Fachkräftemangel: „Die Lage wird sich verschlechtern, bevor sie sich entspannt“

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KMPG Axel Bindewalt
© Axel Bindewalt, Head of Healthcare, Partner bei KPMG © KPMG

Immer mehr Krankenhäuser geben Geld für Consulting-Leistungen aus, um Fachkräfte zugewinnen. KMPG-Partner Axel Bindewalt spricht im Interview darüber, wie Beratungsunternehmen helfen können.

Rund 140 Millionen Euro haben Healthcare-Unternehmen im Jahr 2017 ausgegeben, um Unterstützung bei der Personalsuche durch Personalberater zu erhalten (Quelle: Bundesverband Deutscher Unternehmensberater BDU e.V.). Axel Bindewalt, Partner Advisory, Head of Healthcare bei der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, berichtet im Interview mit Health Relations, warum sich Kliniken an sein Unternehmen wenden und welche Maßnahmen bei den Problemen gegriffen haben.

Health Relations: Welche Rolle spielt Personal Consulting in den
Krankenhäusern?

Axel Bindewalt: Die Beratung zum Thema Personal spielte in der jüngsten Vergangenheit eher eine untergeordnete Rolle. Überwiegend ging es hier um Themen der Personalrestrukturierung oder der ad-hoc Umsetzung neuer, auch gesetzlicher, Anforderungen. Es ging weniger um Personalentwicklung oder Personalbeschaffungsmaßnahmen. Durch die Einführung der Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung (PpUGV) in Verbindung mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) hat das Thema Personal wieder Fahrt aufgenommen. Durch den hinzukommenden Fachkräftemangel erhöht sich die Brisanz des Themas Tag für Tag.

„Die meisten Krankenhäuser haben Schwierigkeiten, ihren Mitarbeitern einen attraktiven Arbeitsplatz zu bieten.“

Health Relations: Was sind die größten Probleme der Kliniken beim Thema Personal?

Axel Bindewalt: Die größten Herausforderungen für Kliniken in puncto Personal sind der Fachkräftemangel und das Change Management. Bedingt durch die demografische Entwicklung und regulatorische Faktoren entsteht ein steigender Bedarf an qualifiziertem Personal. Seit dem 1. Januar 2019 gelten in vier pflegesensitiven Krankenhausbereichen die Pflegepersonal-Untergrenzen. Um diese zu erfüllen, müssen Krankenhäuser und stationäre Pflegeeinrichtungen neues Pflegepersonal einstellen. Es werden gemäß PpSG 13.000 Pflegestellen in der Altenpflege und jede zusätzliche Pflegestelle im Krankenhaus durch die Krankenkassen finanziert. Das grundlegende Problem des Fachkräftemangels wird dadurch aber nicht gelöst.

Health Relations: Wo liegen denn die meisten Schwierigkeiten?

Die meisten Krankenhäuser haben Schwierigkeiten, ihren Mitarbeitern einen attraktiven Arbeitsplatz zu bieten. Diese Schwierigkeiten sind einerseits bedingt durch knappe Mittel, andererseits durch festgefahrene, historisch gewachsene Organisationsstrukturen und steile Hierarchien. In vielen Krankenhäusern kommt es zur Silo-Bildung. Dabei werden Abteilungsziele den Unternehmenszielen vorangestellt, Prozesse außerhalb des eigenen Bereiches werden nicht beachtet oder sind nicht bekannt.

Health Relations: Was ist der erste Schritt, wenn man etwas ändern will?

Sobald man etwas daran ändern möchte, ist ein gut geplantes Change Management vonnöten. Ein gutes Beispiel ist hier das Change Management im Hinblick auf Digitalisierung im Krankenhaus. Hier fehlt Krankenhäusern neben Investitionsmitteln, oftmals auch die fachliche Expertise. Digitalisierung wird häufig nicht als organisationsübergreifende Aufgabe wahrgenommen und an die IT- Abteilung abgeschoben, die mit der umfangreichen Projektorganisation und dem damit einhergehenden Change Management überfordert ist. Digitalisierung wird oft als Mehrarbeit anstelle von Arbeitserleichterung verstanden und stößt damit auf eine allgemeine Abwehrhaltung beim Personal.

„Unsere Unterstützung reicht von einer Analyse einer bedarfsgerechten Personalausstattung bis hin zu den passenden Strategien zur Mitarbeitergewinnung, -entwicklung und -bindung.“

Health Relations: Wie haben die Kliniken diese Probleme mit Ihrer Hilfe in den Griff bekommen?

Axel Bindewalt: Wir bieten Krankenhäusern in vielerlei Hinsicht eine individuelle Unterstützung. Diese Unterstützung reicht von einer Analyse einer bedarfsgerechten Personalausstattung bis hin zu den für sie passenden Strategien zur Mitarbeitergewinnung, -entwicklung und -bindung. Von kleinen Häusern wird vermehrt Hilfe für einen effektiven Personaleinsatz angefordert. In dieser Hinsicht helfen wir bei Überlegungen zu Mitarbeiterpools, Servicepools oder anderen Lösungen, die sich gut im Verbund bzw. gemeinsam mit anderen Häusern in der Umgebung angehen lassen. Es schlummern immer noch viele Synergieeffekte im Verborgenen, die sich schnell umsetzen lassen. Ebenso unterstützen wir häufig Digitalisierungsthemen, die einen großen Mitarbeitereinbezug fordern. Dabei ist sehr wichtig, bereits von Anfang an, die entsprechenden, betroffenen Mitarbeitergruppen einzubeziehen und gemeinsam an Prozessen zu arbeiten.

Health Relations: Haben die Kliniken, die Sie beraten, in ihrer grundsätzlichen Herangehensweise in Bezug auf Personalsuche und -management etwas geändert?

Axel Bindewalt: Die Gesundheitseinrichtungen verstehen mehr und mehr, dass ausreichendes und geeignetes Personal zu kritischen Erfolgsfaktoren werden. Konsequenterweise arbeiten sehr viele an ihrer Arbeitgeberattraktivität. Insbesondere kleineren Krankenhäusern ist es aber beispielsweise nicht möglich, Personal mit einer besonderen Vergütung zu locken. Hier müssen alternative Anreize für das Personal geschaffen werden. Flexible Arbeitszeitmodelle können sich positiv auf die Auswahlentscheidung des Arbeitsplatzes auswirken. Mittels  Personalrotation im Verbund oder zwischen Kooperationspartnern können sich Kliniken als attraktive Arbeitgeber positionieren. Einige Ausbildungsschulen haben vorzeigbare Modelle entwickelt, bei denen die Auszubildenden zwischen mehreren Häusern wählen können und unterschiedliche Praxiseinsätze bzw. Rotationen denkbar sind. Andere Kliniken arbeiten an der Etablierung einer starken Unternehmenskultur und wollen damit den Aufbau einer langfristig stabilen und agilen Personalstruktur fördern. Wichtig zu wissen ist hierbei aber, dass die gewünschte Unternehmenskultur nicht einfach im Unternehmensleitbild verankert sein sollte, sondern sich bestenfalls auch in der gesamten Governance-Struktur widerspiegelt.

„Es ist abzuwarten, wie schnell den Kliniken hier, auch finanzielle, Hilfe an die Seite gestellt wird.“

Health Relations: Wird sich die Lage noch verschärfen?

Axel Bindewalt: Davon ist auszugehen! Insbesondere aufgrund der aktuellen regulatorischen Eingriffe im Rahmen der Pflegepersonal-Untergrenzen wird sich die Lage voraussichtlich erstmal verschlechtern, bevor sie sich entspannt. Es ist hier abzuwarten, wie schnell den Kliniken hier, auch finanzielle, Hilfe an die Seite gestellt wird.

Health Relations: Was glauben Sie, wie lange wird das Thema Fachkräftemangel für die Kliniken noch ein Problem sein?

Axel Bindewalt: Personalrekrutierung und -entwicklung sind Themen, mit denen sich Krankenhäuser dauerhaft beschäftigen sollten. Der akute Fachkräftemangel wird nicht von einem auf das andere Jahr zu lösen sein. Es bedarf hier einigen grundlegenden Veränderungen der Rahmenbedingungen, um eine langfristige Lösung des Problems zu erreichen. Insbesondere ist hier die Politik gefordert. Was oft vergessen wird: Wenn man solche Probleme jetzt angeht, wird es wieder mehrere Jahre dauern bis die nächste Generation der Fachkräfte geschult und ausgebildet ist. Auch neue digitale Prozesse, die die Arbeitsabläufe vereinfachen werden, brauchen ihre Zeit, um implementiert zu werden und sich letztlich eine Gewohnheit ihrer Nutzung einstellt.

Health Relations: Was müsste Ihrer Meinung nach in naher Zukunft passieren, damit sich die Lage entspannt?

Axel Bindewalt: Eine Neustrukturierung der Ausbildung, der Bezahlung und der Aufgabenfelder der Kranken- und Pflegeberufe sind gute Ansatzpunkte. Als Beispiel kann das Stufenmodell der Ausbildung in der Pflege in den USA genannt werden. Eine voll ausgebildete „Registered Nurse“ hat dort ein deutlich weiter gefasstes Aufgabengebiet und mehr Befugnisse. Bei dem sogenannten „Physician Assistant“ reicht das Aufgabenspektrum sogar noch weiter. Der Arzt überträgt dem Physician Assistant delegierbare Aufgaben und wird so für seine Kernaufgaben entlastet und unterstützt. Durch solche Stufenmodelle kommt es zur Entlastung und Entzerrung einzelner Funktionen im Krankenhaus. Erste Ansätze einer Neustrukturierung der Berufe sind in Deutschland auch zu erkennen. Immer mehr Hochschulen erweitern ihr Studienspektrum. Nichtsdestotrotz bleibt abzuwarten, wie diese neuen Studiengänge angenommen werden und ob sich in Deutschland auch ein angemessenes, dahinterliegendes Vergütungssystem entwickelt.


Axel Bindewalt ist Partner im Bereich Public Sector Consulting von KPMG und berät Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft. Er ist dieser Branche schon lange verbunden und blickt auf langjährige Erfahrungen in den Bereichen Großprojektsteuerung, Organisationsanalyse und -beratung, IT-Strategie und Prozessberatung, insbesondere bei Sozialversicherungen zurück.

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