Digitaler Wandel: Wo steht die Pharma- und Gesundheitsbranche?

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Der aktuelle „Digitale Branchenatlas“ belegt: Es gibt viel zu tun für die deutsche Pharmaindustrie.

Die Entwicklungen und Herausforderungen, die der digitale Wandel in der Gesundheitsbranche mit sich bringt, sind vielfältig bis radikal. Das betrifft auch die Arbeitsprozesse im Marketing. Dessen sind sich auch die Entscheider in der Pharma-Branche bewusst. Das zeigt die aktuelle Studie des d.velop Institutes. 1.143 deutsche Unternehmen aus zehn Branchen hat das Institut befragt und die Ergebnisse in dem jüngst erschienenen „Digitalen Branchenatlas“ zusammengefasst.

Das Ergebnis: In Sachen Digitalisierungs-Status liegt die Pharmabranche auf dem drittletzten Platz. Laut einer weiteren Studie von bitkom research zur Digitalisierung in der Pharma- und Medizinbranche fürchten 45 Prozent der Entscheidungsträger, dass neue Wettbewerber aus der Digitalbranche auf den Gesundheitsmarkt drängen werden. 69 Prozent sehen sich besonders durch innovative Start-ups bedroht. Das junge Unternehmen Tinnitracks beispielsweise hat gemeinsam mit dem Hamburger Start-up Sonormed ein Behandlungskonzept entwickelt, um den Tinnitus zu lindern. Die Wunschmusik des Patienten wird über die Webseite auf ihr Therapiepotenzial geprüft und die individuelle Tinnitus-Frequenz aus den Musikstücken herausgefiltert. Durch das Hören der bearbeiteten Musikstücke werden die überaktiven Nervenzellen im Hörzentrum gehemmt. Die wahrgenommene Lautstärke des subjektiven Tinnitus-Tons kann dadurch spürbar verringert werden. Nur eine von vielen guten Healthcare-Produkten, die auf High Tech und mobile Anwendungen setzen.

Health and Data: Verkannter Nutzen digitaler Marketingprozesse

Chancen erkannt, aber ein Change-Management wird nur mit angezogener Handbremse betrieben: Der Branche mangelt es an Budget und Investitionswillen, urteilt der Branchenatlas. Sie befindet sich derzeit in einer Beobachterrolle. Es fehlen vor allem die Strategien für einen Wandel. Mobility-Themen und digitales Marketing sind nahezu unbeachtete Themengebiete, so die Studie.

Konsumenten- und Patientendaten sind ein wesentlicher Faktor für strategisches Marketing.

Dabei ist „Health and Data“ ein großes Thema. Beispiel: Die Firma Google Ventures investiert große Summen in diesen Bereich, auch in Start-ups. Immerhin flossen 2014 rund 36 Prozent des Gesamtinvests von 400 Millionen Dollar in den Bereich Biowissenschaften und Gesundheit, 24 Prozent davon in den Sektor Data. Konsumenten- und Patientendaten sind ein wesentlicher Faktor für strategisches Marketing. Denn: Wer seine Kunden kennt, der weiß, welche medizinischen Dienstleistungen oder Medikamente sie benötigen. Big Data ermöglicht eine genaue Analyse der Zielgruppe. Die Erkenntnisse über den Kunden, die mit Tools wie Google Analytics gewonnen werden, fließen zurück in den Produktions- und Optimierungsprozess und die Kundenbindung.

Mehr Möglichkeiten bedeuten mehr Player auf dem Healthcare-Markt

Mit neuen, digitalen Produkten und medizinischen Innovationsideen steigt die Anzahl der Player, die sich auf dem Markt tummeln. Das gilt für Pharmaunternehmen, für Kliniken und für Praxen. Was müssen Unternehmen jetzt beachten, um auch in Zukunft mitspielen zu können? Sie müssen sich im digitalen Dialog mit dem Patienten behaupten, interagieren und Kundenbedürfnisse analysieren.

Patienten werden eine immer aktivere Rolle im Gesundheitssystem einnehmen.

  • Die Interaktion mit dem Kunden wird immer wichtiger. Strategisches
    Engagement Marketing sorgt für eine nachhaltige Kundenbindung. Apps, Wearables und Online Communities ermöglichen das Sammeln von wertvollen Kundendaten und bieten ein hohes Engagement Potential. Beispiel: Der Paketdienstleister DPD bietet einen Infoservice auf der Apple Watch an. Der Kunde hat die Möglichkeit, den Paketstatus direkt auf der Smartwatch abzurufen. Er kann alle Einstellungen selbst konfigurieren, hat die Entscheidung, welche Art von Nachrichten er in welcher Frequenz angezeigt bekommt. Die Privatsphäre des Kunden wird gewahrt, gleichzeitig erfährt das Unternehmen, wie der Kunde tickt. Eine Win-Win-Situation.
  • Stichwort Patienten Empowerment: Patienten werden eine immer aktivere Rolle im Gesundheitssystem einnehmen. Schon jetzt bewerten sie medizinische Präparate und Therapien im Internet. Diese einzubinden und mit ihnen einen digitalen Dialog zu starten, ist die Basis für Datenerhebungen und eine Überprüfung und Optimierung des eigenen Produkts. Ein Beispiel aus dem KFZ-Business: Der Anbieter mobile.de startete im August 2014 unter seinen Usern die Umfrage mit dem Titel „Five cars to drive before you die“. Die Ergebnisse wurden nach Region und nach soziodemographischen Kriterien klassifiziert. Die meisten Männer wünschen sich einen Audi R8 oder Ford Mustang, die meisten Frauen hingegen einen Mini oder Golf. Das schaffte es sogar auf die erste Seite der BILD – und mobile.de erfährt mehr über die Wünsche seiner Kunden.
  • Die Definition der Customer Journey ermöglicht die Formulierung zusätzlicher Services (Value beyond the Bill). Das kann für OTC-Pharmaprodukte eine Rolle spielen. Beispiel: Wenn ich weiß, dass mein Kunde an Heuschnupfen leidet, warum ihn nicht zum Frühjahr mit einem auf ihn zugeschnittenen Angebot an Heuschnupfenpräparaten per e-Newsletter begeistern? Und wer schnell bestellt, erhält einen Vorrat an Taschentüchern als Beigabe.
  • Content is King. In Sachen Kommunikation mit dem Kunden geht es um Inhalte: Weg von klassisch plakativer Werbung hin zum Content.

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