Healthcare-Influencer: Fluch oder Segen? Folge 1: Samira Mousa

2003
Healthcare-Influencer Samira Mousa

Healthcare-Influencer: Nur ein Trend oder nachhaltiges Brand-Marketing? In unserer neuen Serie beleuchten wir aus unterschiedlichen Perspektiven, ob und wann ihr Einsatz Sinn macht.

Manchmal nerven Influencer. Weil ihr Aufkommen inflationär erscheint und sich gefühlt jeder Instagram-User mit einer halbwegs ansehnlichen Follower-Anzahl als eben solcher bezeichnet. Das hat die Gefahr der Beliebigkeit; Relevanz und Narzissmus scheinen nahtlos miteinander zu verschmelzen. Dennoch: Auch 2018 geht im Marketing nichts ohne die Markenbotschafter – und das gilt auch für die Healthcare-Kommunikation. Doch die Gesundheits-Branche ist ein sensibles Geschäft und folgt anderen Regeln als die Welt von Lifestyle oder Fashion. „Pharma muss nischig arbeiten“, sagt Samira Mousa. Die 28-Jährige hat den MS-Blog „chronisch fabelhaft“ ins Leben gerufen und arbeitet als Autorin und Healthcare-Influencer. Wir haben mit ihr über ihre Sicht der Dinge gesprochen.

Health Relations: Samira, seit wann arbeitest du an deinem Blog „chronisch fabelhaft“?

Samira Mousa: Seit zwei Jahren, seit ziemlich genau einem Jahr ist er online. Ich habe damals im Februar angefangen, hatte noch eine Festanstellung in einer Agentur für Techno-DJs. Dann ging es ziemlich schnell Schlag auf Schlag. Es folgte meine erste Kooperation mit Merck zum Welt-MS-Tag, die sicherlich meiner Reichweite und Bekanntheit geholfen und mir gezeigt hat, dass mein Blog nicht nur für Leser interessant ist, sondern auch für mich als Jobperspektive funktioniert.

Health Relations: Kam das für dich überraschend?

Samira Mousa: Nein. Ich habe darauf hingearbeitet, einen erfolgreichen Blog zu machen, um als digitale Nomadin leben zu können. Ich habe recherchiert und nach Themen gesucht, die mich besonders machen. Du musst ja über etwas schreiben, was du kennst und was die Leute interessiert. Ich habe schnell erkannt, dass ich mich in keinem der bestehenden MS-Blogs zu einhundert Prozent wiederfinde und das als Nische erkannt. Und schnell gemerkt, dass in diesem Bereich noch viel Raum ist. Nach der Kooperation mit Merck kam nach zwei Wochen sofort die nächste Interviewanfrage. Es war einfach ein Bedarf da.

Health Relations: Wie viele Follower hast du derzeit?

Samira Mousa: 1.750. Der Blog hat eine Reichweite von 26.000 im Monat. Newsletter-Abonnenten habe ich bereits um die 900. Und das innerhalb eines Jahres.

Health Relations: Du arbeitest inzwischen verstärkt als Healthcare-Influencer. Wie gehst du mit Anfragen von Unternehmen um? Worauf achtest du?

Samira Mousa: Wenn mich Unternehmen kontaktieren, dann recherchiere ich erst einmal genau, was deren Produkt ist und was die machen. Danach entscheide ich, ob das Produkt so gut und innovativ ist, dass ich mit dem Unternehmen arbeiten möchte. Ich schaue sehr genau hin.

Letztendlich ist keines der Unternehmen Mutter Teresa.

Health Relations: Wie beurteilst du die Zusammenarbeit von Healthcare-Influencern und Pharma-Unternehmen?

Samira Mousa: Letztendlich ist keines der Unternehmen Mutter Teresa. Das ist mir bewusst. Viele, mit denen ich darüber spreche, sagen: „Wie kannst du nur mit Pharma-Unternehmen zusammenarbeiten?“ Das sehe ich nicht so. Ich bin dankbar, dass es die Pharma-Industrie gibt. Die sind ja nicht der Teufel, die machen ja auch viel Gutes, allein wenn man sich die Entwicklung der MS-Medikamente in den letzten fünf Jahren ansieht. Ich bin froh, dass dort geforscht wird. Ich sehe keinen Anlass, mich generell gegen eine Zusammenarbeit zu sperren.

Health Relations: Wie würdest du bei dieser Zusammenarbeit deine Aufgabe beschreiben?

Samira Mousa: Pharmaunternehmen waren in der öffentlichen Meinung immer die gesichtslosen Männer im grauen Anzug, die mit viel Geld hantieren und denen die Menschen egal sind. Das glaube ich nicht. Die Zusammenarbeit mit Influencern verleiht ihnen ein Gesicht und sorgt für eine Transparenz und eine Kommunikation zwischen Patient und Pharma-Unternehmen.

Health Relations: Du siehst dich also als Link zwischen Pharma und Patienten, der Inhalte kommuniziert und vermittelt?

Samira Mousa: Genau. Es geht um Kommunikation. Nicht um das Verkaufen oder Werben für Medikamente, was ja eh verboten ist. Es geht darum, den Patienten Vertrauen und Information zu vermitteln. Der Influencer ist die Schnittstelle.

Health Relations: Wie ehrlich darfst du in dieser Zusammenarbeit sein?

Samira Mousa: Ich bin immer ehrlich – zu meinen Lesern, und auch zu den Unternehmen. Mir wurde noch nie etwas in den Mund gelegt. Bisher war es immer eine sehr respektvolle Zusammenarbeit mit allen.

Health Relations: Worauf muss man als Healthcare-Influencer noch achten?

Samira Mousa: Man darf auf seinem Blog keine medizinischen Hinweise geben. Ich bekomme jeden Tag unendlich viele Mails, die ich alle einzeln beantworte. Und es kommt immer wieder vor, dass Betroffene sagen: „Ich glaube meinen Ärzten nicht, sage du mir, was ich habe.“ Das mache ich natürlich nicht. Ich beschreibe Erlebnisse auch immer aus der Ich-Perspektive. Schließlich kann ich nicht sagen, ob ein Produkt anderen Leuten hilft. Ich kann es nur für mich selber testen.

Health Relations: Gab es schon einmal Unmut unter deinen Followern wegen einer Kooperation?

Samira Mousa: Generell bin ich schon manchmal gespannt, wie meine Follower neue Kooperationen aufnehmen. Bisher lief das immer ohne Probleme. Ich schaue aber auch, dass fast immer etwas für sie drin ist: ein Rabattcode, eine Verlosung oder ähnliches. Außerdem achte ich darauf, dass freie Inhalt überwiegen. Nur rund fünf Prozent meines Contents besteht aus Kooperationen. Und das sind dann eben auch gute Produkte.

Krankheit ist Krankheit, und Krankheit ist scheiße.

Health Relations: Worauf sollten Unternehmen bei der Wahl von Influencern achten?

Samira Mousa: Sie müssen nischig agieren. Wenn Firmen beispielsweise ein Neurodermitis-Medikament auf den Markt bringen möchten, sollten sie sich keinen Healthcare-Lifestyle-, sondern einen Neurodermitis-Blogger suchen. Unabhängig davon, ob der Healthcare-Lifestyle-Blogger vielleicht eine höhere Reichweite hat. Sie sollten mehr mit Mikro-Influencern arbeiten. Wenn jeder dein Kunde ist, ist keiner dein Kunde. Suche dir lieber jemanden, der ganz klein ist, den aber die 2.000 Leute, die seinen Blog liken, lieben. Das ist seine kleine Armee. Die glauben ihm jedes Wort, weil er ehrlich ist. Der findet vielleicht nicht alles klasse, aber das braucht man auch gar nicht. Im Krankheitsbereich ist oft Wut dabei, eine Art rotzige Attitüde, und die braucht man auch. Krankheit ist kein Lifestyle-Thema. Krankheit ist Krankheit, und Krankheit ist scheiße. Das muss auch manchmal gesagt werden. Gefälligkeit ist nicht alles. Reichweite ist nicht alles. Nische ist alles.

Health Relations: Wie viele Follower hattest du bei deiner ersten Kooperation?

Samira Mousa: Ich hatte gerade mal 400 Follower. Man befruchtet sich ja auch gegenseitig bei so einer Kooperation, wächst gemeinsam. Nachhaltig und organisch. Ein Top-Influencer macht unzählige Kooperationen. Dann gibt es ein Bild und eine kurzfristig hohe Reichweite – und dann ist das alles schon wieder Geschichte.

Health Relations: Würdest du dich eigentlich selber als Influencer bezeichen?

Samira Mousa: Ich würde mich eher als Autorin und Bloggerin bezeichnen. Wenn mich jemand anderes als Healthcare-Influencer bezeichnet, ist das für mich ein Kompliment. Aber ich selber bezeichne mich nie so.

Samira Mousa, 28, ist an MS erkrankt und hat den Blog „chronisch fabelhaft“ ins Leben gerufen. Sie arbeitet als Autorin und Healthcare-Influencer und war unter anderem bereits für Merck oder LifeTime tätig. Im Januar 2018 erschien ihr Buch „Und morgen Santiago: Auf dem Jakobsweg zu mehr Zuversicht und Glück. Mit Multipler Sklerose“.

Beitragsbild: © Erik Schütz/GoodBY
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