Erfolgsrezept gegen Fachkräftemangel in der Pflege? Vivantes bildet Flüchtlinge aus

1041

Flüchtlinge für Pflegeberufe zu qualifizieren, ist eine kluge Idee. Sie kann helfen, den Fachkräftemangel zu verringern. Für den Erfolg muss eine Klinik allerdings viele Weichen stellen. Wie das gelingt, zeigt ein Pilotprojekt des Klinikkonzerns Vivantes.

Der Berliner Krankenhauskonzern Vivantes hat vor knapp einem Jahr das Projekt „Geflüchtete werden Mitarbeiter“ ins Leben gerufen. In vielen Teilprojekten werden Flüchtlinge für verschiedene Tätigkeiten im Konzern qualifiziert. Eine humanitäre Geste? Durchaus. Aber auch ein Konzept, um dem Fachkräftemangel in der Pflege entgegenzuwirken.

„Das ist eine Win-Win-Situation“, sagt Ulrich Söding, der das Institut für berufliche Bildung im Gesundheitswesen (IbBG) leitet, eines der Ausbildungsinstitute von Vivantes. Die Flüchtlinge erhalten eine berufliche Perspektive mit sehr guten Aussichten und die Klinik hochmotivierte Arbeitskräfte in einem gesuchten Beruf. Der kulturelle Background der Migranten ist zudem bei der Kommunikation mit ausländischen Patienten von Vorteil.

„Die Flüchtlinge zeichnen sich durch eine sehr hohe Motivation aus.“Bei Vivantes können Interessierte zwischen sechs Ausbildungsgängen wählen – von der Kranken- oder Altenpflegeausbildung über die Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten bis zum Operationstechnischen Assistenten. Wer die Anforderungen für den Zugang zu einer dreijährigen Pflegefachausbildung nicht mitbringt, kann über den zweijährigen Ausbildungsgang Sozialassistenz Pflege einen staatlich anerkannten Berufsabschluss erwerben.

Söding © Vivantes
Ulrich Söding © Vivantes

„Die Flüchtlinge, die zu uns in die Qualifizierungsmaßnahme kommen, zeichnen sich durch eine sehr hohe Motivation aus. Wir versuchen, das mit begleitenden Maßnahmen zu unterstützen und den Erfolg sicherzustellen“, so Söding.

Alle Ausbildungsgänge stehen Geflüchteten offen. Von den jährlich insgesamt rund 250 Neuanfängern haben rund 30 Prozent einen Migrationshintergrund  dieser Anteil ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen: teils Flüchtlinge, teils Menschen mit Migrationshintergrund, die in Deutschland sozialisiert wurden. Auch um die Geflüchteten nicht zu stigmatisieren, unterscheidet Vivantes hier nicht.

Mit Pflegebasiskursen Flüchtlinge qualifizieren

Vivantes IbBG
© Vivantes/ Monique Wuestenhagen

Wer als Klinik überlegt, Flüchtlinge auszubilden, muss zunächst grundlegende Weichen stellen. In der Regel können Flüchtlinge aufgrund der Sprachbarriere nicht direkt in eine klassische dreijährige Fachausbildung einsteigen. Vivantes bietet Interessierten zum Jahresende erstmals einen neunmonatigen Pflegebasiskurs mit integriertem Deutschkurs an. Hier lernen die Teilnehmer unterschiedlicher Nationalitäten in Theorie und durch Praktika in Kliniken oder Pflegeheimen die Basics: Menschen Hilfestellung bei der Bewegung, Nahrungsaufnahme und Körperpflege geben. „Die Körperpflege der Kranken ist etwa im arabischen Sprachraum Aufgabe der Familienangehörigen. Bei uns gehört es zur Profession. Es ist wichtig, ausbildungsinteressierte Flüchtlinge auf solche kulturellen Unterschiede vorzubereiten, sonst könnte das zum Abbruch führen“, sagt Söding. Bei entsprechender Nachfrage findet 2017 ein weiterer Pflegebasiskurs statt.

Vivantes überarbeitet zurzeit die Lehrpläne und baut Sprachförderung und klassischen Förderunterricht beim Erlernen des Lehrstoffes in die Curricula der dreijährigen Ausbildungen ein. Davon profitieren Flüchtlinge, aber auch leistungsschwächere Schüler mit und ohne Migrationshintergrund.

Stimmt die Grundhaltung, nimmt Vivantes auch Flüchtlinge in Qualifizierungs-Programme auf, deren Aufenthaltsstatus noch nicht final geklärt ist.

Die meisten Auszubildenden unter den Flüchtlingen sind weiblich. Gerne würde Vivantes hier den Anteil männlicher Teilnehmer erhöhen. „Aber Geschlecht oder Alter spielen bei der Auswahl keine Rolle, entscheidend ist die Grundhaltung.“ Stimmt sie, nimmt Vivantes auch Flüchtlinge in Qualifizierungsprogramme auf, deren Aufenthaltsstatus noch nicht final geklärt ist. „Bisher haben wir nur gute Erfahrungen gemacht. Wenn sich zeigt, dass sich der Teilnehmer erfolgreich entwickelt, sind auch die behördlichen Grenzen so weit gefasst worden, dass er ohne permanente Präsenz auf der Ausländerbehörde die Ausbildung absolvieren kann.“

Netzwerke helfen beim Recruiting

Institut für berufliche Bildung im Gesundheitswesen © Vivantes
Institut für berufliche Bildung im Gesundheitswesen © Vivantes

Beim Recruiting der Flüchtlinge kooperiert Vivantes seit Jahren mit verschiedenen Partnern. Das Netzwerk ist ein wichtiger Teil des Erfolgs. Auch kleinere Kliniken, die Flüchtlinge für Pflegetätigkeiten qualifizieren möchten, sollten sich Partner suchen, die in das Recruiting einbezogen werden. Das Zentrum Überleben, einer der Kooperationspartner, hat Erfahrung in der Arbeit mit traumatisierten Menschen. „Den Flüchtlingen psychotherapeutische Unterstützung zu gewährleisten ist wichtig, damit ein nicht verarbeitetes Trauma später nicht der Arbeit im Wege steht. Diese Kombination aus Flüchtlingsbetreuung mit erster beruflicher Orientierung ist sehr erfolgsversprechend“, sagt Söding, der viele Auszubildende über die Partnerorganisationen rekrutiert hat.

Wer Flüchtlinge als Mitarbeiter in einem Krankenhaus einbinden möchte, profitiert davon, sich auch jenseits des Lernstoffs um sie zu kümmern. Vivantes hat in diesem Jahr ein Mentoring-Programm auf den Weg gebracht. Ziel es ist, Ausbildungsabbrüche zu vermeiden. Nicht immer sind Lehrer und Ausbilder die richtigen Ansprechpartner bei Sorgen und Nöten. Wie intensiv der Kontakt gestaltet wird, hängt vom Einzelnen ab. Die Mentoren sind Mitarbeiter aus allen Konzernbereichen.

Qualifikation von Flüchtlingen und Lehrpersonal

Nicht zuletzt hat Vivantes die Erfahrung gemacht: Es genügt nicht, die Flüchtlinge zu qualifizieren, auch um die Ausbilder und Lehrkräfte muss man sich kümmern. „Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass jeder begeistert ist und die Integration der Flüchtlinge automatisch tatkräftig unterstützt. Um den Ausbildungserfolg sicherzustellen, genügt es nicht nur, die Flüchtlinge zu unterstützen. Man muss auf Seiten der Ausbildenden erfolgsversprechende Rahmenbedingungen schaffen“, sagt Söding. Mit Diversity Trainings für Mitarbeiter werden diese für den Umgang mit Verschiedenartigkeit sensibilisiert. „Durch die Trainings werden Unsicherheiten und Vorbehalte abgebaut und Vielfalt als Gewinn erlebbar gemacht.“

(Titelbild: © fotolia/ Frank Gärtner)

Mehr zum Thema: Corporate Social Responsibility in Unternehmen

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein