahlenschutz-Probleme aber erkannt und will sie – zusammen mit einigen anderen Handicaps – im kommenden Medizinforschungsgesetz überwinden.

„Wir haben zwar eine bundesweit gültige Rahmen-Gesetzgebung für Datenschutz. Für klinische Studien gibt es aber keine spezifische Auslegung. Die Landesdatenschutzbeauftragten müssen die selbst vornehmen.“

Health Relations: Gibt es weiter Faktoren, die die Forschung und Innovationen erschwert?

Dr. Rolf Hömke: Für klinische Studien sind Verträge notwendig, die Pharmaunternehmen beispielsweise mit Unikliniken schließen, oder auch mit Schwerpunktpraxen. Oft muss mit einzelnen Einrichtungen sehr lange verhandelt werden, um zu einer Einigung zu finden. Häufig geht es dabei aber um dieselben Themen, etwa: Wie soll der Aufwand honoriert werden? Wie funktioniert die Teilnehmerversicherung? Wer darf zusätzliche Erkenntnisse veröffentlichen, die im Rahmen der Studie gewonnen werden? Um die Verhandlungen zu verkürzen, empfiehlt eine Studie des vfa und der Unternehmenberatung Kearney, sich am Ausland zu orientieren. Spanien oder Frankreich setzen zum Beispiel auf Musterverträge oder Mustervertragsklauseln, die helfen, schneller zu einer Einigung zu kommen. Der vfa hat sich mit der deutschen Hochschulmedizin und mit dem KKS-Netzwerk, also dem Verbund der Koordinierungszentren für klinische Studien, zusammengetan und Mustervertragsklauseln herausgegeben. Sie werden auch vom Pharmaverband BPI und vom Bundesverband Medizinischer Auftragsinstitute mitgetragen. Sie sind als Vorlage für Verträge dienlich. Vor ein paar Wochen wurde ein Update veröffentlicht.

Health Relations: Wie schaffen Sie es, in Richtung der Krankenhäuser und Ärzt:innen so zu kommunizieren, dass diese nicht das Gefühl bekommen, das Regelwerk berücksichtigt nur die Interessen der Pharmaindustrie?

Dr. Rolf Hömke: Allen war ab Projektbeginn klar, dass diese Idee aufkommen könnte. Deshalb haben wir uns bewusst mit Klinikverbänden zusammengesetzt. Gemeinsam herausgegeben haben wir dann Klauseln, die auf einen Ausgleich der Rechte, Pflichten und Interessen beider Seiten ausgerichtet sind.

Health Relations: In Ihrer Studie machen Sie Vorschläge, wie man den Forschungsstandort Deutschland attraktiver machen könnte. Aber was wären die Konsequenzen, wenn das nicht gelingt? Hätte das beispielsweise Auswirkungen darauf, wo neue Medikamente oder Therapien entwickelt und in der Folge dann auch neu eingeführt werden?

Dr. Rolf Hömke: Natürlich entscheidet jede Firma grundsätzlich selbst, wo sie Medikamente auf den Markt bringt, aber es ist schon richtig: Nehmen wir einmal an, es geht um eine kompliziertere Therapie, zum Beispiel eine zellbasierte Gentherapie. Da muss jedes Klinikteam dazulernen und verstehen, wie die Therapie überhaupt funktioniert, wie man sie sicher handhabt und wie man die dafür notwendigen Arbeitsabläufe etabliert. Wenn in einem Land eine gewisse Anzahl an Kliniken schon an den Studien dazu teilgenommen haben, die Arbeitsabläufe also kennen und schnelle medizinische Entscheidungen treffen können, dann wird eine Firma sicherlich dieses Land eher in ihre Planung für das erste Zurverfügungstellen der Therapie einbeziehen.

Die vollständige Studie finden Sie hier.

Health Relations: Was bedeutet das konkret für Deutschland?

Dr. Rolf Hömke: Ich sag’ mal so, wenn Sie als Firma so eine Therapie trotzdem in Deutschland einführen, obwohl es kaum Ärzte und Ärztinnen gibt, die diese Therapie schon kennen, wird es viel länger dauern, bis sie breitflächig in der Versorgungsroutine ankommt.

Health Relations: Müssten Ärzt:innen nicht ein Interesse daran haben, dass das eben nicht passiert und sich in der Folge für eine gute Zusammenarbeit mit den Pharmafirmen interessieren?

Dr. Rolf Hömke: Viele Ärzte und Ärztinnen signalisieren uns, dass sie Interesse daran haben. Sie möchten gerne an Studien mitwirken, aus den genannten Gründen. Aber sie haben ein Problem, das wir in der vfa-Studie auch ansprechen, nämlich dass sie meist Vollzeit in der medizinischen Routineversorgung eingebunden sind. Eine Mitwirkung bei einer klinischen Studie findet somit in den Überstunden statt. Eine Lösung könnte daher sein, das Personal etwa um Study Nurses aufzustocken. Das ist medizinisches Personal unterhalb der Ärztebene, das zusatzqualifiziert wird und im Rahmen von klinischen Studien mehr Aufgaben übernimmt.

Health Relations: Und die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen, schadet sicher auch nicht.

Dr. Rolf Hömke: Ganz genau! Dabei reden wir noch gar nicht davon, jetzt überall generative KI einzusetzen. Im Moment geht es einfach darum, Dinge digital zu ermöglichen, die andere Länder schon praktizieren; und von deren Erfahrungen zu lernen. Beispielsweise, dass sich Kliniken gegenseitig Studienteilnehmer vermitteln, geleitet von automatischen Patientenakten-Analysen.

Oder mit großen anonymisierten Gesundheitsdatenbeständen relevante Forschung zu machen – etwa Subgruppen von Krankheiten zu identifizieren. Das ist für Forschungsinstitute wie auch Pharmafirmen unter anderem für die Studienplanung enorm wichtig. Hier sind wir aber auf einem guten Weg, denn am Gesundheitsdatennutzungsgesetz wird gerade gearbeitet und es könnte noch dieses Jahr durch die zweite und dritte Lesung gehen.

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