„Darum bin ich Leiharzt“

1964
Jörg Schietke arbeitet seit Jahren als Leiharzt.
Jörg Schietke arbeitet seit Jahren als Leiharzt.

Die Beschäftigung von Leihärzten in deutschen Krankenhäusern nimmt zu. Die meisten Kliniken würden die Ärzte lieber fest anstellen, doch die Leihkräfte entscheiden sich oft ganz bewusst für diese Art der Anstellung. Health Relations hat bei dem Anästhesisten Jörg Schietke nachgefragt, was ihn an der Leiharbeit reizt.

Zu Beginn setzten viele Häuser auf Leiharbeit, um kurzfristige Personallücken zu überbrücken. Doch inzwischen arbeiten zahlreiche Kliniken langfristig mit der Beschäftigung von externen Fachkräften, weil sich anders die angespannte Personalsituation nicht bewältigen lässt. Hinzu kommen die seit dem 1. Januar geltenden Personaluntergrenzen, die sich oft nur schwer einhalten lassen.

Health Relations: Wie kamen Sie zu dem Entschluss, als Leiharzt zu arbeiten?

Jörg Schietke: Ich war vor knapp zehn Jahren in einer Situation, in der sich sowohl die medizinische als auch die kaufmännische Verantwortung für meinen Arbeitsplatz personell verändert hatte und ich mit einigen Änderungen haderte. Durch meine Tätigkeit als Mitarbeitervertreter hatte ich auch tiefere Einsicht in die wirtschaftlichen Belange. Ein Dauerbrenner für die Unzufriedenheit war auch die Urlaubsplanung. Anders als z.B. in Skandinavien versuchten in Deutschland offenbar alle Häuser, in den Ferienzeiten mit vollem Programm durchzuarbeiten. Entsprechend konnte man als Vater schulpflichtiger Kinder oft nicht seinen vollen Jahresurlaub in den Ferien nehmen. Oft genug machten einem dann aber die Patienten einen Strich durch die Rechnung und hatten keine Lust auf geplante Operationen in den Ferien.

„Heute bedeutet eine morgendliche Krankmeldung häufig den Totalausfall des OP-Programms eines Saales.“

Health Relations: Sie waren unzufrieden mit ihrer Arbeitssituation. Was passierte dann?

Da kam dann das Angebot, für die AnästhesieAgentur zu arbeiten. Mit meinem jetzigen Chef hatte ich in zwei verschiedenen Häusern zusammengearbeitet und wir hatten gemeinsam die Facharztprüfung absolviert. Er war später in Großbritannien und hat dort die „locum doctors“ (allgemeine Bezeichnung für Vertretungsärzte) kennengelernt und hier in Deutschland eine Vermittlungsagentur für Honorarärzte gegründet, für die ich schon einzelne Tage gearbeitet hatte. Er rief mich an und fragte ob ich Lust hätte, in einer neuzugründenden Leiharbeitsfirma zu arbeiten. Ich kannte ihn, ich hatte durch die Honorararzttätigkeit eine Vorstellung der Arbeitsweise und letztlich damals bereits die Sicherheit, jederzeit wieder in einer Klinik festangestellt werden zu können. Also sagte ich zu und bin nach über neun Jahren noch immer dabei.

Health Relations: Welche Vorteile haben Krankenhäuser, wenn sie Sie beschäftigen?

Jörg Schietke: In einer idealen Welt hätten Häuser den Vorteil, bei kurzfristigen Personalausfällen durch uns unterstützt zu werden, da gerade kleinere Häuser schlecht ausreichend Personal vorhalten können. An einem meiner vorherigen Häuser war es so, dass einige Oberärzte nicht fest im OP verplant waren. Sie waren frei für Supervision, Pausenablösung oder ähnliches. Wenn plötzlich ein Anästhesist ausfiel, konnte problemlos einer einspringen. Dann kamen die Arbeitszeitoptimierer und die Reserve fiel weg. Heute bedeutet eine morgendliche Krankmeldung häufig den Totalausfall des OP-Programms eines Saales. In der Realität sieht es mittlerweile aber auch so aus, dass wir für über einen Monat im Voraus eingeplant werden, da schon klar ist, dass das Personal nicht ausreicht.

Health Relations: Welche Erfahrungen haben Sie in den Krankenhäusern gemacht?

Jörg Schietke: Eigentlich fast nur positive. Bei einzelnen Diskrepanzen mit operativen oder anästhesiologischen Kollegen konnte ich später herausfinden, dass diese Kollegen mit ihren festangestellten Kollegen die gleichen Reibereien hatten, es also nicht an meiner Eigenschaft als Leiharzt lag.

„Es ist günstig, wenn man hausinterne Standards schriftlich oder elektronisch ausgehändigt bekommt.“

Health Relations: Welche Voraussetzungen brauchen Sie in den Krankenhäusern, damit Sie sich dort wohlfühlen und bestmöglich arbeiten können?

Jörg Schietke: Die Tätigkeit in der Anästhesie ist relativ standardisiert mit einer nicht allzu großen Auswahl an verschiedenen Medikamenten und Geräten. In diesem Rahmen gibt es Häuser, die einem weitgehend freie Hand lassen. Ansonsten ist es günstig, wenn man hausinterne Standards schriftlich oder elektronisch ausgehändigt bekommt, ebenso eine Telefonliste und ggf. ein Schnurlostelefon.

Angenehm ist es, wenn das gesamte Personal Namensschilder trägt. Das ist leider noch nicht selbstverständlich und im OP-Kasack lassen sich Reinigungskraft und Chefärztin nicht immer auseinanderhalten.

Health Relations: Können Sie sich vorstellen, sich wieder von einem Krankenhaus fest anstellen zu lassen?

Jörg Schietke: Ich glaube, mit zunehmender Dauer wird das immer schwieriger. Wenn ich in Frühbesprechungen sitze und mitbekomme, wie die alten Probleme immer wieder auftauchen…

Health Relations: Welche Probleme meinen Sie?

Jörg Schietke: Die deutsche Medizin steckt irgendwie in der Klemme zwischen Marktwirtschaft auf der einen und hohen moralischen und sozialen Ansprüchen auf der anderen Seite. Ich glaube, beides zusammen geht nicht. Ausgetragen wird das Ganze auf dem Rücken von Patienten und dem Personal, dem man je nach Bedarf vorwirft, die ökonomischen Erfordernisse oder aber die Interessen der Patienten zu verletzen.


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