„Wer kommuniziert, will keine Selbstgespräche führen”, sagt Jörg Pfannenberg, Geschäftsführer von JP│KOM. Die Pharmaunternehmen verfügten heute zwar über ein komplettes Ökosystem an modernen Kanälen und medialen Anwendungen – aber der Content verbliebe oft in der eigenen Blase. „Die meisten Pharmahersteller kommunizieren in ihrer ganz eigenen Welt, gefangen in ihrem eigenen medialen Ökosystem“, bemängelt Jörg Pfannenberg. „Ihre Themen und Botschaften werden von anderen kaum aufgegriffen.“ Thought Leadership? Fehlanzeige! Dabei sei gerade das wichtig, um als Gestalter und Thementreiber auch außerhalb der Fachbranche, in der breiten Öffentlichkeit, wahrgenommen zu werden.
Info: „Ein Thought Leader oder Meinungsführer ist eine Einzelperson oder eine Firma, welche als Autorität in einem Fachgebiet anerkannt ist und deren Expertise oft gefragt und geschätzt wird.“
Prof. Dr. Michael Bernecker, GF des Deutschen Institut für Marketing
Woran liegt das? Und wie können die Unternehmen das ändern? Wir haben nachgefragt.
Health Relations: Herr Pfannenberg, sie monieren, dass Pharma seine Thought-Leadership- Rolle verschenkt. Warum sollten Unternehmen das überhaupt anstreben?
Jörg Pfannenberg: Ob im Privatleben oder als Unternehmen: Thought Leadership ist immer das Ziel. In der Kommunikation von Unternehmen geht es doch darum, dass die eigenen Botschaften wahrgenommen und weiterverbreitet werden. Im Grunde weiß das doch jeder: Nur als Thought Leader schreiben mir KOLs, Ärzte, Entscheider und Patienten Kompetenz zu – und Glaubwürdigkeit. In Krisensituationen genieße ich einen Vertrauensvorschuss. Nur in dieser Position, mit einer hohen Absenderkompetenz, werde ich überhaupt gehört und kann Einfluss auf die Meinungsbildung nehmen. Für Pharma ist das ganz besonders wichtig, da diese Branche bekanntlich in sensiblen Gebieten unterwegs ist: Erstattungsfragen, Zulassungen, Durchsetzung neuer Therapiemuster, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Health Relations: Wird Thought Leadership in Zeiten der digitalen Transformation immer wichtiger für die Healthcare-Branche?
Jörg Pfannenberg: Absolut. Das Veränderungstempo zieht an, da müssen die Unternehmen mit ihren Positionen zu aktuellen Fragen schnell und aufmerksamkeitsstark Flagge zeigen. Das Umfeld, in dem sich Thought Leadership heute realisiert, ist digital: das Web und die Social Media. Die meisten Pharmaunternehmen haben sich noch nicht darauf eingestellt: Durch die Veränderungen der Medienlandschaft ist den Pharmaunternehmen das Leadership bei der Meinungsbildung aus den Händen geglitten. Ganz einfach, weil sie nicht schnell genug auf die Themen in Blogs und Co. reagieren.
Health Relations: Haben Sie Beispiele?
Jörg Pfannenberg: Um das festzustellen, reicht ein bisschen Social Listening: Wir haben uns in die Lage eines Journalisten versetzt und einige typische Themen über Suchmaschinen recherchiert. Das Ergebnis: Pharma ist bei den Top-20-Hits meist gar nicht präsent, auch wenn es um die zentralen Themen- und Indikationsgebiete der Unternehmen geht. Dabei ist der Content vorhanden, er wird nur nicht auf den richtigen Kanälen und in ansprechenden Formaten ausgespielt. Oder mit den Wordings und in Verbindung mit Issues, die kein Mensch sucht. Die Kommunikation dockt also nicht an die öffentlichen Themen an. Das hat Folgen: Wer es nicht mehr schafft, beim Google Ranking unter die Top 20 zu kommen, der nimmt an der Meinungsbildung nicht mehr teil. Er ist irrelevant geworden!
Health Relations: Sie haben zusätzlich auch eine Sistrix-Analyse durchgeführt, oder? Was war hier das Ergebnis?
Jörg Pfannenberg: Richtig. Dabei geht es um den zentralen KPI für Thought Leadership, die Initiierungsquote. Also das Aufgreifen der eigenen Themen und Botschaften durch die Stakeholder in Earned Media und Social Media. Das Ranking-Monitoring-Tool Sistrix ist eigentlich ein Tool zur Optimierung von Seiten für die Auffindbarkeit durch Suchmaschinen. Doch lässt sich damit auch ganz einfach die Sichtbarkeit von Absendern zu einem Thema ermitteln. Wir haben zehn zentrale Indikationsbereiche und Therapiekonzepte sowie übergreifende Themen wie „Digitale Versorgung“ und „Cost of Disease“ auf diese Weise analysiert. Das Ergebnis ist für jedes Stichwort eine Liste mit den 20 sichtbarsten Absendern – den Top-20-Platzierungen in den organischen Suchergebnissen bei Google, Seite 1 und 2. Das Ergebnis: Vorne liegen oft Verbände und Kassen, auch Patientenportale. Pharma-Unternehmen sind kaum unter den Top 20. Tiefes Wissen und Innovationskraft, kurz Content, alles ist da. Aber: Wenn der Content nicht den Weg zu den Lesern bzw. Usern findet, ist er verschwendet.
Health Relations: Nun sind Pharma-Unternehmen durchaus aktiv, fahren große Kampagnen oder Studien, arbeiten mit Social Media und datengetriebenem Marketing. Sie wollen ja raus aus der Blase…
Jörg Pfannenberg: Die Kampagnen sind in der Regel um eine zentrale Webseite herum gruppiert. Das ist auch richtig so. Aber die Kanäle und Formate bilden ein geschlossenes Ökosystem, sie nehmen keinen Kontakt zur Umwelt auf. Die Interaktion beschränkt sich auf eine kleine Gruppe von Usern, bei Facebook oft die eigenen Mitarbeiter. Die Initiierung von Aktivitäten anderer Stakeholder, z. B. die Aufnahme der Inhalte in Earned Media und Social Media, findet nicht statt. Weil die Themen nicht mit den Themen in den gesellschaftlichen Diskursen verbunden sind. Die Kommunikation ist nicht schnell und agil genug, der Content wird nicht auf die Diskurse im öffentlichen Raum hin zugespitzt. Gutes Storytelling ist die Ausnahme, die Bilder sind wenig attraktiv und kaum authentisch. Die typischen modernen, im Netz ja nahezu schon klassischen Darstellungsformen wie Listicals oder Infografiken werden nicht genutzt.
Health Relations: Thought Leadership hat auch etwas mit dem Begriff Trust zu tun. Auf diesem Gebiet hat es Pharma schwer. Ist das nicht eine zusätzliche Hürde?
Jörg Pfannenberg: Das ist doch nur eine Ausrede, das kann man ändern. Die Chemie-Branche hatte früher auch ein schlechtes Image, heute verfügt sie über eine hohe Absenderkompetenz. Wie sie das gemacht hat? Sie hat ihre Expertise mit emotionalem Storytelling und modernen Formaten verbunden und ist damit raus gegangen. Heute genießt sie hohes Vertrauen.
Health Relations: Kommen wir zum Doing. Was muss ein Pharma-Unternehmen Ihrer Meinung nach jetzt tun?
Jörg Pfannenberg: Schritt eins: Die Unternehmen müssen in eine stärkere Verbindung zu ihrer Umwelt treten. Dazu braucht es ein Monitoring für die Themen, die eigenen Aktivitäten und die Kontrolle über die Inhalte. Im zweiten Schritt müssen die Ergebnisse verdichtet, die Formate möglichst schnell aktualisiert werden. Und dabei bitte den „Novel Point of View“ nicht vergessen: Thought Leadership zeichnet sich auch darüber aus, dass man Neues zu einem Thema sagt oder Thementreiber ist.
„Nehmen wir mal die aktuellen Betroffenheitskampagnen für schwer heilbare Indikationen: Die finden kaum Widerhall in der Öffentlichkeit.“
Health Relations: Welchen Einfluss hat das auf die Struktur von Marketingabteilungen in Pharma-Unternehmen?
Jörg Pfannenberg: Wir sind der Meinung, dass das ohne eine datenbasierte Themenplanung nicht geht. Basis ist die einmalige Erstellung von Content, der dann in die Kanäle ausgespielt werden kann. Content first! Das muss zentral erfolgen. Im Anschluss geht es darum, schnell auf den Themen zu sein und über alle Medien zu spielen. Auch in Fremdmedien! Das zeichnet eine gute Publishingstrategie aus: die konzertierte Verbreitung von Inhalten auf den Owned und Earned Media, inklusive der Kommunikation in Gruppen, fremde Portale oder Blogs hinein.
Health Relations: Wie stark ist das Bewusstsein in der Pharma-Branche für diese Thematik?
Jörg Pfannenberg: Die Relevanz des Thought Leadership ist den Pharmaunternehmen schon bewusst. Aber es fehlt oft noch an den Systemen, um die digitale Umwelt schnell zu beobachten und zeitnah die Folgerungen zu ziehen. Das sind nur zum Teil Budgetfragen, oft stehen dem mehr die alten Routinen im Wege. Viele Unternehmen sind immer noch in Silos organisiert, das verhindert die ganzheitliche Wahrnehmung und integriertes strategisches Handeln. Angesichts der aktuellen Herausforderungen, denen sich Pharma gegenwärtig gegenübersieht, sind das vergebene Chancen. Denken wir nur an die Zulassung von Therapien und die Festlegung der Erstattungspreise. Da nützen die tollsten Kampagnen nichts. Wenn sie keine Wahrnehmung erfahren, agieren sie am Markt vorbei.
Health Relations: Also eigentlich bräuchten wir eine Neudefinition von KPIs, in denen auch die Initiierungsquote als Messwert für Thought Leadership einfließt?
Jörg Pfannenberg: Richtig, die zentrale Frage muss doch lauten: Erreiche ich wirklich meine Stakeholder und kann ich sie aktivieren? Das ist viel wichtiger als die Awards, die jedes Jahr wieder vergeben werden. Mal ehrlich: Es kann doch nicht darum gehen, ob dem Absender die Kampagne gefällt. Nehmen wir mal die aktuellen Betroffenheitskampagnen für schwer heilbare Indikationen: Die finden kaum Widerhall in der Öffentlichkeit, die Initiierungsquote für die Aktivitäten von anderen Stakeholdern ist ganz niedrig. Das ist aber die beste Messlatte für den Erfolg von Kommunikation.