Empfehlungssysteme für den Außendienst – daran hakt es in der Praxis

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Das Bild zeigt Maria Luchterhandt, Leiterin der Business Unit Consulting bei der Berliner good healthcare group.
Maria Luchterhandt, Leiterin der Business Unit Consulting bei der Berliner good healthcare group, © good healthcare group
Pharmaunternehmen haben in Datenanalyse und KI investiert, um Kundenerlebnisse zu verbessern.  Es wurden „Next Best Action“-Systeme installiert, die auf KI basieren und gespeicherte Daten nutzen, um daraus Empfehlungen für den Außendienst abzuleiten. Jedoch: Diese Empfehlungen werden oft nicht optimal umgesetzt. Warum das so ist, und was man besser machen kann, erklärt Maria Luchterhandt von der good healthcare group.

In diesem Artikel lesen Sie:
• Was hinter dem Best-Action-System für den Außendienst steckt und wo es hakt
• An welchen Daten es für eine ganzheitliche Omnichannel-Strategie häufig mangelt
• Wie Pharma neue Arbeitsprozesse weiter vorantreiben kann
• Warum es wichtig ist, den Informationsstand der Ärztinnen und Ärzte zu berücksichtigen
• Warum Kontinuität ein entscheidender Erfolgsfaktor in der Datenanalyse ist

Im Bereich Omnichannel-Marketing hat Pharma sein Potenzial noch lange nicht ausgeschöpft, davon ist Maria Luchterhandt überzeugt. Im Gegenteil: Die Leiterin der Consulting-Unit in der Berliner Agenturgruppe good healthcare group beobachtet vielerorts sogar einen Rückschritt hin zu alten Gepflogenheiten. „Viele Pharmaunternehmen, die vorher bereits stark klassisch orientiert waren, sind jetzt wieder back to the roots und bedienen neben einem nicht koordinierten Versand per E-Mail oder WhatsApp fast ausschließlich den Face-to-Face-Kanal“, so die Beraterin.

„Die Gen Z will keine Pharmareferentinnen und -referenten mehr im Patientenzimmer sitzen haben.“

Die Transformation sei noch nicht da, wo sie sein sollte. „Was fatal ist, denn die Digital Natives stehen direkt vor der Tür“, so Maria Luchterhandt weiter. „Die Assistenzärztinnen und -ärzte werden in spätestens fünf Jahren die Karriereleitern in Kliniken hochklettern oder Praxen übernehmen.“ Dass die junge Generation ein anderes Informationsbedürfnis hat, machen verschiedene Studien deutlich. Für Maria Luchterhandt ist klar: „Die Gen Z will keine Pharmareferentinnen und -referenten mehr im Patientenzimmer sitzen haben.“ Pharmaunternehmen müssten sich wieder verstärkt einer Gesamtarchitektur für die Omnichannel-Strategie widmen.

Empfehlungssysteme für den Außendienst

Klar sein dürfte aber auch: Viele Pharmaunternehmen haben in den vergangenen Jahren in der Datenanalyse und -auswertung stark aufgerüstet, verwenden neueste Technologien und Künstliche Intelligenz (KI), um ihr Kundenerlebnis – auf der Grundlage einer guten Datenbasis – zu verbessern. Woran hakt es also nach Meinung der Beraterin?

„Sicher, viele Healthcare-Unternehmen haben ein Next Best Action, also Empfehlungssystem für den Außendienst aufgebaut“, sagt sie. „Dieses ist oft KI-gesteuert und berücksichtigt die Daten, die im Customer-Relationship-Management-System – kurz CRM – gespeichert sind. Aufbauend hierauf gibt es dann eine Empfehlung, was der Außendienst bestmöglich in seiner nächsten Maßnahme gegenüber dem Arzt oder der Ärztin machen sollte.“ Heißt beispielsweise: Soll er die Praxis besuchen, eine E-Mail schreiben oder zu einer Veranstaltung einladen?

Klingt erst einmal gut, in der praktischen Anwendung seien die neuen Möglichkeiten allerdings häufig noch nicht angekommen. Zum einen sei das Knowhow vielerorts nicht in die klassische Marketing- und Vertriebskultur eingegliedert. Sprich: Digitale Formate und Tools werden von den eigenen Mitarbeitenden nicht so genutzt, wie man sie nutzen könnte. Zum anderen blieben Daten oft einfach liegen.

Raus aus dem „Blackbox-Pharmamarketing“

„Aktuell werden zwar einzelne Kanäle mit Blick auf ihre Leistung bewertet. Kennzahlen sind beispielsweise Page Impressions, Klicks oder Opening Rates“, sagt Maria Luchterhandt. „Aber die Daten sind meist nicht konsolidiert über alle Kanäle an einer Stelle erfasst“. Beispielsweise seien die Analysedaten einer Website häufig nicht in das CRM-System integriert. Healthcare-Unternehmen konzentrierten sich größtenteils auf die Messung von Push-Kontakten. „Relevant sind aber alle Push- und Pull-Interaktionspunkte entlang der Customer Journey“, so die Leiterin der Consulting-Unit.

Fehlen Daten, führe es nicht selten dazu, dass der einzelne Außendienstmitarbeitende die Empfehlung auf Grundlage des CRM-Systems nicht teilt. Es liege eine Handlungsempfehlung da, aber man richte sich nicht hiernach.

„Oft hat ein Pharmareferent den Eindruck, das Interesse seiner Ärztin liegt ganz woanders. Dann kommt natürlich die Frage auf: Warum sollte ich der Empfehlung folgen?

Dazu nennt Maria Luchterhandt ein Beispiel: „Oft hat ein Pharmareferent den Eindruck, das Interesse seiner Ärztin liegt ganz woanders. Sie hat beispielsweise auf einer Veranstaltung etwas anderes gesagt oder ein anderes Verhalten gezeigt. Dann kommt natürlich die Frage auf: Warum sollte ich der Empfehlung folgen? Hier ist es wichtig zu differenzieren: Was sagt mir eine Ärztin vs. wie verhält sie sich in der Realität? Der persönliche Kontakt spielt in diesem Kontext eine wichtige Rolle. Anknüpfende Maßnahmen können dann durch die Messung des Verhaltens auf anderen Kanälen gestützt und validiert werden.“

Manchmal mangelt es aber – aus Erfahrung von Maria Luchterhandt – auch schlicht und ergreifend an der konsequenten Analyse und passenden Strategie. Die Zielgruppenbestimmung sei in vielen Pharmaunternehmen bereits angelegt. Häufig würden aber nicht ausreichend Rückschlüsse in Bezug auf die Präferenzen oder Bedürfnisse daraus gezogen. Marketing- oder Vertriebsmaßnahmen würden losgelöst voneinander betrachtet und final nur geschaut, wie der Absatz sich danach entwickelt habe.

Wie kann Pharma neue Arbeitsprozesse weiter vorantreiben?

Wie lassen sich diese Stolpersteine überwinden und die Arztkommunikation zielgerichteter gestalten? Viel Potenzial für Pharma liegt hier für die Beraterin in der Befähigung und Begleitung der eigenen Mitarbeitenden. Denn neue Arbeitsprozesse zu erlernen, stößt häufig auf Widerwillen, ist unbequem, frisst Zeit und wirkt erst einmal kompliziert. Systeme funktionieren anfangs schwerfällig, es hakt an den Schnittstellen oder Updates.

Vielen Pharmaunternehmen sind diese Barrieren bewusst. Sie investieren daher bereits in die Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden, bieten Schulungen an, stärken die hausinterne Kommunikation. Der Weg zum Erfolg liegt für Maria Luchterhandt allerdings nicht darin, Marketing- oder Außendienstmitarbeitende zwei Wochen lang zur Fortbildung zu schicken, sondern in der nachhaltigen Befähigung und darin neues Knowhow häppchenweise anzubieten. Der Grundgedanke: Bringt man neue Tools und Systeme in Micro-Sessions und schrittweise im Alltagsgeschäft näher, verlieren Mitarbeitende auch nicht so schnell die Lust oder sind frustriert. Die Bereitschaft, sich Neuem zu öffnen, ist größer. Die Angst wird kleiner, wenn man bei Transformationsprozessen kontinuierlich begleitet wird – gerade, wenn die digitale Affinität nicht so hoch ist.

Ansonsten laufen Pharmaunternehmen laut Maria Luchterhandt Gefahr, dass ihre Mitarbeitenden wieder auf alteingetretene Pfade zurückkehren – getreu dem Motto: So wie es vorher funktioniert hat, funktioniert es ja auch.

Informationsstand der Ärztinnen und Ärzte berücksichtigen

Ein weiterer Hebel zur individuelleren Arztkommunikation ist die genaue Zielgruppenanalyse. Erkenntnisse über die Zielgruppen müssten immer weiter verfeinert werden, um mögliche Maßnahmen weiter aussteuern zu können. „Es ist oft eine Gießkanne, sprich eine Message, die über alle Ärztinnen und Ärzte gegossen wird. Aber diese stehen natürlich auf einem unterschiedlichen Level in Bezug auf mögliche Therapien, um die es geht“, so Maria Luchterhandt. Hier müsse man genau unterscheiden:

  • Richtet sich meine Kommunikation an sogenannte „Beginner“, die sich noch gar nicht mit dem Angebot auseinandergesetzt haben und sich vielleicht an Wettbewerbspräparaten orientieren?
  • Spreche ich Ärztinnen und Ärzte an, die sich in der Versuchsphase befinden, also erste Patientinnen und Patienten mit dieser Therapie behandeln?
  • Oder wende ich mich an erfahrene Therapiebefürworter:innen? Sprich: Healthcare Professionals (HCPs), die ein Produkt bereits mehrfach verordnet haben?

„Zwischen komplettem Neuling und True Believer gibt es viele Entwicklungsstufen, die in der Ansprache unbedingt berücksichtigt werden müssten“, so die Leiterin der Consulting-Unit. Bei HCPs wiederum, die vielleicht noch nicht einmal Erfahrung mit der Omnichannel-Ansprache haben, sollte auf den persönlichen ersten Kontakt durch Sales-Mitarbeitende gesetzt werden.

Daten kontinuierlich nutzen und konsequent darauf aufsetzen

Ein ebenfalls wichtiger Schlüssel zum Erfolg für eine ganzheitliche Omnichannel-Kommunikation ist, Daten kontinuierlich zu nutzen. „Das ganze Wissen über das Verhalten und die Präferenzen, geht durch die Lappen, wenn man es nicht kontinuierlich und konsequent trackt“, so Maria Luchterhandt. Dazu gehört eine permanente Datenanalyse, nicht nur einmal im Quartal, sondern „im kontinuierlichen Closed Loop“.

„Das Engagement mit den einzelnen Touchpoints, insbesondere auch die Wahl des angefragten Materials, muss in einem holistischen Profil des jeweiligen Kontakts mittels Data Intelligence zusammengefasst werden“, sagt die Leiterin. „Je nach Art der Interaktionen wird der Arzt oder die Ärztin dann nach Lifecycle Stage bzw. Awareness-Grad klassifiziert. Auf Basis dessen bieten sich wiederum unterschiedliche Maßnahmen und aufbauender Content an, um den HCP auf der individuellen Customer Journey zu begleiten und weiterzuentwickeln.“ Die Folgekommunikation muss also flexibel bleiben und nicht nur strikt nach Kampagnenplan erfolgen. So gilt es zwar die einzelnen Maßnahmen zu orchestrieren, Technik und Daten sollten dann aber dafür genutzt werden, ein kundengerechtes individuelles Angebot anzubieten. In der Agilität liegt ein großer Erfolgsfaktor.

Fazit: Mit Empfehlungssystem zum ganzheitlichen Omnichannel

Für Maria Luchterhandt ist die Rückkehr zum ausschließlichen Face-to-Face-Kontakt keine Lösung. Schon gar nicht mit Blick auf nachwachsende digitalaffine Generationen. Stattdessen sollten Pharmaunternehmen verstärkt auf Datenanalyse und zielgerichtete Kommunikation setzen. Der erste Schritt zur ganzheitlichen Omnichannel-Strategie ist die Integration aller Kanäle, gefolgt von kontinuierlicher Analyse und individueller Folgekommunikation. Dabei ist die Implementierung eines KI-gesteuerten „Next Best Action“-Systems, basierend auf CRM-Daten, hilfreich, sofern das Tool effizient genutzt wird.

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