In diesem Beitrag lesen Sie:

Wie Künstliche Intelligenz das Verständnis von Erfolg im Pharmamarketing verändert und warum klassische Kennzahlen wie Klickrate oder Reichweite nicht mehr ausreichen, um Wirkung zu messen. Erfahren Sie, weshalb Kontext und Interpretation wichtiger werden als bloße Zahlen, welche Rolle Vertrauen und Seriosität künftig als neue KPIs spielen und warum Unternehmen lernen müssen, das Messbare zu hinterfragen. Außerdem lesen Sie, wie Kooperation statt Konkurrenz den Zugang zu qualitätsgesicherten medizinischen Informationen sichern kann und weshalb es in Zukunft nicht mehr darum geht, was gezählt wird, sondern was wirklich wirkt.

Künstliche Intelligenz, datengetriebene Strategien und der Wandel der Kommunikation verändern auch, was als Erfolg im Pharmamarketing gilt. Klassische Kennzahlen stoßen an ihre Grenzen. Janine Dahl, Performance Marketeer bei Roche, erklärt, warum KPIs künftig mehr leisten müssen als Reichweite zu messen und welche Rolle Kontext, Verantwortung und Vertrauen dabei spielen.

Health Relations: Mit dem Auftreten von KI ist in der Pharmabranche auch die Rede von „neuen KPIs“. Was bedeutet das für Sie konkret?

Janine Dahl: Klassische KPIs – Klickrate, Verweildauer oder Conversion – stammen aus einer Zeit, in der digitale Kommunikation noch primär eindimensional war. Heute bewegen wir uns in einem Netzwerk aus Kanälen, Formaten und Zielgruppen, die sich ständig verändern. Erfolg ist dadurch vielschichtiger geworden. Wenn ich nur auf Reichweite schaue, sehe ich nicht, was wirklich wirkt. Neue KPIs müssen das Zusammenspiel verstehen und den Kontext, in dem ein Kontakt entsteht.

Health Relations: Also weg vom reinen Messen hin zum Interpretieren?

Janine Dahl: Genau. Es geht weniger um die Zahl selbst, sondern darum, was sie erzählt. Ein Klick ist nicht automatisch ein Beweis für Interesse, eine Öffnungsrate keine Beziehung. Wir brauchen eine KPI-Logik, die Bedeutung abbildet, die also einen Eindruck gibt, wie Inhalte Vertrauen schaffen, Wissen erweitern oder Verhalten verändern. Das erfordert ein Umdenken, auch auf organisatorischer Ebene.

 „Ein Klick ist nicht automatisch ein Beweis für Interesse, eine Öffnungsrate keine Beziehung.“

Health Relations: Wie beeinflusst Künstliche Intelligenz das KPI-Denken?

Janine Dahl: KI ist im Grunde ein Verstärker. Sie macht sichtbar, was schon da ist, aber schneller und in größerem Umfang. Wir können mit ihr Muster erkennen, prädiktive Modelle aufbauen und Zusammenhänge verstehen, die manuell kaum zu erfassen wären. Aber sie zwingt uns auch, Verantwortung zu übernehmen. Denn je besser KI wird, desto stärker wird die Frage: Was machen wir mit diesen Erkenntnissen? KI ist ein Werkzeug, kein Ersatz für Kontext und Urteilskraft.

Health Relations: Welche Risiken sehen Sie dabei?

Janine Dahl:KI kann Fehler reproduzieren, Bias verstärken oder schlicht falsche Schlüsse ziehen. Das ist gefährlich, wenn man ihr blind vertraut. Gerade im Gesundheitswesen brauchen wir Menschen, die die Daten einordnen und Grenzen erkennen. KI liefert keine Wahrheit, sondern Wahrscheinlichkeiten. Deshalb müssen wir lernen, das Messbare zu hinterfragen. Sonst verwechseln wir Präzision mit Wahrheit.

„Wir müssen lernen, das Messbare zu hinterfragen. Sonst verwechseln wir Präzision mit Wahrheit. Vertrauen ist für mich der zentrale KPI der Zukunft.“

Health Relations: Sie sprechen von Vertrauen als neuem Erfolgsfaktor. Was meinen Sie damit genau?

Janine Dahl:Vertrauen ist für mich der zentrale KPI der Zukunft. Marken, die transparent kommunizieren, Quellen offenlegen und ihren Dialog ernst meinen, werden langfristig gewinnen. Alles andere – Reichweite, Engagement, Sichtbarkeit – ergibt sich daraus. Wir erleben gerade eine Phase, in der Seriosität zu einem echten Wettbewerbsfaktor wird. Ärztinnen und Ärzte, Patientinnen und Patienten wollen wissen, ob sie sich auf die Quelle verlassen können. Das muss sich auch in unseren KPIs widerspiegeln.

Health Relations: Was verstehen Sie unter Seriosität in diesem Kontext?

Janine Dahl: Seriosität heißt für mich, verlässliche, nachvollziehbare Informationen anzubieten. Eine Information über ein Medikament von einem Pharmaunternehmen hat einen anderen Anspruch als ein Forenbeitrag auf Reddit. Diese Unterscheidung muss sichtbar bleiben. Ich mache mir manchmal Sorgen, dass sich durch KI die Definition von Seriosität verschiebt. Wenn verlässliche Quellen verschwinden, weil sich Fachmagazine oder andere Wissensplattformen nicht mehr tragen können, dann dominieren irgendwann nur noch massentaugliche Formate. Und die sind oft nicht die verlässlichsten. Pharmaunternehmen müssen sich daher aktiv einbringen, um sicherzustellen, dass seriöse Inhalte weiterhin auffindbar bleiben.

„Wenn verlässliche Quellen verschwinden, weil sich Fachmagazine oder andere Wissensplattformen nicht mehr tragen können, dann dominieren irgendwann nur noch massentaugliche Formate. Und die sind oft nicht die verlässlichsten.“

Health Relations: Pharmaunternehmen sind entscheidend bei der Bereitstellung seriöser Inhalte. Ist hier auch Kooperation der Schlüssel?

Janine Dahl: Ja, das Thema Kooperation wird wichtiger. Viele Unternehmen wissen, dass die Herausforderungen zu komplex geworden sind, um sie allein zu lösen. Wir müssen lernen, Wissen zu teilen, um es besser zu nutzen. Wenn wir über Gesundheitskompetenz sprechen, dann bedeutet das auch, niedrigschwellige Zugänge zu schaffen. Menschen mit geringerer Bildung oder Sprachbarrieren brauchen andere Zugänge zu Information. KI kann hier helfen, Inhalte in verschiedene Sprachen zu übersetzen oder zu vereinfachen. Aber der Ausgangspunkt muss immer Qualität sein – das heißt, die Basis beispielsweise der Large Language-Modelle sollten qualitätsgeprüfte medizinische Inhalte sein.

Health Relations: Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Nutzung von Daten?

Janine Dahl: Wenn wir valide, geprüfte Daten gemeinsam nutzen würden, könnten wir sie viel intelligenter einsetzen, und zwar für Forschung, für die Entwicklung neuer Präventionsstrategien, aber auch für bessere Kommunikation. Bei Roche setzen wir intern schon stark auf edukative Formate rund um KI, aber die Herausforderung ist, dieses Wissen nach außen zu bringen. Patientinnen und Patienten wissen oft gar nicht, wo sie verlässliche Informationen finden. Hier können wir durch Kooperation und Struktur enorm viel bewirken. Unsere Abteilung Patient Partnership hat mit Patientenvertreter:innen beispielsweise ein Weißbuch zur KI-Nutzung für das Shared Decision Making zwischen Ärztin, Arzt und Patient:innen entwickelt. Deutlich wird auch hier: KI-Ergebnisse bedürfen einer Validierung, aber zur Vorbereitung eines Gespräches ist die KI eine ideale Unterstützung – für beide Parteien.

„Wir müssen Wirkung als etwas Ganzheitliches begreifen“

Health Relations: Wenn Sie all das zusammenfassen, was bleibt als Kernbotschaft?

Janine Dahl: KPIs sind wichtig, aber sie dürfen nicht zum Selbstzweck werden. Erfolg entsteht dort, wo Kommunikation echte Resonanz erzeugt. Dafür müssen wir Wirkung neu denken. Eine Zahl ist immer nur ein Ausschnitt. Relevanz entsteht erst im Kontext. Wenn ich einen hohen Wert sehe, muss ich verstehen, warum. In diesem Sinn ist KI ein Werkzeug, das uns hilft, Daten zu verknüpfen und Muster zu erkennen. Aber das Urteil, die Interpretation und letztlich die Verantwortung bleiben menschlich.

Health Relations: Also ist die Zukunft der KPIs auch eine Frage der Haltung?

Janine Dahl:Ja. Wir müssen lernen, Wirkung als etwas Ganzheitliches zu begreifen. Vertrauen, Kontext und Verantwortung sind keine Gegensätze zur Messbarkeit, sondern ihre Voraussetzung. KPIs der Zukunft werden weniger zählen, was war, sondern deuten, was wirkt.