Aus der Menge der Daten die optimale Diagnose stellen – das kann der Computer besser als der Mensch, oder? In der ceres-Ringvorlesung an der Uni Köln zur Digitalisierung der Medizin ging es am 29. November um die Rolle des Arztes in der Gesundheitsversorgung.
Oft wird bei digitaler Medizin von der Nutzbarmachung der Daten gesprochen. Auf der Ringvorlesung in Köln hat ein Zuhörer diesen Gedanken aufgegriffen: „Deduktiv vorgehen, also aus der Menge der Daten Ergebnisse zimmern, das kann nur der Computer, nicht der Mensch“, so sein Gedanke. Wird der Arzt also langfristig durch einen Robot-Doktor ersetzt?
Die beiden Vortragenden an diesem Mittwochabend, Dr.-Ing. Matthieu P. Schapranow, Program Manager E-Health & Life Sciences am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam, und Prof. Dr. med. Gernot Marx, Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care der Uniklinik RWTH Aachen, antworteten unterschiedlich auf diese Frage.
Zu Beginn sprach der diplomierte Software-Ingenieur Dr. Schapranow über das Gesundheitssystem der Bundesrepublik. Jährlich gebe der Staat circa 4.200 Euro pro Kopf aus, damit ist Deutschland Europameister bei den Gesundheitsausgaben. Es sei gut, dass viel Geld in die Gesundheit investiert wird, aber es stelle sich auch die Frage, ob die Finanzmittel qualitativ eingesetzt würden. „Es wird wenig gemessen“, gab Schapranow zu bedenken.
Schapranow: „Es gibt zwei große Probleme“
Zwei für ihn wesentliche Probleme der digitalisierten Medizin sprach Schapranow an. Erstens gäbe es keine eindeutigen Standards, was die Kommunikation zwischen Krankenhäusern, aber auch zwischen stationärer und ambulanter Versorgung erschwert. Zweitens wären relevante Datenquellen verteilt und nicht gebündelt; darunter würden Ärzte bei ihrer medizinischen Recherche leiden.
Schapranow sprach außerdem über digitale Innovationen, von denen Ärzte profitieren würden, wie etwa die Zuhilfenahme von VR bei schwierigen Schädel-Operationen oder algorithmisierte Tools, die Gewebelinien bei Mammographien markieren und dem Radiologen so Arbeit abnehmen. Er stellte die Plattform we.analyzegenomes.com vor, die im Hasso-Plattner-Institut entwickelt wird. Sie sei mit einer Paraphrasensuche, genetischen Signalwegabbildungen und weiteren arztgerecht aufbereiteten Inhalten eine Art Google für Ärzte.
Marx über Telemedizin
Prof. Dr. Gernot Marx von der RWTH Aachen referierte über den Status Quo der Telemedizin in Deutschland. Er betonte, dass sie letztlich nur den Übergang zur digitalen Medizin darstellt. „Bilder und Text können Computer bereits gut, aber Dinge aus der Akutmedizin sind noch sehr anspruchsvoll“, so Marx.
Er stellte verschiedene Beispiele einer telemedizinischen Praxis vor. So hätte man an der RWTH Aachen ein Telemedizin-Zentrum gegründet und würde mit verschiedenen Kliniken kooperieren, zum Beispiel mit dem Akademischen Krankenhaus Maastricht in den Niederlanden. Kleine Kliniken in Aachen unterstütze man per Videovisite.
Marx ging auf die guten Patientenerfahrungen mit Teleintensivmedizin ein. Insbesondere in den USA sei die Wirkung bereits gut erforscht, z.B. mittels einer prospektiven Studie mit 118.990 Intensivpatienten. Und auch an der RWTH hätten sie ein erstes positives Feedback bekommen, wenngleich die Zahlen hier noch keine „Signifikanzsternchen“ hätten. Fast 90 Prozent der Patienten, die an der RWTH Aachen in der Intensivmedizin mit Telematik Erfahrungen gemacht hätten, wünschen sich die Teleintensivmedizin auch für ihr „Heimatkrankenhaus.“
Ebenso wie Schapranow kritisierte auch Marx die fehlende Standardisierung innerhalb der digitalisierten Medizin. „Ich war in den Jahren 2000 bis 2004 in Großbritannien, die waren da schon fast so weit wie wir heute.“ Allerdings würde sich etwas bewegen. Im Januar 2018 starte das mit 35 Millionen Euro bezuschusste MBMF-Projekt „smith„. Neben den Universitätskliniken Jena und Leipzig sei auch die RWTH beteiligt. Das Ziel des Projektes ist die Schaffung von Datenintegrationszentren, die eine standardisierte Nutzung von Daten für die Forschung und die Versorgung ermöglichen.
Kein klares Veto gegen Robot-Doktor
„Es wird schon sehr spannend sein, was da noch kommt.“Zurück zur Feststellung des Zuhörers, der befürchtete, dass der Arzt bei einer deduktiven Ergebnisanalyse durch einen Robot-Doktor ersetzt wird. Sowohl Prof. Marx als auch Dr. Schapranow waren klug genug, sich einer Einschätzung über die fortschreitende und nur schwer prognostizierbare Digitalisierung in der Medizin zu entziehen. Immerhin: Beide schlossen nicht aus, dass der Robot-Doktor irgendwann Realität wird. Marx erinnerte an den lernenden Computer AlphaGo von Google, der im Jahr 2016 den GO-Brettspielweltmeister Lee Sedol geschlagen hat, ohne das Spiel zuvor zu kennen. „Es wird schon sehr spannend sein, was da noch kommt“, sagte Marx, „aber alles Wissen nutzt nichts, wenn es um Medizin geht, die was macht, also um Intervention, Operation, Akutmedizin. So schnell werden Roboter nicht manuelle Fähigkeiten entwickeln. Das wird noch dauern, denke ich.“
„Falls wir uns für die McCoy-Version entscheiden, müssen wir uns beeilen. Bei eBay sind die Tricorder fast ausverkauft.“Schapranow antwortete mithilfe eines Vergleichs zweier Star-Trek-Charaktere. Wir stünden vor der Wahl, ob Ärzte zu einem McCoy werden würden, also einem Arzt der älteren Star-Trek-Generation, der sich verschiedener Tricorder bedient, um Patienten zu heilen. Dieser Arzt mache sich die technischen Innovationen zunutze. Oder aber Ärzte würden zu dem Nachfolgecharakter, dem „Doktor“ werden – also zu einem Hologramm, dem der Patient alles anvertraue und der dann die Entscheidung treffe. „Falls wir uns für die McCoy-Version entscheiden“, so Schapranow schmunzelnd, „müssen wir uns beeilen. Bei eBay sind die Tricorder fast ausverkauft.“