So verändert KI den Market Access

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KI
Bestimmte Jobs werden sich durch die Technik verändern und langweilige und zeitaufwändige, jedoch sich wiederholende Aufgaben überflüssig werden. © sabida/ Adobe Stock
Um das Zulassungsverfahren für neue Medikamente zu erleichtern, hat Tobias Gantner, Geschäftsführer der HealthCare Futurists, zusammen mit Pharmaunternehmen eine KI entwickelt, die im Bereich des Marktzugangs für pharmazeutische Produkte zum Einsatz kommt.

Werden neue Medikamente eingeführt, greift das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG), das eine eingehende Nutzenbewertungsprüfung voraussetzt. Diese Verfahren sind mit großem Aufwand verbunden, denn es muss u.a. umfangreiches Dossier zum Nachweis des Zusatznutzens gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie erstellt werden. Während des Verfahrens entstehen viele Dokumente (diverse Protokolle z. B. von Anhörungen, das AMNOG Dossier und der G-BA-Beschluss), die nach Abschluss des Verfahrens öffentlich zugänglich auf Servern des G-BA liegen.

Dr. Tobias Gantner, Geschäftsführer der HealthCare Futurists und unter anderem Gründer der telemedizinischen Ohnearztpraxen, war selbst früher als Leiter einer Market Access Abteilung in der Pharmabranche tätig und erinnert sich gut an die Herausforderungen, die sich für den Market Access in Bezug auf die Nutzenbewertungsprüfung stellen: „Für die Zulassung müssen umfängliche Dossiers erstellt werden, die viel Wissen voraussetzen.“ Früher waren damit mehrere Personen aus dem Market Access beschäftigt, diese Unterlagen zusammenzustellen. Die zu erstellenden Dossiers wurden in der Regel aufgrund von vorherigen Erfahrungswerten der Mitarbeitenden erarbeitet. Dabei ging es vor allem darum, wie der Zusatznutzen nachweisbar ist.

„Ein schlechter Market Access Manager trainiert die KI falsch. Trainieren viele Market Access Manager die KI, sinkt die Fehlerquote.“

Eine wichtige Datenquelle konnte früher nicht oder nur unzureichend genutzt werden. Denn auf den Servern des GB-A liegen frei zugänglich eine große Menge an Informationen zu vergangenen Nutzenbewertungsverfahren. Ausgewertet und richtig analysiert, ließen sich daraus für Pharmafirmen wertvolle Informationen gewinnen. Die vorhandenen Datenmengen sind allerdings so groß, dass sie nicht mehr von Menschen analysiert werden können – von einer KI aber schon. „Die Idee kam mir schon vor zehn Jahren“ berichtet Gantner. Damals stellte er die Idee bei der Deutschen Fachgesellschaft für Market Access vor. 2019 stieg der Pharmakonzern Roche aktiv mit einem Projekt ein.

Mit der KI ganze Texte strukturieren

Neu an der von ihm und seinem Team entwickelten KI war, dass diese nicht nur Zahlen, sondern ganze Texte im Rahmen des Supervised Learnings strukturieren konnte. In der Folge war es möglich, eine Maschine darauf zu trainieren, aus Textversatzstücken, neue sinnvolle Texte zu generieren. Seit ChatGPT ist diese Technik in aller Munde – doch vor vier Jahren war das noch nicht der Fall.

Roche: MAKI Market Access KI
2019 wurde das Projekt „MAKI Market Access KI“ bei Roche als Test gelaunched, um zu sehen, ob der Einsatz der KI zu dem zuvor beschriebenen Zweck überhaupt möglich ist. „Damals wurde es noch als Orchideen-Projekt gesehen“, erinnert sich Gantner. Wäre das Projekt gescheitert, hätte Roche daraus trotzdem viel für das Supervised Learning und das Training von Maschinen lernen können, so der Mediziner. Bei MAKI ging es im Wesentlichen darum, die KI auf das Erkennen bestimmter Muster in den Dossiers zu trainieren. Damit sind zunächst viele Personen beschäftigt. Dafür ist ein großer Einsatz von personellen Ressourcen notwendig, denn dieser hilft dabei, die KI zu verbessern. Sie entwickelt weniger Bias, also Vorurteile, je mehr Personen diese trainieren. „Ein schlechter Market Access Manager trainiert die KI falsch. Trainieren viele Market Access Manager die KI, sinkt die Fehlerquote“, erklärt Gantner. Für Roche ergab sich durch MAKI ein Wissensvorsprung, denn als ChatGPT auf der Bildfläche erschien, war der Konzern bereits vorbereitet.

Tobias Gantner betont, dass die KI keine Aussagen über das Pricing, sondern nur über die Höhe des Zusatznutzens im Rahmen des Nutzenbewertungsverfahrens treffen kann. „Ich wollte den Unternehmen ein Werkzeug an die Hand geben, anhand dessen sie entscheiden können, ob sie mit der gegenwärtigen Studienlage zufrieden sind oder weitere Studien aufsetzen“, so Gantner. Mit der KI sei es gelungen, den Gesamtkorpus der an Market-Access relevanten Entscheidungen, die auf den G-BA-Servern liegen, zu kartografieren und damit als strategisches Werkzeug zugänglich zu machen.

Aus Erfolg und Fails lernen

In der Folge versuchten Gantner und sein Team, Investitionsgelder zu beschaffen. Das gestaltete sich allerdings schwierig, weil der Großteil des Geldes für Personal ausgegeben werden musste, das dann aber auch nur für eine begrenzte Zeit gebraucht wurde – nämlich für das Training der KI. Gantner erklärt: „Die KI kann auf standardisierten Webservern laufen und verursacht somit keine großen Kosten. Wir brauchten aber kluge Köpfe aus dem Market Access, die quasi ihr gesamten Wissen in die KI steckten, indem sie diese, wie Fußballtrainer einen Verein, trainierten. Als das passiert war, brauchten wir das Personal für diese Aufgabe nicht mehr.“  Das, so Gantner, sei aber auch eine Herausforderung der KI, nämlich dass bestimmte Jobs durch die Technik sich verändern und langweilige und zeitaufwändige, jedoch sich wiederholende Aufgaben überflüssig werden, sobald diese erst einmal gut genug funktioniert.

„Wir brauchten kluge Köpfe aus dem Market Access, die ihr gesamten Wissen in die KI steckten, indem sie diese, wie Fußballtrainer einen Verein, trainierten. Als das passiert war, brauchTen wir das Personal für diese Aufgabe nicht mehr.“

Um die KI auch nach dem Projekt mit Roche weiterzuentwickeln, beschloss Gantner, sich an andere Pharmaunternehmen zu wenden und diese wegen einer Zusammenarbeit anzufragen. Für einen großen Konzern aus der Branche sollte die KI sollte sehr spezifischen Fragestellungen nachgehen, die zum Teil auch die Grenzen des Systems aufzeigten. Der Medizinunternehmer nennt ein Beispiel für eine Fragestellung, die nicht beantwortet werden konnte: „Wir haben festgestellt, dass wir die Frage, ob es besser ist, von Anfang an für den Nutzenwirknachweis Subgruppen zu erstellen, nicht eindeutig beantworten können, denn dafür reichte zu dem Zeitpunkt die Datenlage, d. h. die Menge an Fällen nicht aus, um daraus ein aussagekräftiges statistisches Modell zu machen“, erinnert sich der IT-Experte. Grundsätzlich lernen die Pharmaunternehmen auch aus Fails und Fragestellungen, die aufzeigen, was die Technik nicht oder noch nicht leisten kann.

Fazit

KI hat viele spannende Einsatzmöglichkeiten und grundsätzlich sind dem keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist, dass die Pharmaunternehmen offen für Experimente bleiben und keine Angst vor der neuen Technik haben. Es ist allerdings auch ein Muss, sich über ethische Fragen Gedanken zu machen und die Grenzen dessen, was sie leisten kann und soll, auszuloten.

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