Im Interview erklärt Sascha Dolling, General Manager der Mediaplus Realtime, wie der Algorithmus in OTC-Kampagnen für mehr Geschwindigkeit sorgt – und wo doch noch der Mensch gefragt ist.

Health Relations: Herr Dolling, was leistet Künstliche Intelligenz (KI) heute im Programmatic Advertising?

Sascha Dolling: KI ist im Kern das Produktversprechen von Programmatic Advertisting und wird darin von Anfang an eingesetzt – je nach Kampagne in unterschiedlicher Intensität. Besonders relevant für uns ist Machine Learning, also maschinelles Lernen. Eine selbstlernende KI hilft dabei, anhand definierter Parameter die Kampagnensteuerung vorzunehmen: Welche Art von Inventar (Anm. d. Red: Werbeplätze auf digitalen Plattformen), welche Zielgruppe, welche Kostenpunkte oder auch welche Gebotsstruktur werden für eine bestimmte Kampagne in Algorithmen hinterlegt? Anhand dieser Faktoren wird die Kampagne dann weitestgehend automatisiert optimiert.

Health Relations: Wonach entscheidet sich, wie intensiv eine Programmatic-Kampagne auf KI gestützt ist?

Sascha Dolling: In programmatischen Kampagnen der reinen Lesart kommt KI immer zum Einsatz: Dort schaltet man im Grunde das gesamte Inventar, setzt ein Targeting darauf und gegebenenfalls noch einige „Brand Safety“-Kriterien: Das bedeutet, wir können für unsere Kunden beispielsweise bestimmte Websites ausschließen, auf denen deren Werbung nicht stattfinden soll.

„Algorithmen brauchen viele Impressions und große Zahlen, damit sie gut arbeiten können.“

Manche Kampagnen ergänzen wir dann über händische Optimierungen. Das macht zum Beispiel bei kleineren Kampagnen Sinn: Algorithmen brauchen viele Impressions und große Zahlen, damit sie gut arbeiten können. Bei kleineren Kampagnen ist das möglicherweise nicht gegeben, so dass wir hier stärker händisch eingreifen und eher performance-orientiert agieren.

Health Relations: Die Pharma- und Healthcare-Branche ist stark reguliert, Werbetreibende haben es dort mit sehr sensiblen und personenbezogenen Daten zu tun. Inwiefern ist denn eine stark KI-gesteuerte Programmatic-Advertising-Kampagne für diese Unternehmen eine Option und was müssen die speziell beachten?

Sascha Dolling:Richtig, Pharma und Healthcare sind rechtlich stark reglementiert, was das Thema Targeting angeht – einfach, weil man bei personenbezogenen Targetings sehr schnell in sensible Bereich hineinkommt. Selbst für frei verkäufliche OTC-Produkte gibt es relativ starke Beschränkungen im Vergleich zu dem, was in anderen Branchen möglich ist. Tatsächlich zeigt unsere Erfahrung, dass man in solchen Fällen mit komplett automatischen Einkaufssystemen nicht weit kommt. Sehr gut funktionieren für OTC aber teil-automatisierte Kampagnensteuerungen auf Basis von Smart Data.

Health Relations: Wie kann man sich so eine teil-automatisierte OTC-Kampagne vorstellen?

Sascha Dolling: Es gibt sehr präzise Informationen darüber, wann welche OTC-Produkte besonders nachgefragt werden. Wir können zum Beispiel ein sehr klares Regelwerk rund ums Thema Heuschnupfen definieren, das jahreszeitliche Faktoren mit Daten zum aktuellen Pollenflug kombiniert. So lässt sich automatisieren: Wenn die Pollenflugwerte an einem bestimmten Standort ein bestimmtes Level übersteigen, dann bewerben wir dort ein Pollenmittel. Ähnlich gut funktioniert das mit Erkältungswellen, mit Grippeinzidenzen etc. Dank automatisierter Prozesse und Algorithmen sind wir hier viel schneller unterwegs als wenn wir jeden Tag die Werte händisch checken und dann die Kampagnen darauf abstimmen müssten.

„Wenn wir mit unseren Kunden über KI reden, ist da immer eine sehr große Begeisterung.“

Health Relations: Spüren Sie bei Ihrer Kundschaft manchmal Vorbehalte gegen eine starke KI-Steuerung?

Sascha Dolling:Wenn wir mit unseren Kunden über KI reden, ist da immer eine sehr große Begeisterung. Viele Unternehmen sind aktuell sehr stark angehalten, KI zu testen und Dinge auszuprobieren. Insofern gibt es eine große Bereitschaft da, mit KI zu arbeiten. Das gilt auch für Programmatic Advertising: Das wird anfangs von manchen Kunden eher kritisch betrachtet – doch wenn wir den KI-Aspekt mit in die Gespräche bringen, ist die Begeisterung plötzlich viel größer.

Health Relations: Wo wird der Mensch im Programmatic Advertising noch gebraucht?

Sascha Dolling: Zunächst einmal begreifen wir die Kuratierung des Inventars als eine unserer zentralen Aufgaben. Wir als Media Agentur kennen jede einzelne Seite, auf der wir Werbung ausspielen. Darüber hinaus muss der Mensch die Inventarauswahl für eine konkrete Kampagne treffen. Und nicht zuletzt entscheidet er über die Frage, wie intensiv eine Kampagne auto-optimiert werden und wo der Mensch eingreifen sollte. Der Algorithmus arbeitet so zuverlässig, wie er zuverlässig programmiert ist. Er basiert auf logischen Regeln. Wenn sie sehr einfach abgebildet werden können, dann funktioniert auch der Algorithmus sehr zuverlässig. Wird es jedoch komplexer, dann sollte der Mensch stärker eingreifen.

„Der Algorithmus arbeitet so zuverlässig, wie er zuverlässig programmiert ist.“

Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: Im Grunde können wir einfach die Maschinerie anwerfen und das Ergebnis wird eine gut laufende Standardkampagne sein. Doch eine solche Standardkampagne ist in der Regel zahlenoptimiert gesteuert. Dadurch lande ich mit meiner Werbung vielleicht auf Inventaren, auf denen ich gar nicht stattfinden möchte – einfach, weil die Werbeplätze dort günstiger sind. Ein Mensch muss also entscheiden: In welcher Art von Umfeld wollen wir mit unserer Werbung auftauchen? Auf einer solchen Basis können wir dann nachsteuern. Einfach weil wir aus Erfahrung wissen, dass der Algorithmus erst mal in eine andere Richtung optimiert.

Health Relations: Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft des Programmatic Advertising werfen. Wohin geht die KI-Reise?

Sascha Dolling: Media funktioniert, wie Media eben funktioniert. Ich glaube deshalb nicht, dass wir viele neue Produktausprägungen sehen werden. Aber: Vieles von dem, was schön möglich ist, wird noch besser werden. Ich denke da zum Beispiel an „ID-less Targeting“: Das bedeutet, dass wir auch ohne personenbezogene Merkmale bestimmte Zielgruppen ansteuern können. Das tun wir, indem wir mit ein Large Language Modellen (LLM) das Internet screenen lassen. Tag für Tag liest und versteht es für uns um die 50.000 redaktionelle Inhalte. Unser LLM trainieren wir jetzt seit über vier Jahren: Es hilft uns, ein Zielgruppen-Targeting über Faktoren wie Keywords, Tonalität, Kontexte und Semantik aufzusetzen. Außerdem wird die Rechenleistung immer besser. Dadurch werden wir viel schneller, viel mehr Daten können verarbeitet werden. Die Prognosen der KI werden immer präziser und zuverlässiger. Und nicht zuletzt wünsche ich mir, dass wir als deutsche Digitalbranche jetzt das Momentum nutzen und in eigene KI investieren.

Health Relations: Warum braucht es mehr deutsche oder europäische KI?

Sascha Dolling: Das hat zum einen ganz praktische Gründe: KI ist immer kulturell geprägt und tendenziös. In Europa zum Beispiel hat man deutlich geringere Vorbehalte gegenüber nackter Haut als gegenüber Waffen und Gewalt. In den USA ist es genau umgedreht. Für uns im Programmatic Advertising heißt das: Würden wir uns nur auf die Einschätzungen der KI verlassen, könnte das zu einer Brand-Safety-Steuerung führen, die nicht dem Kulturraum des Werbetreibenden und seiner Zielgruppen entspricht.

Der wichtigste Punkt ist aus meiner Sicht aber folgender: Wenn wir als Gesamtmarkt in das Thema KI investieren, machen wir uns wirtschaftlich und politisch unabhängiger – und das ist im Moment wichtiger denn je.

FAQ: Programmatic Advertising und KI

Wie wird Künstliche Intelligenz im Programmatic Advertising eingesetzt?
Im Programmatic Advertising übernimmt Künstliche Intelligenz auf Basis maschinellen Lernens die automatisierte Steuerung von Kampagnen. Sie analysiert vordefinierte Parameter wie Zielgruppen, Inventar, Gebotsstruktur und Budgetgrenzen. Die Intensität der Automatisierung hängt dabei von der Kampagnengröße und Datenverfügbarkeit ab.

Welche Aufgaben übernimmt der Mensch trotz KI-Einsatz?
Bei der Auswahl von Werbeumfeldern, der Bewertung kultureller Kontexte und der Steuerung komplexer Prozesse bleibt der menschliche Einfluss entscheidend. Besonders bei kleinen Kampagnen mit begrenzten Datenvolumen oder bei rechtlich sensiblen Inhalten erfolgt die Feinsteuerung manuell.

Wie funktioniert KI-gestütztes Advertising im Pharma- und Gesundheitsumfeld?
In regulierten Märkten wie Pharma und Healthcare sind vollautomatisierte Systeme häufig nicht umsetzbar. Teilautomatisierte Kampagnen nutzen Smart Data und festgelegte Ausspielregeln, zum Beispiel für bestimmte OTC-Produkte bei erhöhtem Pollenflug oder saisonalen Infektionswellen.

Welche technologischen Entwicklungen prägen den Einsatz von KI im Advertising?
Zukünftige Entwicklungen setzen verstärkt auf ID-less Targeting. Zielgruppen werden nicht über personenbezogene Daten, sondern anhand von Kontextmerkmalen wie Keywords, Tonalität, Inhalten oder semantischen Mustern angesprochen. Große Sprachmodelle analysieren hierzu täglich zehntausende redaktionelle Inhalte.