Herr Ehrnstorfer, was halten Sie von Social Media für Pharma?

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Oliver Ehrnstorfer von medical relations
Oliver Ehrnstorfer ist Geschäftsführer der Agentur medical relations in Langenfeld. Foto: medical relations
Wir befragen  Experten zu aktuellen Trends und Diskussionen im Healthcare-Marketing. Dieses Mal: Oliver Ehrnstorfer, Geschäftsführer von medical relations GmbH, über Social Media in der Pharma-Kommunikation.

Health Relations: Herr Ehrnstorfer, nach wie vor haben viele Pharma-Unternehmen Respekt vor Social Media in der Kommunikation. Dabei führt eigentlich kein Weg daran vorbei. Oder wie sehen Sie das?

Oliver Ehrnstorfer: Das ist sehr schön gefragt! Man sollte grundsätzlich mehr Respekt vor der Kommunikation haben. Um genau zu sein: „love and respect“. Das fehlt „im Business“ leider recht oft. Nur weil man beim Bäcker den Erwerb eines Dinkelbrötchens kommunikativ recht einfach abwickeln kann, heißt das noch lange nicht, dass eine – wie auch immer geartete – komplexe zielgerichtete Kommunikation ebenso easy abläuft. Die Pharma-Unternehmen sollten also auf jeden Fall Respekt vor Social Media haben und mit Respekt und „Love“ (im Sinne von wirklichem Interesse) und vor allem genügend Know-how und Ressourcen Social-Media-Aktivitäten in Angriff nehmen. Denn natürlich führt daran kein Weg vorbei!

„Wer das Investment scheut, der wird in absehbarer Zeit einsam am Bahnhof stehen und dem Zug tränenreich hinterherwinken.“

Health Relations: Gehen wir tiefer ins Thema hinein: Für welche Zielsetzungen lohnt sich Social Media, für welche eher nicht?

Oliver Ehrnstorfer: Mit dem Wort „lohnt“ ist das Dilemma schon umrissen und wir sind mitten in der Frage nach den Erfolgsfaktoren. Was ist das Ziel? Awareness? Engagement? Generierung von Leads? Verordnungen / Abverkäufe? Aus meiner Sicht lohnen sich Social-Media-Aktivitäten für die meisten Unternehmen und viele Zielsetzungen im Gesundheitsbereich. Aber nicht wild gestreut, sondern gezielt. Im Prinzip predigen wir das schon immer, haben jetzt aber viel mehr Parameter zur Verfügung, anhand derer wir die Kommunikation ausrichten und steuern können. Zu allem Übel gibt es auch noch viel schnelleres und detaillierteres „Feedback“ seitens der User. Und abhängig von diesem Feedback muss man auch die Nerven und die Ressourcen mitbringen, die Tools entsprechend zu adaptieren. In vielerlei Hinsicht und bei vielen Themen  – wir schauen hier bei uns immer stark durch die Rx-Brille – wird man Social-Media-Aktivitäten als Investment begreifen müssen. Wer nur auf den Return-on-Investment schielt, wird – zumindest zunächst – nicht weit kommen. Wer aber das Investment scheut, der wird in absehbarer Zeit einsam am Bahnhof stehen und dem Zug tränenreich hinterherwinken. Da sind wir in Deutschland von der Denke her sehr rückständig, ich nehme mich da gar nicht aus – es ist am Ende auch eine Generationenfrage.

„Facebook ist ja mittlerweile mehr das ZDF unter den Social-Media-Kanälen.“

Health Relations: OK, generell gibt es aber sicherlich Zielsetzungen, für welche sich Social Media-Aktivitäten besonders gut eignen…

Oliver Ehrnstorfer: Was sich im Social-Media-Bereich auf jeden Fall lohnt, ist das Schaffen von Awareness – und on top Engagement. Auf Facebook, Instagram und Youtube haben wir zum Beispiel eine Awareness- und Informations-Kampagne für eine dermatologische Indikation am Start. Was mich daran immer wieder begeistert ist, dass hier Betroffene angesprochen werden und vor allem: sich angesprochen und abgeholt fühlen, die ansonsten recht unglücklich und undiagnostiziert in ihrem Kämmerlein hocken. Und, dass sich zudem eine echte Community gebildet hat, die stetig wächst. Das zeigen auch die zahlreichen Interaktionen. Da kann man schon mit simplen Hilfestellungen wie beipielsweise Koch- und Schminktipps viel erreichen. Und auch die Botschaft: „Geh zum Arzt – in diesem Fall konkret zum Hautarzt – er kann Dir helfen!“, landet genau an der richtigen Stelle. Mit etwas Ähnlichem habe ich mal in der PR angefangen, noch ganz analog – und denke seither immer daran: Die Leute freuen sich über jede Form der Zuwendung. Da kann eine Informationsplattform und eine Community viel leisten.

Health Relations: Wie relevant sind Instagram, Facebook, Twitter und LinkedIn/Xing Ihrer Meinung nach?

Oliver Ehrnstorfer: Das kommt, wie immer, sehr darauf an, wen man mit welchen Themen erreichen will. Facebook ist ja mittlerweile mehr das ZDF unter den Social-Media-Kanälen. Sprich, man erreicht dort eher die Altersgruppen Ü40. Dem gegenüber steht Instagram für die jüngeren Erwachsenen. Beide sind aber Plattformen für ein breites Themenangebot in verschiedener Darstellungsweise. Bild/Video mit und ohne Text. Text kurz, Text lang, Verlinkung wohin auch immer etc. Twitter hingegen bedient in Deutschland eher eine kleine Gruppe, die sich selbst wohl als Informationselite versteht. Hier eignen sich bevorzugt Corporate-Themen, ganz sicher aber ist Corporate in den Business-Netzwerken LinkedIn/Xing gut aufgehoben. Die manchmal zu hörende Ansicht, über die Business-Netzwerke erreiche man die Kunden, also die Ärzte, halte ich für Humbug. Was immer man der Branche oder mit Blick auf das Employer Branding mitteilen möchte, das ist hier am Platz. Aber apropos Ärzte: Coliquio und Esanum, die beiden großen Ärzte-Plattformen, sind äußerst relevante Kanäle für medizinische Inhalte und sollten hier nicht fehlen.

„Die drei apokalyptischen Reiter für jede Form von Kommunikation und somit auch für Social Media heißen:  Weißnix, Kostnix und Ignorantix.“

Health Relations: Das stimmt, auch der Deutsche Ärzteverlag hat hier relevante Portale im Portfolio. Aber bleiben wir noch kurz bei den Publikums-Plattformen: Wie sollten Pharma-Unternehmen mit neuen Kanälen wie TikTok umgehen? Erst mal beobachten oder gleich mitspielen?

Oliver Ehrnstorfer: Die Zielgruppe von TikTok sind die ganz jungen Hüpfer und es wird dort ja auch viel gehüpft. Insofern reduziert sich das Themenspektrum aus dem Blickwinkel der Gesundheitskommunikation doch deutlich. Wenn ich aber zum Beispiel mit Zahngesundheit zu tun hätte oder mir für die Erkältungszeit eine Nasenduschen-Challenge ausdenken würde, wäre ich direkt mit dabei.
Im Bereich Rx und bei schweren oder lebensbedrohenden Erkrankungen wäre ich zurückhaltender und würde mir einige kritische Fragen stellen. Zum Beispiel: Wie muss – und kann – ich für diesen Kanal meine Botschaft umsetzen, damit sie wahrgenommen und verstanden wird  – und nicht in der Bildwelt untergeht? Bin ich nachhaltig oder erzeuge ich bestenfalls einen Hype – und kann ich dies gegenüber den Betroffenen verantworten?

Health Relations: Wie messen Sie denn Erfolg auf Social Media? Wie definieren Sie Ihre KPI?

Oliver Ehrnstorfer: Das Schöne und gleichzeitig gnadenlose an allen Online-Maßnahmen ist die Messbarkeit. Und das manchmal Schwierig(st)e ist das Erwartungsmanagement. Die Ziele sind – Binsenweisheit – das A und O. Und die Messinstrumente müssen analog zu den Zielen gewählt werden. Da muss man sich mit beschäftigen und es gibt zahlreiche Hilfestellungen, die richtigen KPIs zu den jeweiligen Zielen oder „goals“ zu definieren, zum Beispiel vom Bundesverband Digitale Wirtschaft e.V. (BVDW).
Im Bereich Pharma wird man diese aufgrund der Regulation, mit der wir es zu tun haben, immer adaptieren müssen. Da spielen dann Faktoren  eine Rolle wie Reichweite, Verweildauer, Interaktionsrate – Shares, Likes, Kommentare etc. – Tonality von Interaktionen, Wachstum der Community, Leads und Conversions, um nur die wichtigsten zu nennen.
Was ich für wichtig halte, ist der Punkt „adapt and repeat“, den man immer mit eindenken sollte, der aber wenig sexy ist, wenn man ihn verkaufen muss. Die Chance, nachzujustieren, sollte aber gegeben sein. Bezüglich der Benchmarks für einzelne KPIs nutzen und sammeln wir zugängliche Informationen und zunehmende eigene Erfahrungen.

„Was ich für wichtig halte, ist der Punkt „adapt and repeat“, den man immer mit eindenken sollte, der aber wenig sexy ist, wenn man ihn verkaufen muss.“

Health Relations: Die 3 größten Fehler, die man machen kann in der Social Media Kommunikation, sind…

Oliver Ehrnstorfer: Die drei apokalyptischen Reiter für jede Form von Kommunikation und somit auch für Social Media heißen:  Weißnix – heißt: Habe ich dauerhaft etwas und genug zu sagen, was sich im jeweiligen Kanal auch abbilden lässt oder tappe ich selbst im Nebel vor mich hin? – , Kostnix – womit nicht nur klingende Münze, sondern auch Manpower gemeint ist – und Ignorantix – ich posaune meine Botschaften auf Gedeih und Verderb in willkürliche Kanäle, irgendwer wird sie schon hören und irgendetwas wird es schon bringen.
Man MUSS also zeitliche und kreativ-gedankliche Ressourcen ebenso zur Verfügung haben wie finanzielle. Und man MUSS sich fragen – das trifft für Social Media extrem verschärft zu: Sind meine Inhalte für die Zielgruppe relevant? Und kann ich sie so rüberbringen, dass sie auch konsumiert werden? Das ist bei komplexen medizinischen Themen immer eine Herausforderung.

Health Relations: Wie sagt man so schön: Was muss, das muss…

Oliver Ehrnstorfer: Ja, ganz schön viel MUSS …Womit wir bei Beethoven wären, wo auch sonst? Beethovenjahr, 250. Geburtstag. Also schnell zum Streamingdienst des Vertrauens und dort das letzte große Werk des Meisters angeklickt, 4. Satz des Streichquartetts Nr. 16, op. 135. Warum das? Weil Beethoven dort neben der Satzbezeichnung den Zusatz notiert hat: „Muss es sein? – Es muss sein! Es muss sein!“

Health Relations: Vielen Dank, Herr Ehrnstorfer, für dieses Interview.


Übrigens: Den Kultur-Tipp, den Oliver Ehrnstorfer uns mit auf den Weg gab, möchten wir Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten: „Ein Ausflug nach Bonn lohnt immer und ein Besuch der Ausstellung BEETHOVEN. WELT.BÜRGER.MUSIK in der Bundeskunsthalle lohnt insbesondere; läuft bis 26. April.“

1 Kommentar
  1. Wahr und doch: Pharma sollte nicht ins Social Media gehen, weil da ja jetzt alle sind.

    Alle anderen Branchen MÜSSEN ins Social Media – da keiner ihrer Kunden mehr „vorm Fernseher sitzt“. FMCG und Durable Goods tun gut daran, mit ihren Botschaften den Menschen hinterherzuziehen.

    In der RX-Pharma-Industrie ist das anders: Mit Social Media hat sie endlich die Möglichkeit ganz nah an die Patienten heranzutreten. Die Pharma-Industrie kann zum ersten mal ganz andere Botschaften senden und Patienten-Interaktionen eingehen.

    Es ist also mehr als ein Invest. Es ist KOMPLETTES NEULAND in Medium und Botschaft. Und deshalb scheuen so viele diesen Schritt.

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