Die Coaching-Branche wächst jährlich um 5 bis 10 Prozent, und auch in Kliniken werden inzwischen verschiedene Formen des Coaching angewandt. Eine Studie der Uni Marburg zeigt neue Entwicklungen auf.
Zwischen 30.000 und 50.000 Menschen gibt es in Deutschland, die in irgendeiner Weise coachen; Life-Coaches, Dress-Coaches oder Single-Coaches mitgerechnet. Aber auch, wenn man sich nur auf den Business-Bereich konzentriert, ist die Lage unübersichtlich. Es existieren mehr als ein Dutzend Coaching-Verbände in Deutschland, wie der Deutsche Bundesverband Coaching (DBVC), die International Coach Federation Deutschland (ICF) oder die European Coaching Association (ECA). Allerdings sind diese Verbände nicht in einem Dachverband organisiert. Es gibt keine einheitliche Zertifizierung, und de facto ist „Coach“ in Deutschland keine geschützte Berufsbezeichnung. Auch deshalb ist die absolute Zahl der Coaches so hoch.
Die Branche wächst
„Seit 2010 haben wir jährliche Wachstumsraten von fünf bis zehn Prozent, konservativ geschätzt.“
Prof. Dr. Michael Stephan ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg. Er beobachtet bereits seit vielen Jahren die berufsbezogene Coaching-Branche in Deutschland und ist Initiator der Marburger Coaching-Studie, einer quantitativen Erhebung zur Entwicklung des Business-Coaching in Deutschland. Stephan bescheinigt der Branche ein kontinuierliches Wachstum in der Vergangenheit: „Seit 2010 haben wir jährliche Wachstumsraten von fünf bis zehn Prozent, konservativ geschätzt. Der Markt wächst nicht boom-artig, wie es noch in den 2000ern der Fall war, aber er wächst immer noch stark an. Was viele Ursachen hat: Einerseits entdecken mehr und mehr Branchen das Coaching für sich. Ich habe auch zu vielen Kliniken Kontakt, und zwar nicht nur zu Kliniken in privater, sondern auch in öffentlicher Trägerschaft. Viele dieser Kliniken haben ein Coachingangebot. Bei den Untersuchungen zur 1. Marburger Studie im Jahr 2008 war die Gesundheitsbranche im Coachingbereich eigentlich noch gar nicht vertreten, mittlerweile hat sie stark aufgeholt. Coaching gehört hier inzwischen zum Standardrepertoire.“
Ob Assistenzarzt, Pfleger oder Chefarzt – jeder wird gecoacht
Dass Coaching auf den verschiedenen Ebenen eines Klinikums eingesetzt wird, zeigen verschiedene Angebote, die in den letzten Jahren entwickelt wurden. Das Düsseldorfer Unternehmen HealthCare Personalmanagement GmbH betreibt beispielsweise das Onboarding Coaching in der Klinik. Eine Personalberaterin coacht Chefärzte, -ärztinnen und andere Führungskräfte beim Antritt der neuen Stelle. Hintergrund ist hier, dass sich die Unternehmenskultur von Haus zu Haus unterscheidet und die professionelle Beratung den Einstieg in ein neues Umfeld erleichtern kann.
Das Coaching-Angebot für junge Ärztinnen des Freiburger Uniklinikums ist ebenfalls aus einer Bedarfssituation heraus entstanden. Gerade junge Ärztinnen hätten noch wenig Erfahrung im Umgang mit Kollegen und Chefs und trauen sich nicht, die vertraglich zugesicherte Zeit für die eigene fachliche Entwicklung einzufordern. Deshalb hat Dr. phil. Andrea Wittich, Psychologin und Supervisorin am Universitätsklinikum Freiburg, im Jahr 2010 eine kostenlose Supervision für Ärztinnen in der Facharztweiterbildung eingerichtet. Einmal im Monat treffen sich die jungen Ärztinnen, um über eigene Herausforderungen und Probleme zu sprechen. Weil sich nur Frauen für ein entsprechendes Angebot interessiert haben, richtet sich das Angebot nur an sie.
Und auch für Pfleger gibt es entsprechende Angebote. Von der Uniklinik Regensburg (UKR) wird das Projekt „Pflegende coachen Pflegende“ (BECI) umgesetzt. Pfleger und Pflegerinnen werden hier von erfahrenen Kollegen beraten, um persönliche und berufliche Potenziale auszuschöpfen. Damit soll dem vorzeitigen Berufsausstieg und der großen Fluktuation, die im Pflegeberuf vorhanden ist, entgegengewirkt werden.
Als Personalentwicklungsinstrument, so Prof. Stephan, ist Coaching ein wichtiger Faktor für die Mitarbeiterzufriedenheit und damit auch für den indirekten, ökonomischen Erfolg eines Unternehmen. Denn wenn die Mitarbeiterzufriedenheit steigt, wirtschafte auch ein Unternehmen profitabler. Dies würden verschiedene Studien belegen. Stephan merkt aber an: „Wenn Sie einen Geschäftsführer im Klinikum haben, der ein Controller ist, dann ist es sicherlich schwierig, eine Akzeptanz zu schaffen für dieses Format. Die Wirkmechanismen von Coaching auf harte Erfolgskennzahlen wie Umsatz oder Gewinn zurückzuführen, ist schwierig bis unmöglich.“
Fazit: Als Personalentwicklungsinstrument ist Coaching ein Format, das in den letzten Jahren immer stärker nachgefragt wird. Eine konkrete Kosten-Nutzen-Anlayse ist in der Praxis aber nicht möglich.
Prof. Dr. Michael Stephan ist Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Management an der Philipps-Universität Marburg und geschäftsführender Direktor des Instituts für Innovationsforschung und Gründungsförderung. In seinen Arbeiten beschäftigt er sich u. a. mit der ökonomischen Bewertung von Coaching in der Personalentwicklung. Michael Stephan ist Initiator und Leiter der Marburger Coaching-Studie und Autor von zahlreichen Fachbüchern und wissenschaftlichen Artikeln zum Thema.