Pharma: Wie hat die Kommunikation zu Seltenen Erkrankungen Erfolg?

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Die Kommunikation rund um Seltene Erkrankungen ist für Pharmaunternehmen keine leichte Aufgabe, weiß Thomas-Marco Steinle, CEO der good healthcare group. © good healthcare group
Die Kommunikation rund um Seltene Erkrankungen ist für Pharmaunternehmen keine leichte Aufgabe, weiß Thomas-Marco Steinle, CEO der good healthcare group. © good healthcare group
In der heutigen Informationsflut ist es schwer, Sensibilisierungskampagnen für Nischen umzusetzen. Dazu zählen Seltene Erkrankungen. Dennoch gibt es einige Pharmaunternehmen, die ihre Rare-Disease-Kommunikation ausbauen, um die Versorgung für Betroffene zu verbessern. Worauf kommt es bei der Kommunikation Seltener Erkrankungen an?

Montag, der 28. Februar, war der diesjährige Rare Disease Day. So wenig populär dieser Tag für viele ist, so wenig bekannt sind auch die vielen Seltenen Erkrankungen, unter denen rund 4 Millionen Menschen hierzulande leiden. Von rund 6.000 verschiedenartigen Krankheitsbildern sind sie betroffen. Um diesen Patientengruppen zu helfen und ihnen die nötige Aufmerksamkeit zu verschaffen, starten immer mehr Pharmaunternehmen Sensibilisierungskampagnen. Keine leichte Aufgabe, weiß auch Thomas-Marco Steinle, CEO der good healthcare group. Seit mehr als zehn Jahren unterstützt die Berliner Agenturgruppe Pharmafirmen dabei, Aufmerksamkeit für dieses Spezialgebiet zu schaffen und Aufklärungsarbeit zu leisten.

Ein Knackpunkt dabei ist die differenzierte Zielgruppe der Ärztinnen und Ärzte. Denn die Kommunikation muss fachgruppenübergreifend stattfinden. Hinzu kommt, „dass die Ressourcen für solche Nischenprojekte meist begrenzt sind“, sagt Thomas-Marco Steinle. Die Pharmakommunikation zu Seltenen Erkrankungen muss also besonders effizient geplant werden. Auf was sollte man achten?

Die Botschaft sollte unmissverständlich formuliert sein

Der Community-Gedanke spielt eine wichtige Rolle in der Kommunikation. „Denn schlussendlich geht es darum, gezielt in der Ansprache der Healthcare Professionals (HCPs) eine interdisziplinäre Aufklärung und Zusammenarbeit anzustreben“, sagt Thomas-Marco Steinle. Werden Ärzt:innen, aber auch Apotheker:innen und Co. bei einer bestimmten Kombination von Symptomen hellhörig und tauschen sich dann auch noch mit Kolleg:innen dazu aus, so kann schon beim wichtigen Erstkontakt die lebensverändernde Diagnose gestellt werden. „Diese starke Botschaft gilt es in der gesamten Kommunikation herauszustellen“, so der Geschäftsführer.

Interdisziplinäre Events für die One-to-Many-Kommunikation

Für die Aufklärung zu Seltenen Erkrankungen müssen Pharmaunternehmen sehr viele HCPs erreichen – und das fachrichtungsübergreifend. „Es braucht also eine One-to-Many-Kommunikation“, sagt Thomas-Marco Steinle. Am besten funktioniert das für den Kommunikationsexperten über Event-Formate.

Zum einen seien diese meist nicht so kostenintensiv wie klassische PR- und Marketingmaßnahmen.
Zum anderen gelingt es, über Webinare, Roundtables oder andere onlinegestützte Veranstaltungen unterschiedlichste Mediziner:innen an einen Tisch zu holen. „Denn eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit ist notwendig, um so früh wie möglich die richtigen Schlussfolgerungen aus ungewöhnlichen Symptomatiken zu ziehen“, sagt er. Das Community-Building sollte daher in Form gezielter Schulungen für HCPs zum Thema „Orphan Diseases“ unterstützt werden.

Die Zielgruppe der Betroffenen einbeziehen

„Die Beziehungspflege zu Patientenverbänden ist ein Muss“, betont Thomas-Marco Steinle. Je mehr Austausch mit den Betroffenen stattfindet, desto besser kann relevanter Content geschaffen werden. Es geht darum, den Service bestmöglich auf die Bedürfnisse und Wünsche der Patient:innen zuzuschneiden. „Nur so können wir echten Mehrwert bei der Aufklärung generieren“, sagt der studierte Betriebswirt. „Ohne Beziehungspflege, keine Inhalte“ – so lautet sein Resümee.

Häufig geben Pharmaunternehmen in ihren Kampagnen daher Menschen mit Seltenen Erkrankungen eine Stimme auf ihrer Website oder ihren Social-Media-Kanälen. Ein Beispiel hierfür ist die Kommunikation von Sanofi zum Rare Disease Day. Unter dem Titel „FIGHTERGESCHICHTEN“ erzählen Betroffene im Video-Interview auf der unternehmenseigenen Website, warum es sich lohnt, die Versorgung von Menschen mit Seltenen Erkrankungen zu verbessern. Eine Maßnahme, die auch andere Menschen mit seltenen Symptomatiken dazu animieren kann, mit anderen Betroffenen oder ihrem Arzt bzw. ihrer Ärztin Kontakt aufzunehmen.

Thomas-Marco Steinle würde gerne generell ein engeres Netzwerk zwischen Pharma, HCPs und Betroffenen aufbauen. Derzeit fehle es aber generell noch an den strukturellen Erleichterungen, um eben diesen Austausch zu vereinfachen.

Geschulten Außendienst einsetzen

Die beste Aufklärung bringt nichts, wenn die Inhalte nicht ankommen. Die heutige Kanalvielfalt birgt dabei nicht nur Chancen, sondern auch Herausforderungen: Eine entscheidende Voraussetzung, um Botschaften auch per Video oder Telefon verständlich zu vermitteln, sind langfristige Schulungen der Pharmareferent:innen, davon ist Thomas-Marco Steinle überzeugt.

Über alle Kanäle hinweg müsse die Kommunikation authentisch, werthaltig und persönlich sein. Hinzu komme eine tiefgreifende medizinisch-wissenschaftliche Expertise. Solche Fähigkeiten wollen gelernt sein. „Den schnellen 10-Punkte-Plan, den Pharmaunternehmen abhaken können, gibt es daher nicht“, so der Kommunikationsexperte. „Die Pharmakommunikation Seltener Erkrankungen braucht Zeit und fachmännische Expertise.“

Willkommener Content ist ein Türöffner

Pandemiebedingt hat die Informationsflut über digitale Kanäle erheblich zugenommen. Die Aufmerksamkeit von Ärzt:innen zu gewinnen, ist daher schwieriger geworden. Für ein Nischenthema wie Seltene Erkrankungen bedarf es dazu noch mehr Fingerspitzengefühl in der Auswahl der Inhalte. Relevanter und willkommener Content ist ein wichtiger Türöffner in der Rare-Disease-Kommunikation, weiß auch Thomas-Marco Steinle. Es empfiehlt sich dabei, eine produktferne Kampagne zu realisieren. Denn nur wenn der Inhalt neutral dargestellt wird, ist er für die Öffentlichkeit und Fachkreise interessant.

Digitale Lösungen zur Unterstützung der Patientenversorgung

Eine Verlängerung der Versorgung über den klassischen Arztbesuch hinaus ist auch im Bereich der Orphan Diseases häufig sinnvoll. Denn gerade hier gilt: Ist eine Diagnose gestellt, entstehen meist viele Fragen. Gerade in Pandemiezeiten waren die meisten Praxen überlastet. Digitale Lösungen können in den Phasen zwischen den Arztbesuchen Hilfestellung bieten.

Pharmaunternehmen arbeiten daher immer mehr mit neuen Formaten wie KI-gestützten Apps, Wearables oder Patientenmanagement-Programmen (PMP). „Gerade bei den Seltenen Erkrankungen spielt ein Nebenwirkungsmanagement vor allem zu Beginn eine entscheidende Rolle für die Adhärenz und erfolgreiche Behandlung“, so Thomas-Marco Steinle. Bei einem PMP begleiten beispielsweise geschulte „Nurses“ die Erkrankten bei ihrer Therapie. Via Telefon oder online helfen sie bei Fragen zur Anwendung oder der Krankheit im Allgemeinen. „Manchmal braucht es auch einfach einen Ansprechpartner oder eine Ansprechpartnerin in Momenten der Unsicherheit“, betont der CEO der good healthcare group.

Infotainment als Teil der Orphan-Disease-Kommunikation

Ärzt:innen, die wenig Zeit haben, wollen schnell und unterhaltsam informiert werden. Infotainment spielt auch in der Kommunikation Seltener Erkrankungen eine immer wichtigere Rolle. Immer mehr Pharmaunternehmen setzen daher auf Gamification und Audio- oder Bewegtbildformate. Hierzu zählen fachlich versierte Podcasts, Videostatements von Expert:innen oder Patientenkasuistiken, die digital abgerufen werden können.

Aktive Vernetzung mit Interessengruppen und Meinungsbildnern

Um das Bewusstsein für Seltene Erkrankungen in der Öffentlichkeit zu fördern und mehr Betroffene zu finden, sollte eine breite Vernetzung stattfinden. Das heißt: Wenn Pharmaunternehmen über die HCPs hinaus weitere Gruppen und vor allem Meinungsbildner einbinden, zieht das Kreise. Influencer:innen, Blogger:innen, Wissenschaftler:innen, Studierende, Interessensvertreter:innen oder auch Politiker:innen können eine breite Awareness für das Thema schaffen. Die Einbindung kann etwa über die Preisgabe von Studiendaten, Patientenkasuistiken oder Experteninterviews gelingen.

Oder auch über eine Social-Media-Kampagne auf TikTok – wie sie Takeda kürzlich durchführte (Health Relations berichtete). Influencer:innen wie medsri, wissensbert und doc.felix produzierten dazu 30- bis 60-sekündige Bewegtbild-Clips, in denen sie die Seltenen Erkrankungen thematisierten.


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