Machtgehabe ist old school. Kliniken brauchen eine offene Feedbackkultur

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Herrscht in der Klinik eine offene Feedbackkultur, verbessert sich die Arbeitsatmosphäre. Was man als Personaler, Chefarzt oder Leiter beachten muss und welche No-Gos es gibt, erklärt Führungskräfte-Coach Silke Reinhardt von der Organisationsberatung Avenue in Berlin.

Health Relations: Was kennzeichnet eine offene Feedbackkultur in – gerade hierarchisch geprägten – Kliniken?

Silke Reinhardt: Feedbackkultur ist ein abstrakter Begriff. Gemeint ist damit eine offene Atmosphäre, in der Feedback – also wertschätzende sowie kritische Rückmeldungen zur beruflichen Leistung im Klinikalltag ausgetauscht werden. Wer sich in seiner Arbeit gesehen fühlt, bringt auf Dauer auch bessere Leistung und trägt zu einer guten Arbeitsatmosphäre bei – davon profitieren nicht zuletzt die Patienten.

Gerade in Kliniken, in denen Hierarchie wichtig ist und es in vielen Situationen darauf ankommt, klaren Ansagen Folge zu leisten und effizient miteinander zu funktionieren, trägt eine Feedbackkultur dazu bei, ein gesundes Arbeitsklima zu erhalten. Stellen Sie sich vor, Pflegekräfte geben regelmäßig ihren Arztkollegen Feedback, wie sie diese im Umgang mit Patienten erleben. Und umgekehrt genauso. Sich Zeit nehmen, um fernab von Patientenbett oder OP-Saal offen zu sprechen, ist essentiell.

Gerade in Kliniken, in denen Hierarchie wichtig ist und es in vielen Situationen darauf ankommt, klaren Ansagen Folge zu leisten und effizient miteinander zu funktionieren, trägt eine Feedbackkultur dazu bei, ein gesundes Arbeitsklima zu erhalten.

Eine Feedbackkultur zielt auf das gemeinsame Weiterentwickeln ab. Das erfordert vor allem Vertrauen und Kommunikation auf Augenhöhe, um sowohl auf kollegialer Ebene, wie auch beidseitig zwischen Pflegekräften und Ärzten offen und transparent miteinander zu sprechen. Es setzt die gemeinsame Haltung von Ärzten, Klinikleitung und Pflegepersonal voraus, dass jeder unabhängig von Hierarchie und Ausbildung zum Allgemeinwohl der Patienten beiträgt.

Health Relations: Warum ist Feedbackkultur eigentlich so wichtig?

Reinhardt: Machtgehabe ist old school. Gerade mit starker Belastung im Klinikalltag wünschen sich Mitarbeiter für ihre Arbeit gewertschätzt zu werden. Feedback stärkt und unterstützt dabei, zusätzlich zur eigenen Wahrnehmung einen äußeren Spiegel zu bekommen: was bringe ich von mir hier ein? Wo kann ich noch besser werden?

Wo offenes und vertrauensvolles Feedback möglich ist, stehen die Beziehungen der Menschen im Vordergrund. Das erhöht die Motivation und es zeigen sich deutliche Effekte im Zusammenspiel beim Patienten – aus Gegeneinander wird Miteinander. Es wird mehr im direkten Kontakt geklärt und weniger hinter dem Rücken geredet, Konfliktherde können sich so abbauen. Feedback lässt Menschen wachsen, da es persönliche Entwicklungsbedarfe aufzeigt und auf die eigenen Stärken und Ressourcen setzt. Und nicht zuletzt erhöht sich so auch die Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung zur Klinik.

Die Etablierung einer offenen Feedbackkultur ist eine Kulturveränderung. Hier reicht kein einzelnes Feedbackseminar. Wichtig ist, dass die Führungskräfte dies aktiv und wertschätzend  vorleben.

Health Relations: Welche Schritte sollten Kliniken/Personaler, die eine offene Feedbackkultur etablieren möchten, auf dem Weg dorthin machen?

Reinhardt: Die Etablierung einer offenen Feedbackkultur ist eine Kulturveränderung. Hier reicht kein einzelnes Feedbackseminar. Um Feedback wirksam im Klinikalltag zu verankern, braucht es einen Entwicklungsprozess, der von der Klinikleitung und den Chefärzten angestoßen und getragen wird.

  1. Aktive Verantwortungsübernahme von Krankenhausleitung und Chefärzte stellen die Weichen für eine klinikweite Etablierung der Feedbackkultur: Zwischen den einzelnen Kliniken eines Krankenhauses gibt es in Sachen Führungskultur oft Unterschiede – geprägt von den jeweiligen Chefärzten. Um eine gemeinsame Feedbackkultur zu etablieren, braucht es ein abgestimmtes Vorgehen und die aktive Verantwortungsübernahme durch Krankenhausleitung und Chefärzte.
  1. Den Rahmen setzen & angemessene Kommunikationsstrukturen schaffen: Klinikleitung und Chefärzte setzen den Rahmen, damit Feedback zur aktiven Säule im Klinikalltag werden kann. Hierzu gehört die klare Ausrichtung des Veränderungsprozesses, sowie die Abstimmung mit den Ärzten, welches veränderte Führungsverhalten notwendig ist, um Feedback hierarchieübergreifend geben und nehmen zu können. Hierfür ist es notwendig, die bestehenden Kommunikationsstrukturen in den Blick zu nehmen und weiter zu denken. Das Leitungsteam sollte aktiv in den Dialog gehen über den Sinn der angestrebten Feedbackkultur und was damit verbunden ist, sowie mit gutem Beispiel voran gehen und sich selbst Feedback einholen und aktiv geben. Je offener und authentischer dies passiert und je weniger die Hierarchie dabei spürbar wird, desto leichter wird es allen fallen, offene Dialoge anzustoßen.
  1. Pilotphase: Feedback erlernen und ausprobieren: Feedback geben und dabei den richtigen Ton treffen ist nicht leicht und braucht Fingerspitzengefühl und Übung. In Workshop-Formaten kann das Thema Feedback interaktiv erlernt und direkt umgesetzt werden. Da es hier vor allem um Beziehung und Kontakt geht, empfehlen wir anhand konkreter, eigener Situationen aus dem Klinikalltag Feedback praxisnah zu üben und anzuwenden, anstatt Feedbackinstrumente auswendig zu lernen.
  1. Regelmäßige Boxenstopps sorgen für eine effektive Umsetzung: Während der Pilotphase zieht die Feedbackkultur nach und nach in den Klinikalltag ein. Wichtig ist, dass die Führungskräfte dies aktiv (und wertschätzend) vorleben und dass die Belegschaft merkt, dass wirklich etwas anders gemacht wird. In regelmäßigen Abständen von 2-3 Monaten empfehlen wir einen Boxenstopp mit Klinikleitung und Chefärzten durchzuführen, um zu evaluieren, wie wirksam die Kulturveränderung läuft und ggf. nachzujustieren.

Die wichtigsten Feedbackregeln

  • ERBETEN: Feedback sollte vom Empfänger gewünscht sein.
  • BESCHREIBEND, NICHT WERTEND: Schildern Sie die eigene Wahrnehmung (Ich habe wahrgenommen, dass…) und vermeiden Sie generalisierende Aussagen (Immer sind Sie…).
  • KONKRET: Machen Sie das Feedback an konkreten Situationen fest und beschreiben Sie, was das konkrete Verhalten bei Ihnen ausgelöst hat (Feedback ist subjektiv).
  • HILFREICH: Geben Sie angemessenes Feedback, das Ihrem Gegenüber hilft, sich selbst oder sein Verhalten in bestimmten Situationen besser zu verstehen.
  • ZEITNAH: Ein Feedback nach zwei Monaten hilft nicht weiter. Am besten zeitnah das Gespräch suchen, denn nicht angesprochene Störungen wirken im Verborgenen destruktiv.
  • EMPFÄNGER ENTSCHEIDET, was er mit dieser Rückmeldung anfängt. Für ihn hat sich die Haltung bewährt, dankbar und lernbereit zuzuhören und an Stellen nachzufragen, was man noch nicht verstanden hat („Was genau meinst Du mit…?“).

Health Relations: Gibt es No-Go‘s bei der offenen Feedbackkultur?

Reinhardt: Ja, durchaus.

No Go‘s in Bezug auf die Einführung einer offenen Feedbackkultur:

  • Das Leitungsteam macht nicht mit, Feedback wird nur bei Mitarbeitenden eingeführt.
  • Feedback wird als reines Instrument eingeführt und nicht als Haltung sich gemeinsam weiterzuentwickeln, was Offenheit und Vertrauen erfordert
  • Einzelne Ärzte in höheren Positionen verweigern das Feedback
  • Rückmeldungen werden dokumentiert und gesammelt und zum Nachteil der Feedbackgeber genutzt
  • Die Feedbackkultur besteht auf dem Papier, im Klinikalltag ist davon nichts sichtbar

Ein Feedback, was vom Anderen nicht gewollt ist oder in einer Situation gerade nicht genommen werden kann, kann für sein Gegenüber übergriffig wirken. Ebenso wie Feedback zwischen Tür und Angel oder nach einer 24h-Schicht.

In der Art und Weise, wie Feedback gegeben wird, gibt es einige No-Go‘s:

  • Unauthentisches Feedback durch auswendig gelernte Formulierungen. Das kommt beim Gegenüber nicht gut an. Verzichten Sie auf verallgemeinernde Aussagen und beschreiben Sie anstatt dessen konkret Ihre Wahrnehmungen und Empfindungen. Ihr Gegenüber möchte in seiner Persönlichkeit gesehen werden.
  • Ungefragtes Feedback oder zeitlich unpassendes Feedback. Ein Feedback, was vom Anderen nicht gewollt ist oder in einer Situation gerade nicht genommen werden kann, kann für sein Gegenüber übergriffig wirken. Ebenso wie Feedback zwischen Tür und Angel oder nach einer 24h-Schicht. Nehmen Sie sich Zeit und seien Sie sich der möglichen Wirkung Ihrer Rückmeldung bewußt.
  • Feedback als Gesichtsverlust. Wenn Sie innerlich denken „Das pfeffere ich ihm/ihr jetzt um die Ohren“, ist dies kein guter Moment für ein Feedbackgespräch. Feedback sollte nie vernichtend sein, sondern Ihr Gegenüber immer weiterbringen.
  • Koalitionen bilden: „Alle anderen Kollegen sagen auch, dass Sie sehr unzuverlässig sind“. Gutes Feedback sind gelungene Ich-Botschaften. Sie brauchen keine Koalitionen, um sich mehr Gehör zu verschaffen. Das macht nur misstrauisch, dass Sie längst hinter dem Rücken Ihres Gegenübers mit anderen gesprochen haben.

Gelungenes Feedback ist frei nach Max Frisch „Wenn Du jemandem Rückmeldung gibst, schlage sie ihm nicht wie einen nassen Lappen um die Ohren, sondern halte sie ihm wie einen Mantel hin, in den er hineinschlüpfen kann.“

Health Relations: Sollten Kliniken beim Recruiting neuer Mitarbeiter aktiv damit werben?

Reinhardt: Wenn Feedback in der Klinik aktiv gelebt wird: Unbedingt! Dann unterstützt die Botschaft nach außen „Wir legen Wert auf ein wertschätzendes Miteinander und fördern jeden Einzelnen“ das Klinikimage und hilft im Recruiting die richtigen Bewerber anzuziehen. Gerade für die Generation Y sind Employer-Branding-Portale wie Kununu relevant. Als „Feedbackgeneration“ setzen sie eine offene Dialogkultur voraus, fordern aktiv Feedback ein und wünschen sich das Arbeiten auf Augenhöhe. Mitarbeiter der Generation Y wollen Vorgesetzten sagen können, wenn ihnen etwas nicht passt. Kliniken mit einer offenen Feedbackkultur können hier durchaus punkten.

Denkbar ist auch, auf der eigenen Klinikwebsite Zitate von aktiven oder ehemaligen Mitarbeitenden und Patienten zu veröffentlichen – hier unbedingt darauf achten, dass es authentisch bleibt und auch kritische Stimmen zugelassen und veröffentlicht werden.

Silke Reinhardt © Avenue
Silke Reinhardt © Avenue

Silke Reinhardt ist Gesellschafterin bei der Avenue GmbH (www.avenue.de). Als systemische Beraterin und Coach begleitet sie Führungskräfte in Veränderungsprozessen. Ihre Schwerpunktthemen sind Change Management, Führungskräfteentwicklung, Kultur- und  Organisationsentwicklung, sowie die Formierung von Managementteams und das Einzelcoaching von Führungskräften. Kontakt: 030/26959-200.

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