„Je persönlicher der Kontakt, desto höher der empfundene Mehrwert“

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Joachim Rittchen leitet die Marktforschungsabteilung bei Roche Pharma AG
Joachim Rittchen ist Head of Market Analytics bei der Roche Pharma AG. ©Roche Pharma AG
Joachim Rittchen ist Head of Market Analytics bei der Roche Pharma AG. Daten sind sein Geschäft. Heute ist keine Neueinführung eines Produkts, keine Ausweitung von Marktanteilen und keine große Marketingaktion  denkbar ohne die Insights und Forecastings der Marktforschungsabteilung.

Im Interview berichtet Joachim Rittchen von seiner Arbeit und dem Einfluss, die sie auf die Entwicklung und das Marketing hat.

Health Relations: Sie leiten die Marktforschung bei Roche. Welche Hauptaufgaben haben Sie?

Joachim Rittchen: Natürlich bin ich zunächst erster Ansprechpartner für die Geschäftsleitung der Roche Pharma AG, wenn es um das Thema Daten, Insights aus Marktforschung und Fragen zum Forecasting geht. Damit direkt verbunden ist aber der zentrale Anspruch, dafür zu sorgen, dass die Marktforschung strukturell, vom Know-how und von den eingesetzten Technologien bzw. Methoden her jederzeit für die Anforderungen der Zukunft aufgestellt ist und entsprechend wertschöpfenden Input in die Organisation bringen kann. Hier geht es aktuell z.B. um Themen wie Digital Analytics, agile Ergebnislieferung, Big Data/Advanced Analytics aber auch den Ausbau von Co-Creation bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten.

Health  Relations: Wie beeinflusst Ihre Arbeit die Entwicklung neuer Medikamente?

Joachim Rittchen: Marktforschung ist ein wichtiges Ohr des Unternehmens an Ärzten und Patienten. Indem wir Informationen aus den unterschiedlichsten Quellen konsolidieren, sorgen wir dafür, dass wir die Bedürfnisse unserer Kunden und unserer Patienten auch wirklich verstehen und diese berücksichtigen können. Nur das sichert uns Relevanz in unseren Aktivitäten als Roche Pharma AG. Und Marktforschung sorgt andererseits auch für das Messen von Erfolg oder Misserfolg und dass die richtigen Lehren aus den Messwerten gezogen werden. Marktforschung liefert also einerseits grundlegendes Wissen für eine zielgerichtete Entwicklung, sorgt andererseits über Performance-Messung aber auch für einen Feedback-Loop, der zu weiteren Verbesserungen in der Entwicklung herangezogen werden kann. Ich persönlich muss dafür sorgen, dass unser Verständnis von Ärzten und Patienten auf qualitativ hochwertiger und valider Information beruht und für die Performance-Messung immer die richtigen Indikatoren bereitstehen. Hier ist der Blick über die Pharmabranche hinaus in andere Branchen wichtig und die Abklärung, wie neue Technologien und Methoden für die Anwendung in Pharma adaptiert werden können. Und dann geht es um Automatisierung, 24/7-Verfügbarkeit von Daten in Dashboards und neue auch prädiktive Erkenntnisse durch den Einsatz moderner Analysetechniken.

„Marktforschung ist ein wichtiges Ohr des Unternehmens an Ärzten und Patienten“

Health Relations:  Und wie beeinflusst die Marktforschung das Marketing?

Joachim Rittchen:  Marktforschung liefert Grundlagenwissen zu unmet needs und Bedürfnissen von Ärzten und Patienten aber auch Informationen zur Performance im Markt. Nur wenn dieses berücksichtigt wird, z.B. Informationen im richtigen Format über den passenden Kanal zu liefern, kann Marketing wirklich Erfolg haben. Aber dazu muss eben zuvor klar sein, was das richtige Format überhaupt ist und welcher Kanal passt. Wir arbeiten also sehr eng mit dem Marketing zusammen, um aus verfügbaren Daten den besten Weg für unsere Aktivitäten herauszudefinieren. Marktforschung ist deshalb an vielen Stellen beteiligt, beispielsweise der Ausgestaltung von Botschaften, der formalen Konzeption von Materialien und auch der Festlegung der Ausführung.  Und wir beobachten auch Mitbewerber, um von deren Aktivitäten lernen zu können.

Health Relations: Welche Trends stellen Sie in Sachen Marketing fest?

Joachim Rittchen: Digitalisierung und Individualisierung sind aus meiner Sicht die entscheidenden Schlüsselwörter. Die Pandemie hat zu einer unglaublichen Beschleunigung in Sachen Digitales geführt und alles, was an Plänen in dieser Richtung bereits in der Schublade lag, musste auf einmal priorisiert werden. Dabei rede ich gar nicht mehr von Fortbildungsveranstaltungen per Zoom, Teams o.ä. und auch nicht mehr über Verfeinerungen durch die Einbindung von Befragungstools, digitalen Whiteboards und die Diskussion in Breakout-Rooms. Die Simulation von Kongressgeschehen mit virtueller Realität, dem Einsatz von Avataren und der vollständigen Flexibilität des Austauschs im digitalen Raum ähnlich zufälliger neuer Kontakte, die man früher in Konferenzpausen oder beim Get-together hatte, ist nun die klare Richtung. Aus Multichannel wird im Sprachgebrauch immer öfter Omnichannel, wobei zwar einerseits oftmals unklar ist, was das jeweils genau bedeutet, aber andererseits feststeht, dass der persönliche Kontakt zugunsten vernetzter digitaler Kontaktpunkte  in den Hintergrund tritt. In Deutschland tun sich Ärzte schwerer mit dem Einsatz von Facebook, Twitter, Instagram & Co für professionelle Zwecke als im Ausland. Ich sehe das aber nur als eine Frage der Zeit an, wann sich das ändert. Und es gilt schon jetzt, Konzepte zu entwickeln, um auch diese Kanäle sinnvoll in eine Gesamtstrategie einbinden zu können.

Health Relations: Welche Folgen hat diese Entwicklung?

Joachim Rittchen: Diese gesamte Entwicklung beschleunigt auch den Trend hin zur Individualisierung. Was im Bereich FMCG im Digitalmarketing bei Loyalitätsprogrammen oder im Online-Handel zu frappierend attraktiven Angebotsempfehlungen oder erstaunlich passenden Suchergebnissen führt, wird immer deutlicher zur Anforderung auch im Pharmabereich: Ärzte und Patienten genau dort abzuholen, wo sie gerade stehen, d.h. genau ihre aktuellen Themen zu treffen und dann auch über den richtigen Informationskanal aktiv zu werden, ist die Anforderung. Basis sind wie immer Daten, z.B. aus CRM-Systemen und weiteren Daten aus Marktforschung, die verknüpft werden können. Wenngleich auch viel eingeschränkter als im FMCG-Sektor werden auch im Pharmabereich Big Data zur Verfügung stehen. Und Advanced-Analytics-Methoden können dies für viel feinere Segmentierungen nutzen, sodass Marketing nuancierter arbeiten und aus vorhandenen Materialien genau das Passende für Kunden konfigurieren kann – und dies im Idealzustand möglichst automatisiert, zumindest aber in digitaler Form mit nur wenigen Klicks erstellbar. Marktforschung und Marketing werden hier in Zukunft ein neues, weites Gebiet der Zusammenarbeit haben.

„Ärzte und Patienten genau dort abzuholen, wo sie gerade stehen, d.h. genau ihre aktuellen Themen zu treffen und dann auch über den richtigen Informationskanal aktiv zu werden, ist die Anforderung“

Health Relations: Welche Kanäle sind derzeit am wichtigsten?

Joachim Rittchen: Rein von der Quantität her ist die Pharmawelt immer noch vergleichsweise konventionell unterwegs. E-Mail in Kombination mit einem Telefonat ist aktuell immer noch das Hauptmedium für den Kontakt. Dies wird flankiert von allgemeinen Mailings und Newslettern, teils noch auf Papier, und die unter Corona-Bedingungen volldigitalen Fortbildungsveranstaltungen und Kongresse auf den weiteren Plätzen. Schließlich spielt auch die Vernetzung mit der Unternehmenswebsite eine zunehmend wichtige Rolle. Qualitativ lässt sich feststellen, dass der empfundene Mehrwert umso höher ist, je persönlicher der Kontakt erfolgt und dies bedeutet nicht mehr unbedingt den physischen Kontakt vor Ort, sondern kann auch den Weg über einen Video-Call oder den persönlichen Austausch per Videokonferenz in einer Veranstaltung bedeuten.

Health Relations: Welche Änderungen im Verhalten der Ärzte hat Corona mit sich gebracht? Sind sie „digitaler“ geworden? Nutzen sie andere Kanäle? Legen sie auf andere Informationen wert?

Joachim Rittchen: Corona ist zu einem fast brutalen Beschleuniger der digitalen Kommunikation geworden. Und ja, wie wir auf der Industrieseite sind auch die Ärzte „digitaler“ geworden. Auch wenn vielerorts noch schlechtes Netz, fehlende Hardware oder Firewalls ein Hindernis darstellen und auch wenn digitale Kontakte deutlich schwieriger in den Therapiealltag einbaubar sind als ein persönlicher Kontakt vor Ort „zwischendurch“ haben die Ärzte die Vorteile des Digitalen sehr schnell schätzen gelernt, so sie diese nicht sowieso schon davor kannten: Kein Reiseaufwand mehr zu Veranstaltungen, Aufzeichnungen dann on demand abrufen, wenn es optimal in den eigenen Zeitplan passt, per Link oder Barcode Zugriff auf vertiefende Materialien zu haben und sich dann das Nötige selbst zusammenstellen zu können, sind nur die augenfälligsten Vorteile digitaler Kommunikation. Und unter anderem deshalb wird auch nach dem Ende der Pandemie die digitale Art der Informationsvermittlung und des Austauschs breiten Raum einnehmen. Rein von den Inhalten bzw. den Interessensgebieten her sind die Themen dieselben wie vor der Pandemie geblieben. Doch die Erwartung an die Vielfalt der zur Verfügung gestellten Kommunikationskanäle mit jeweils kanalgerechter Kommunikation, ist eine andere geworden. Dies greifen wir auf und stellen uns in unserem Handeln darauf ein. Und nur dies erzeugt Mehrwert bei Ärzten und Patienten, was letztlich die Daseinsberechtigung für unsere Aktivitäten als Unternehmen ist.

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