Health Relations: Der Trend geht hin zu einer personalisierten Medizin. Das bedeutet eine stärkere Konzentration auf kleinere Anwendungsfälle und damit einer höheren Segmentierung von Patientengruppen. Was bedeutet das für Ihre Arbeit als Pharmaunternehmen?
Sya Ukena: Personalisierte Medizin bedeutet auf den Patienten zugeschnittene Medizin. Damit gemeint sind Therapieansätze, die genetische, molekulare und zelluläre Eigenschaften von Patienten berücksichtigt. Es ist großartig, dass es heute immer mehr dieser Therapie-Ansätze gibt, aber bis zu einer 100 % personalisierten Medizin ist es noch ein weiter Weg.
Health Relations: Wie wirkt sich das auf ihre Kommunikation aus und welche Herausforderungen müssen Sie meistern?
Sya Ukena: Für die Pharma-Kommunikation erfordert personalisierte Medizin, die relevanten Zielgruppen über die neuesten Daten und Technologien auf diesem Gebiet zu informieren. Dazu gehören Informationen zu personalisierten Therapien und vor allem zu Technologien wie der molekularen Diagnostik, die es erst möglich machen, Patienten einer personalisierten Therapie zuzuführen. Die grundsätzliche Herausforderung besteht darin, relevanten Content zum richtigen Zeitpunkt und in der passenden Aufbereitung an relevante Ärzte zu vermitteln. Dabei unterliegen Informationen von Pharmaunternehmen einer viel kritischeren Betrachtung als die von unabhängigen Quellen. Pharmaunternehmen müssen daher hinsichtlich Qualität und Relevanz doppelt punkten, um überhaupt die Aufmerksamkeitsschwelle von Ärzten zu überspringen.
„Die Herausforderung besteht darin, relevanten Content zum richtigen Zeitpunkt und in der passenden Aufbereitung an relevante Ärzte zu vermitteln.“
Health Relations: Eine höhere Personalisierung der Medizin hat also auch eine stärkere Segmentierung im Kommunikationsbereich zur Folge. Wie sieht es mit dem Marketing aus?
Sya Ukena: Nicht nur in der Medizin sprechen wir über Personalisierung, sondern auch im Marketing generell: Zunehmend kommt es darauf an, datengetriebene Kommunikation zu verwirklichen – also mit Werkzeugen zu arbeiten, die anhand von Nutzerdaten, Mediamonitoring bis hin zu Social Listening Aufschluss darüber geben, welche (neuen) Inhalte sich für die Kommunikation an die Zielgruppe eignen. Beispiele sind personalisierte E-Mails, digitale Fortbildungsformate, sei es auf Kongressen oder über Webinare und Podcasts, Virtual Reality u.a. bei Industrieausstellungen, Social Media, aber auch Chatbots für Ärzte und Voice Assistants. Im Bereich Pharma nutzen wir in diesem Jahr diese Werkzeuge bzw. Kanäle verstärkt, sammeln mit Chatbots erste Erfahrungen und vielleicht zukünftig auch mit Voice Assistants.
Health Relations: Eben sagten Sie, dass die Kommunikation hohen Ansprüchen gerecht werden muss, um die Aufmerksam der Ärzte zu erringen. Wie genau kann das gelingen?
Sya Ukena: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Informationen zu sehr kleinen Patientengruppen im Alltag untergehen, weil der Arzt Patienten mit seltenen Erkrankungen nicht jeden Tag sieht. Wir müssen also einen Mittelweg finden zwischen Informationen zu sehr kleinen Patientengruppen und Informationen, die den Arzt in seiner täglichen Arbeit unterstützen. Hier können Pharmaunternehmen einen Mehrwert leisten, indem sie dem Arzt helfen, zu jeder Zeit, die für ihn und seine Patienten relevanten Informationen zu finden. Ein Schlüssel zum Erfolg wird sein, den Kommunikationsmix an Ärzte immer feiner auszusteuern und zu individualisieren. Es klingt wie eine Binsenweisheit, aber nur das, was einen Arzt interessiert und in seiner Arbeit unterstützt, wird gelesen. Wenn ein Arzt täglich diverse E-Mails von unterschiedlichen Pharmaunternehmen erhält, wundert es nicht, dass E-Mails nicht gelesen und bei sehr hohem Aufkommen gar Spam-Filter eingesetzt werden. Das stellt die Kommunikation natürlich vor enorme Herausforderungen, denn unsere Themen als Pharmaunternehmen sind meist komplex, unterliegen vielen internen Qualitäts-Prüfungen und trotzdem muss die Kommunikation kurz und prägnant sein – das ist oft ein Spannungsfeld.
„Ein Schlüssel zum Erfolg wird sein, den Kommunikationsmix an Ärzte immer feiner auszusteuern und zu individualisieren.“
Health Relations: Hat Corona dieses Spannungsfeld noch verstärkt oder gab es vielleicht eher eine gegenläufige Entwicklung?
Sya Ukena: Die Erfahrung in der COVID-19-Pandemie zeigt, dass virtuelle Kommunikationsangebote intensiv wahrgenommen werden. Die Pandemie ist in vielen Bereichen Katalysator und Brennglas zugleich. In der Kommunikation hat sie die Nutzung der Vielfalt von Kommunikationskanälen beschleunigt und zum Teil verlagert. Das ist eine Riesen-Chance hier aufzuholen.
Health Relations: Gibt es Faktoren, die jetzt für eine Kommunikations- und Marketingstrategie wichtiger geworden sind oder sind bestimmte Dinge weggefallen?
Sya Ukena: Sicherlich nutzen wir heute mehr digitale Kanäle. Aber auch wenn virtuelle Meetings, Kongresse und größere Veranstaltungen erstaunlich gut funktionieren, vermissen viele schon jetzt den persönlichen Austausch, das persönliche Gespräch. Wichtig ist, dass wir keine „one size fits all“-Ansätze fahren, sondern darauf achten, welche Kommunikationskanäle die Kunden bevorzugen. Wir haben im Mai ein neues Onkologie-Produkt auf den Markt gebracht und vorher eine Befragung durchgeführt, wie Ärzte in diesen Zeiten informiert werden möchte – wenig überraschend, es war die ganze Bandbreite an Kommunikationskanälen vertreten.
Health Relations: Was denken Sie, wie wird sich das Marketing in den nächsten Jahren angesichts einer stärker individualisierten und personalisierten Medizin weiterentwickeln?
Sya Ukena: Wir leben in einer Zeit von Informationsflut. Nicht zuletzt deswegen ist das Marketing in anderen Branchen heute bereits stark Kunden-individualisiert. Dahin entwickelt sich momentan auch das Marketing in der Pharmabranche. Um auch in Zukunft einen Mehrwert zu schaffen, müssen wir das Marketing komplett neu denken.