Telemedizin: KV-Projekt docdirekt macht vor, wie’s geht

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Die Fernbehandlung kommt nicht, sie ist längst da. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg hat 2018 als erste ein Telemedizin-Projekt auf den Weg gebracht. docdirekt wurde inzwischen auf das gesamte Bundesland ausgeweitet und zieht ein Jahr nach dem Start eine positive Bilanz. Bundesweit wollen KVen zusammenarbeiten, um digitale Angebote aufzubauen.

Seit vor rund einem Jahr der Deutsche Ärztetag den Weg für die Telemedizin frei gemacht hat, kommt Bewegung in die Sache. Durften bis dahin Ärzte nur Patienten via (Video-)Telefonie behandeln, die sie bereits kannten, ist diese Bedingung nun entfallen. Neben privaten Krankenhausgruppen, die in diesem Jahr in den Markt eingestiegen sind oder es noch planen (Health Relations berichtete), gibt es mit docdirekt ein interessantes Pilotprojekt der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW). Nach einem Jahr Laufzeit zieht man dort eine positive Bilanz.

„Wir haben schnell gemerkt, dass ‚docdirekt‘ sowohl technisch als auch medizinisch funktioniert. Die Nutzerzahlen steigen stetig an, und unsere Patienten sind mit dem Service sehr zufrieden“, erklärte Dr. med. Johannes Fechner, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KV, gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. „Unsere 40 Teleärzte berichten, dass sie die meisten Fälle per Video und Telefon abschließend klären können“, heißt es weiter in dem Artikel. Im März 2019 gab es demnach mehr als 3.000 Konsultationen. Männliche Nutzer des Angebots seien mit etwa 60 Prozent in der Mehrzahl. Bei den Nutzern seien alle Altersklassen gleichmäßig vertreten.

docdirekt Telemedizin
© docdirekt (Screenshot App Store)

docdirekt: So funktioniert das KVBW-Modellprojekt

Das Modell funktioniert so: Montags bis freitags zwischen 9 und 19 Uhr melden sich Patienten per Telefon, Video oder Chat (z.B. über die App) bei docdirekt. Eine MFA nimmt die Patientendaten auf und vereinbart einen Rückruftermin des Telearztes. Dieser gibt anschließend seine Behandlungsempfehlung per Telefon oder vermittelt in eine Arztpraxis. Die MFA führt im Anschluss stichprobenartige Checkup-Calls bei den Patienten durch, um die Qualität der ärztlichen Beratung zu sichern. Alle Teleärzte sind Haus- sowie Kinder- und Jugendärzte aus Baden-Württemberg, die Kosten für die erbrachten Leistungen übernimmt die gesetzliche Krankenversicherung. Die technische Infrastruktur sichert das Münchner Unternehmen TeleClinic.

AU-Schein per WhatsApp in der Kritik

Es gibt auch telemedizinische Angebote, die angesichts der Reform der ausschließlichen Fernbehandlung möglich wurden und heftig umstritten sind. Das Portal au-schein.de wirbt bspw. damit, dass Patienten für 9 Euro nach einer Arzt-Diagnose ggf. eine gültige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per WhatsApp und per Post erhalten. Das Berliner Start-up Selfapy bietet 3- bis 6-monatige Onlinekurse, unter anderem zu den Themen Depression und Bulimie. Psychologen begleiten die Patienten durch wöchentliche Telefonate oder Chats, in denen Kursinhalte vertieft und Fragen beantwortet werden. Derzeit übernehmen elf Krankenversicherungen die Kosten für ausgewählte Kurse.

KVen planen eigene digitale Angebote

Bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) stoßen privatwirtschaftliche Angebote auf Kritik: „Anbieter von Health-Apps und Videosprechstunden (…) bauen ihre Angebote an den Praxen der niedergelassenen Ärzte vorbei stark aus. Die föderale Zuständigkeit in diesem Bereich sorgt dafür, dass sich in den einzelnen Bundesländern die unterschiedlichsten Vorhaben herausbilden“, heißt es in einem gemeinsamen Positionspapier der KBV und der KVen (alle, bis auf die KV Thüringen).

Die KVen sehen es als ihre Aufgabe, „funktionierende digitale Angebote (zu) machen, die an den Bedürfnissen der Patienten ausgerichtet sind.“ In dem Anfang Februar veröffentlichten Positionspapier heißt es weiter, man werde Angebote aufbauen, die den „höchsten Ansprüchen des Datenschutzes und der Datensicherheit“ genügen. Dafür sollen die KVen übergreifend zusammenarbeiten, um so „den privatwirtschaftlich organisierten und rein an Kapitalinteressen orientierten Unternehmen mit eigenen Angeboten und Lösungen entgegen zu treten.“

Bundesärztekammer veröffentlicht FAQ zur Telemedizin

Telemedizin, Bundesärztekammer
© Dr. med. Josef Mischo /BÄK

In der Bundesärztekammer (BÄK) hat die Arbeitsgruppe „Fernbehandlung“ Informationsmaterialien für Ärzte entwickelt. Dr. Josef Mischo, Vorsitzender des Berufsordnungsausschusses der BÄK, stellte in einer Pressemitteilung Mitte Mai klar, dass alle beruflichen Rechte und Pflichten von Ärztinnen und Ärzten auch im Rahmen einer ausschließlichen Fernbehandlung gelten.

Demnach müssen Ärzte stets prüfen, ob der jeweilige Fall für eine ausschließliche Fernbehandlung in Frage kommt oder nicht. Die Arbeitsgruppe hat einen Fragenkatalog zur Fernbehandlung für Ärzte ausgearbeitet. Mischo ist überzeugt, dass sich die Fernbehandlung zum Beispiel über Video-Sprechstunden als eine von vielen Formen ärztlicher Patientenversorgung in Deutschland etablieren wird.


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© docdirect / YouTube

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