Christoph Brabandt, BI X: „Wir arbeiten zunächst vor allem problemorientiert“

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Porträt vonChristoph Brabandt. Im Interview spricht er über BI X
Christoph Brabandt ist seit rund 17 Jahren bei Boehringer Ingelheim tätig. Seit acht Jahren konzentriert er sich auf digitale Themen und Use Cases, seit 2017 begleitet er das BI X, das Digital Lab von Boehringer Ingelheim. Er leitet das Team Ideation und Scouting, indem es darum geht, neue Ideen aufzusammeln, sei es, um innerhalb des Konzerns lösbare Probleme zu identifizieren, oder um neue Technologien und potenzielle Partner zu identifizieren. © Boehringer Ingelheim
Wie bauen Pharmaunternehmen Innovationsnetzwerke auf und welche Rolle spielen HCPs dabei? Christoph Brabandt, Team-Leader Ideation und Scouting bei BI X,  dem Digitallabor von Boehringer Ingelheim, gibt Beispiele.

Das lesen Sie in diesem Interview:

Health Relations: Die Weconomy Days liegen gerade hinter Ihnen. Sie sind Teil eines Mentorings-Programms, das Boehringer Ingelheim als Partner unterstützt. Zwei Tage hatten Sie die teilnehmenden Start-ups zu Gast. Wie fühlen Sie sich heute?

Christoph Brabandt: Ich freue mich, dass sie zum ersten Mal bei Boehringer auf dem Campus in Ingelheim stattgefunden haben. Ich finde die Weconomy Days immer wieder spannend,  weil sie einen Blick über den Tellerrand ermöglichen. Wir hatten Partner aus anderen Unternehmen und Branchen zu Gast, mit denen wir uns austauschen konnten. Das hilft mir, Dinge zu hinterfragen. Daraus ergeben sich immer sehr gute Gespräche. Im Mittelpunkt stand das Thema Wachstum.

„Intern muss man die Stakeholder und Schlüsselrollen in den Digitalteams kennen. Aber das Wichtigste ist eigentlich, das informelle Netzwerk darunter aufzubauen.“

Health Relations: Welche Fragen und Themen wurden dort am meisten diskutiert?

Christoph Brabandt: Es gab viele Fragen. Zum Beispiel: Was machen wir, wenn wir im Team wachsen? Wann merken wir, dass es im Star-up vielleicht knirscht? Wann müssen wir uns vielleicht auch neu aufstellen und wie? BI X hat hier wertvolle Erfahrungen gemacht und kann diese teilen. Aus Corporate-Sicht können wir zudem weitere Fragen gut beantworten: Wie gewinne  ich neue Kunden? Wie erschließe ich neue Märkte, wie priorisiere ich Anfragen?

Health Relations: Stichwort Corporate-View: Das BI X arbeitet als agiles System innerhalb von Boehringer Ingelheim, oder?

Christoph Brabandt:  Ja, innerhalb des Konzerns sind wir ähnlich wie ein Start-up aufgestellt.Das heißt, wir sind von Anfang an so aufgestellt, dass wir flexibler arbeiten. Dass wir an Produkten arbeiten, die Produkte übergeben, dann die Teams neu formieren, passend zum nächsten Produkt. Wir gehen also mit dem Produkt und in die Business-Funktionen hinein. Wir holen uns  Leute aus dem Konzern in die Produktteams, die uns unterstützen und die Subject-Matter-Expertise mitbringen. Medizinisches Know-how, Prozess-Know-how, je nachdem, was wir brauchen und was uns im BI X  fehlt. Denn unser Job ist es, die technische Expertise einzubringen.

Was ist das BI X Labor?
BI X, das digitale Labor von Boehringer Ingelheim, entwickelt seit 2017 innovative digitale Produkte und Dienstleistungen. Das kann für den den eigenen Konzern, aber auch als Dienstleister für Partner geschehen, zum Beispiel in Form von Scouting Missions über Accelerator Programs und Co-Development bis hin zu strategischen Partnerschaften und Kundenbeziehungen. Das Labor beschäftigt um die 90 Mitarbeitende an zwei Standorten (Ingelheim und Shanghai.

Health Relations: Das klingt sehr lösungsorientiert. Und es klingt, als hätte das Ganze eine gewisse Geschwindigkeit.

Christoph Brabandt: Wir arbeiten zunächst vor allem problemorientiert. Wir verbringen am Anfang viel Zeit damit, herauszufinden, was genau das Problem ist, das wir lösen oder optimieren können. Erst danach machen wir uns auf die Suche nach einer möglichen digitalen Lösung.

Health Relations: Wie lange dauert ein Entwicklungszyklus in der Regel?

Christoph Brabandt:  Unser Ziel ist es, innerhalb von zehn bis maximal zwölf Monaten, eine vorläufige digitale Lösung oder einen Prototypen zu entwickeln, der BI X verlässt. Das Ganze gliedert sich in verschiedene Phasen. Es beginnt mit der Ideation, das ist ganz am Anfang des Zyklus, wo wir die Idee überhaupt sammeln. Dann beginnt der Discovery-Prozess. In dieser Phase tauchen wir tiefer in das Problem ein. Wie sieht der Markt aus? Wie sieht der User aus? Wir stellen verschiedene Hypothesen auf. Diese werden vor allem durch Interviews, aber auch durch Software getestet. Dann kommt die Umsetzung, die mit einem Piloten endet. Schlussendlich übergeben wir das bis dahin entwickelte Produkt an unsere IT, an unsere Business-Funktion, an den Konzern, wo es weiter wachsen muss. Das heißt: Wir haben einen Piloten, wir haben ihn getestet, wir haben Test-User darauf, wir haben Know-how generiert, wir haben eine Vision dahinter, wie es funktionieren soll, aber damit ist das Produkt noch nicht fertig. Die Skalierung erfolgt dann in der entsprechenden Business Unit und der IT.

Health Relations: Das Ganze lebt von der Vernetzung innerhalb und außerhalb des Unternehmens. Wie baut man Innovationsnetzwerke auf, wie Sie sie nutzen?

Christoph Brabandt: Ich glaube nicht, dass es dafür kein Patentrezept gibt. Intern muss man die Stakeholder und Schlüsselrollen in den Digitalteams kennen. Aber das Wichtigste ist eigentlich, das informelle Netzwerk darunter aufzubauen. Das sind die Leute, die wirklich die Probleme kennen und die Ideen haben, wie man sie lösen könnte. Das geht über Hörensagen, über Weiterleiten, über Mails. Darüber hinaus muss man rausgehen, offen sein, zuhören.

Health Relations: Es gibt viele Themenfelder, in denen Sie sich als digitales Labor von Boehringer einbringen können. Wo liegt Ihr Schwerpunkt?

Christoph Brabandt: Wir sind nicht dogmatisch. Wir haben natürlich Fokusbereiche, auch auf bestimmte Therapiegebiete, die sich gerade entwickelt haben. Aber generell kümmern wir uns um Prozessschritte, bei denen wir sehen, dass es  noch große Möglichkeiten gibt, innerhalb der Gruppe etwas zu verändern. Und wir müssen uns auch immer wieder fragen, wo wir uns verändern müssen. Das besprechen wir einmal im Jahr. Manchmal wird einem der Fokus auch relativ schnell aufgedrückt, indem plötzlich die ganze Welt über Generative KI spricht und man gezwungen ist, seinen Fokus zu verschieben.

Health Relations: Das klingt jetzt so, als wären Sie eine kleine autarke Einheit in diesem Unternehmen, aber irgendwie muss es doch eine Erfolgsmessung geben, oder?

Christoph Brabandt: Ja und nein. Wir prognostizieren, wie diese digitale Lösung in Zukunft Kosten oder Zeit einsparen und Prozesse beschleunigen und verbessern kann. Als Teil des Campus in Ingelheim und nicht in einem Coworking Space in Berlin ist es für uns entscheidend, die fachliche Expertise des Unternehmens zu integrieren. Wir geben die Produkte nach einer Pilotphase ab und erwirtschaften zunächst keinen Umsatz. Unsere Leistung wird auch daran gemessen, wie viele dieser digitalen Ideen und Lösungen wir vorantreiben, produzieren und abgeben. Eines unserer Hauptziele ist es, die digitale Transformation von Boehringer voranzutreiben, eine Aufgabe, die schwerer zu messen ist. Dennoch spüren wir, dass die Notwendigkeit starker Partnerschaften zur Förderung dieser Transformation im gesamten Unternehmen erkannt wird.

Health Relations: Gibt es über Weconomy hinaus feste Institutionen, sowohl intern als auch extern, wo Sie als Labor unterwegs sind und wirklich diese Netzwerke weiter pflegen und aufbauen?

Christoph Brabandt:  Es gibt so unglaublich viele Netzwerke und Veranstaltungen, wo man präsent sein kann. Ich finde es grundsätzlich gut zu schauen, welche regionalen Netzwerke es gibt. Wir arbeiten mit Universitäten und der Charité zusammen und orientieren uns an den themenspezifischen DE-HUBs, welche durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz organisiert werden. Außerdem spielen entsprechende Konferenzen eine Rolle. Dieses Jahr waren wir auf dem Mobile World Congress in Barcelona. Dort waren viele Start-ups vertreten und es gab einen großen Health-Fokus. Boehringer Ingelheim war dort entsprechend aktiv.

„Derzeit stimmen sich unsere Kollegen in Spanien mit einigen Schlüsselkrankenhäusern in verschiedenen Regionen Spaniens ab, um Cardiory im Laufe dieses Jahres in die Hände von Patienten und HCPs zu bringen.“

Health Relations: Der Mobile World Congress ist aber kein reiner Healthcare-Kongress. Lohnt sich die Teilnahme?

Christoph Brabandt: Der Healthcare-Anteil wächst dort massiv, es würde mich nicht wundern, wenn er bald eine eigene Halle bekommt. Fakt ist, dass man an manchen Stellen gar nicht mehr so richtig zwischen Healthcare und Tech trennen kann, weil viele Technologien, die ich zu Hause habe, zum Teil wiederum Enabler für Gesundheitsthemen sind. Also wenn ich an Telemonitoring denke, an zukünftige Wege in der Diagnostik, dann bin ich sofort im Bereich Consumer Tech. Ich glaube auch, dass es wichtig ist, in andere Industrien zu schauen, wie die Probleme gelöst haben.

Health Relations: Mit welchen Ideen haben Sie den Mobile World Congress verlassen?

Christoph Brabandt: Das Netzwerk hat mir vieles von dem bestätigt, was ich schon an Trends gesehen habe. Wearable Devices, At-Home-Tracking. Ganz konkret habe ich dort ein Start-up entdeckt, das mich sehr beeindruckt hat: Die haben Neuronen auf den Chip gebracht und trainiert. Das finde ich einfach eine wahnsinnige Technologie, mit der man überprüfen kann, wie sich eine Behandlung auf eine kognitive Fähigkeit auswirkt. Es gibt sicher noch andere Use Cases. Ich fand das  ziemlich mindblowing.

Health Relations: Welche Rolle spielen HCPs in ihren Netzwerken?

Christoph Brabandt: Ein gutes Beispiel für ein Netzwerk mit HCPs ist aus meiner Sicht CARDIORY. Es wurde von BI X in Zusammenarbeit mit Kollegen in Spanien und mit einem Krankenhaus in Spanien entwickelt. Wir wollten verstehen, wie der Weg eines Herzfehlerpatienten oder einer Herzfehlerpatientin ist.

screenshot von Coardiory, egzeigt werden einzelne Bilder von Smart Phones Displays mit Cardiory
Cardiory – Beispiel für smarte Anwendungen für Herzfehler-Patient:innen.
© Boehringer Ingelheim

Ein:e Herzfehler-Patient:in hat ein extrem hohes Risiko, 90 Tage nach der Behandlung im Krankenhaus wieder stationär aufgenommen werden zu müssen. Das muss erkannt werden, und zwar schnell. Basierend auf den Erkenntnissen, die wir von den HCPs gewonnen haben, haben wir eine digitale Lösung entwickelt, um relevante Patientenparameter zu Hause zu verfolgen.  Er oder sie pflegt die Daten zu Hause in eine App ein und kann sie den Ärzten im Krankenhaus zeigen. Wichtig ist: Wir zeigen die Parameter nur an. Die Interpretation, was diese Parameter bedeuten, liegt beim Arzt. Denn in dem Moment, in dem wir anfangen würden, auch die Interpretation anzuzeigen, wären wir ein Medizinprodukt und würden auch unter die komplette Regulierung fallen. Derzeit stimmen sich unsere Kollegen in Spanien mit einigen Schlüsselkrankenhäusern in verschiedenen Regionen Spaniens ab, um Cardiory im Laufe dieses Jahres in die Hände von Patienten und HCPs zu bringen.

Health Relations: Stößt das BI Xpersonell auch einmal an seine Grenzen?

Christoph Brabandt:  Die Netzwerke fungieren als Multiplikatoren, weil je nach Produkt Leute aus anderen Einheiten an unser System andocken, Wir nennen das Product Owner. Ich bin jetzt seit über 17 Jahren im Konzern. Ich lerne eigentlich jede Woche einen neuen Bereich von Boehringer kennen, den ich vorher noch nicht kannte und sehe neue Facetten des Konzerns. Und ich kann sagen, diese Prozesse machen uns agil und schlagkräftig.

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