Künstliche Intelligenz: Wie hilft KI Pharma wettbewerbsfähiger zu sein?

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Patrick Küttner: "Mithilfe von KI und Wandlungen im Geschäftsmodell haben Pharmaunternehmen die Möglichkeit, wieder Vorreiter bei innovativen Medikamenten zu werden." © RS-Studios / Adobe Stock
Künstliche Intelligenz (KI) hat vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in der Pharmabranche. Eine davon sehen Experten in der Beobachtung von Mitbewerbern.

Die Unternehmensberatung Kearney hat in einer Studie Vertreter von Pharmafirmen gefragt, welche Einsatzfelder von Künstlicher Intelligenz (KI) und Advanced Analytics sie in Pharmafirmen sehen. Für 59 Prozent der Befragten sehen in der auf KI basierenden Konkurrenzanalyse einen wichtigen zukünftigen Werttreiber im Vertrieb. Patrick Küttner, Manager bei Kearney, erklärt im Interview, warum KI für die Pharmabranche so interessant ist.

Health Relations: Warum ist der Einsatz von KI für die Pharmabranche interessant?

KI kann der Pharmabranche zur Wettbewerbsbeobachtung dienen
Patrick Küttner ist Manager bei Kearney, © Kearney

Patrick Küttner: Die Pharmabranche hat goldene Dekaden mit sehr profitablen Geschäftsjahren hinter sich. Einerseits hat die ungebrochen hohe Nachfrage aufgrund Bevölkerungswachstum, breiterem Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen und wissenschaftlichem Fortschritt in der Diagnostik zu anhaltend hohen Preisen geführt. Andererseits war die Pharmabranche durch kontinuierliche, wenn auch nicht mehr revolutionärer Innovation und hohen Eintrittsbarrieren, u.a. durch die starke Regulierung und hohen Anfangsinvestitionen, mit geringem Wettbewerbsdruck konfrontiert.

Health Relations:  Diese Tage scheinen nun vorbei.

Patrick Küttner: Ja, dieses Zeitalter ist mit hohen Margen und geringen Risiken nun von mehreren Seiten unter Druck. Die „low hanging fruits“ sind entwickelt, der Fokus ist nun auf Rare Diseases und Subpopulationen. Der Aufwand in der Forschung & Entwicklung wird auch durch die Regulierungsbehörden weiter erhöht – Stichwörter sind hierbei die Patientensicherheit und höhere Anforderungen in Bezug auf klinische Daten zur Effektivität neuer Medikamente im Vergleich zum aktuellen „Standard of Care“. Preisverhandlungen werden nun auch vonseiten der Behörden aufgrund des Kostendrucks intensiver und unter Berücksichtigung der Preise in anderen Ländern sowie mithilfe von Health Technology Assessments geführt. Neue Wettbewerber, die nicht die Kostenstrukturen von großen Pharmaunternehmen und zudem neue Geschäftsmodelle haben, treten in den Markt ein, so z.B. Technologieunternehmen als Plattformanbieter oder Biotechs als die neuen Innovatoren. Dazu kommt, dass die Absatzmärkte sich verschieben und die Kundengewinnung mit sinkender Loyalität und durch die größere Medikamentenauswahl für Ärzte zunehmend schwieriger wird. All dies führt dazu, dass die bis anhin hohen Margen der klassischen Pharmaunternehmen unter Druck geraten.

Teile der Wertschöpfungskette, in denen Pharmavertreter großes Potenzial für KI & Analytics sehen


Health Relations: Wie aber kommt nun die KI ins Spiel?

Patrick Küttner: Mithilfe von KI und Wandlungen im Geschäftsmodell haben Pharmaunternehmen nun die Möglichkeit, wieder Vorreiter bei innovativen Medikamenten zu werden – und dies mit geringeren Kosten. Dadurch, und mithilfe genauerer Nutzenanalysen, erreichen sie eine bessere Verhandlungsposition bei der Preisgestaltung mit den Regulierungsbehörden und Versicherungen.

Health Relations:  Wie kann KI bei der Preisgestaltung von Medikamenten helfen?

Patrick Küttner: Die Preisgestaltung von Medikamenten ist eine Gleichung mit vielen Variablen. Welchen Zusatznutzen stiftet das Medikament für die Lebensqualität des Patienten, basierend auf welchen Indikatoren? Welche Vergleichsmedikamente werden herangezogen? Für welche Patientengruppe und Indikation? Die Optimierung dieser Funktion ist äußerst anspruchsvoll und bedarf technischer Unterstützung, sowohl bei der initialen Definition während der Entwicklung, als auch bei der Preisverhandlung. Zusätzlich muss diese Argumentation verständlich kommuniziert und alternative Szenarien simuliert werden. Hierbei helfen Anwendungen der KI.

Health Relations: Ihre Studie ergab, dass für Pharmavertreter KI besonders in Bezug auf die Wettbewerbsbeobachtung von Interesse ist. Warum ist das so?

Patrick Küttner: Die Beobachtung des Wettbewerbers in der Pharmawelt ist eine wichtige, jedoch äußerst arbeitsintensive Tätigkeit. Der Schwerpunkt hierbei liegt in dem Analysieren der Forschungstätigkeiten und Studienresultate und geht über die Etikett-Angaben und Zielgruppen bis zu den Absatzzahlen. Eine Automatisierung ermöglicht daher nicht nur eine kostengünstigere Alternative, sondern vor allem eine höhere Genauigkeit der Datenbasis und mit der Möglichkeit von schnelleren Entscheidungen. Vor allem die schnelle Reaktion auf verändertes Wettbewerberverhalten kann entscheidende Vorteile bei der Entwicklung von Produkten ermöglichen.

Health Relations: Viele Unternehmen sind in Sachen Digitalisierung aber noch gar nicht so weit, dass sie KI einsetzen könnten. Was muss hier noch passieren?

Patrick Küttner:  Dies ist korrekt. Vor allem Unternehmen im Gesundheitswesen sind im Vergleich zu anderen Industrien (z.B. Konsumgüterhersteller oder Finanzdienstleister) noch in den Kinderschuhen der Digitalisierung. Neue Technologien können sich in den Unternehmen nur nachhaltig durchsetzen, wenn ein genügend hoher Druck von außen stattfindet, was nun ja der Fall ist. Zudem müssen diese neuen Technologien einen unmittelbaren Nutzen für Mitarbeiter stiften, ohne diese zu unverhältnismäßigen Änderungen ihrer Arbeitsweisen zu zwingen. Eine verbindliche Anordnung der Geschäftsleitung KI einzusetzen, kombiniert mit einhergehenden Einsparungen der Mitarbeiter, haben kaum Aussichten auf Erfolg. Darum müssen die Mitarbeiter in der Definition von Anwendungsfällen von KI frühzeitig eingebunden, der Nutzen gemeinsam definiert und kommuniziert werden.

In diesen Bereichen unterstützt KI Pharma
  • Preisgestaltung von Medikamenten
  • Nutzenanalysen helfen bei Preisverhandlungen mit Regulierungsbehörden
  • Wettbewerbsbeobachtung durch Analyse von Forschungstätigkeiten, Studienresultaten, Etikett-Angaben, Zielgruppen oder Absatzzahlen

Health Relations: Haben Sie den Eindruck, dass die Firmen bereit sind, ihre Strukturen so drastisch zu ändern?

Patrick Küttner:  Um erste Erfolge mit KI zu gewinnen, sind keine strukturellen Änderungen der Organisation nötig. Dies ist ein schrittweiser Prozess, abhängig von der Organisation und den Anwendungsgebieten. Zu Beginn wird der Nutzen des Anwendungsfalls getestet und von Projektteams, die eng mit den Fachbereichen zusammenarbeiten, bestätigt oder falsifiziert. Sollte der Nutzen bestätigt werden, werden als Nächstes die Fachbereiche befähigt, die KI-Anwendungen bestmöglich zu nutzen, dabei erfolgt oft auch die Einstellung von neuen Profilen (z.B. Data Scientists). Erst im letzten Schritt erfolgt dann die strukturelle Änderung der Organisation, wenn der Reifegrad der KI-Anwendungen und die Durchdringung im Unternehmen so weit fortgeschritten sind, dass übergreifende Synergien ermöglicht werden. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg.

Health Relations: Könnte KI auch ein gutes Einsatzfeld im Marketing finden? Wenn ja, wie könnte das aussehen?

Patrick Küttner: Produktmarketing bei Pharmaunternehmen ist ein Gebiet mit hoher Komplexität und Regulierungsdichte. Hierbei müssen deshalb einerseits die länderspezifischen Regulierungen und andererseits die strengen Compliance-Richtlinien der Branchenverbände und Unternehmen berücksichtigt werden. Ein valides Einsatzszenario ist jedoch die Segmentierung von Gesundheitsdienstleistern und die clusterspezifische automatisierte Bereitstellung der relevanten Informationen. Sentiment-Analysen sind ein weiteres interessantes Einsatzfeld. Nicht nur für das Marketing, sondern vor allem auch für ungefilterte Rückmeldungen an die Medical-Organisation und dem frühzeitigen Erkennen von unerwünschten Nebenwirkungen.

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